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Autos auf dem Münchner Ring

© dpa/Peter Kneffel

Mobilität: Deutschland ohne Auto? Läuft nicht!

Die Berliner Verkehrssenatorin möchte, dass die Bürger ihre Autos abschaffen. Doch das wird noch lange unmöglich sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Am besten fangen wir in der Diskussion ums Auto und autofreie Städte und die Mobilität der Zukunft mit den Fakten der Gegenwart an. Die können den Gedankenfluss steuern.

Wovon wir reden, wenn wir vom Auto reden: Die Autoindustrie hat heute 800.000 direkt Beschäftigte, 1,5 Millionen Jobs hängen indirekt vom Auto ab. Im Jahr – einem Jahr – erwirtschaftet dieser Industriezweig einen Umsatz von mehr als 400 Milliarden Euro.

Mehr als jeder zweite Deutsche besitzt ein eigenes Auto. 70 Prozent fahren regelmäßig, mehr als ein Drittel fährt täglich. Keine andere Form der Fortbewegung ist derart beliebt. 2014 haben die Deutschen mehr als 929 Milliarden Kilometer per Auto zurückgelegt.

Ein Auto ist nicht nur Blech

Deutschland ohne Auto? Läuft nicht. Jedenfalls noch nicht. Zumal das Auto an und für sich genommen eine Komponente übers Blech hinaus hat. Es ist eines der Vorzeigeobjekte für Besitz, für Eigentum, für persönliche Freiheit. Was ich fahre, bin ich? Zumindest in der Reflexion eines Teils der Betrachter.

Das Automobil steht somit einerseits für Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein – und andererseits für nötige Profanität. Es ist technisches Gerät, wichtig für unsere Welt, fürs Einkaufen, um die Kinder zur Schule zu bringen, um in den Urlaub zu fahren; es ist Fortbewegungsmittel für unendlich viele Arbeitnehmer, die über viele Kilometer zu ihrer Stelle pendeln, für Pflegedienste, kleine Handwerksbetriebe.

Sie alle können sich die schöne neue Autowelt nicht leisten, kostenmäßig, zeitmäßig. Car-Sharing-Angebote ziehen noch nicht, weil nicht überall Wagen zur Verfügung stehen, E-Autos oder Hybride nicht, weil sie zu viel kosten. Und die Verbrenner werden jetzt auch teurer. Wer kann sich das leisten?

Das muss man sich erst mal leisten können

Ja, manche sprechen mit ihrem Auto, lieben es auch, und nirgendwo ist das Auto gesellschaftlich im Ganzen so konstitutiv. Doch bleibt der empirisch belegbare Einwand bestehen, dass die Selbstverwirklichung durch modernste Formen der Selbstbewegung einfach nicht jedem möglich ist. Die Verwirklichung prinzipiell wünschenswerter Politikentwürfe auch nicht; sie stoßen sich an der sozialen Wirklichkeit der Mehrheit.

Für viel mehr Menschen als gewünscht geht es um viel mehr als darum, sich bloß immer schneller zu bewegen. Es geht um die Möglichkeit der Selbstorganisation fürs Leben. Und hier bedeutet das Auto immer noch Flexibilität und höhere Unabhängigkeit. 70 Prozent der Deutschen sagen, das Auto sei für sie Gebrauchsgegenstand. Das Kultobjekt Auto, das muss man sich erst mal leisten können.

Außerdem ist da noch der Gedanke von Besitz und Eigentum. Reinhard Brandt, Marburger Professor, beschreibt im Vorwort zu einem Buch über philosophische Eigentumstheorien von Platon bis Habermas, wie sich das neuzeitliche europäische Eigentumsrecht in die Freiheitsphilosophie zu integrieren versuchte.

Das liest sich wie fürs Auto gedacht: „Das Eigentum ist demnach mit menschlicher Freiheit nicht nur vereinbar, sondern ist unabdingbarer Bestandteil dieser Freiheit. Es ist entsprechend nicht nur sozialverpflichtet, sondern unterliegt der Idee einer gerechten Freiheitsordnung der bürgerlichen Gesellschaft.“ Dieser Aspekt wird bei Antworten auf die Frage, wie Verkehr morgen zu organisieren sei, gern ausgeblendet. Wer aber Fakten ausblendet, läuft Gefahr, mit der Wirklichkeit zu kollidieren.

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