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Ginge das? FDP-Chef Christian Lindner (l.) und Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir kennen sich schon länger.

© Karlheinz Schindler/dpa-pa

Mögliche Jamaika-Koalition: Viel Energie fürs Klima

FDP und Grüne gelten als erbitterte umweltpolitische Gegner. In einer Jamaika-Koalition könnten sich in dem Feld aber beide profilieren.

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Schon am Wahlabend machten die Spitzenkandidaten von FDP und Grünen deutlich, wie wichtig ihnen die Energie- und Umweltpolitik ist. Katrin Göring-Eckardt versuchte in der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF für die Grünen die Deutungshoheit zu reklamieren und festzuhalten: „Die ökologische Frage trennt uns in vielen Punkten.“ Christian Lindner hielt gegen: „Nein, die trennt uns nicht.“ Die Grünen-Chefin konterte: „Dann ist es ja gut, dann können wir in Deutschland dafür sorgen, dass wir den Klimavertrag von Paris umsetzen.“ Lindner stimmte dem zu.

Bis sich das in konkreter Politik niederschlägt, wird aber noch viel zu verhandeln sein. Denn es geht natürlich vor allem auch um die grundsätzliche Frage nach der Freiheit der wirtschaftlichen Märkte und deren Regulierung. „In einer Jamaika-Koalition wird Umwelt- und Klimapolitik schon deshalb wichtiger werden, weil CDU und FDP die Grünen anders nicht in einer Regierung halten können“, frohlockt Stefan Krug von Greenpeace.

Annäherung: Dass sich CDU, CSU, FDP und Grüne auf eine gemeinsame Politik zu Energie, Klima, Umwelt und Verkehr verständigen, gilt als wesentliche Herausforderung für eine Jamaika-Koalition.
Annäherung: Dass sich CDU, CSU, FDP und Grüne auf eine gemeinsame Politik zu Energie, Klima, Umwelt und Verkehr verständigen, gilt als wesentliche Herausforderung für eine Jamaika-Koalition.

© imago/Steinach

In Nordrhein-Westfalen hat die schwarz-gelbe Regierung unter anderem das Klimaschutzgesetz abgeschafft und die Windkraft massiv beschnitten – vor allem, indem die Mindestabstände für Windräder zur Wohnbebauung vergrößert wurden. Die Abschaffung der Erneuerbaren- Energien-Umlage sowie die Senkung der Stromsteuer seien Bedingungen für eine mögliche Jamaika-Koalition, sagte der FDP-Politiker Hermann Otto Solms dem „Tagesspiegel Background Energie & Klima“: „Allein durch die Erneuerbare-Energien-Umlage wird jeder mit über 300 Euro jährlich belastet. Deswegen wollen wir die Umlage für neue Anlagen abschaffen und die Stromsteuer senken.“ Die Abschaffung der Steuer wollen die Grünen auch; die EEG-Umlage dagegen wollen sie beibehalten.

Während die Grünen einen raschen Ausstieg aus der Braunkohle wollen, setzt sich die FDP für einen Energiemix ein, der auf absehbare Zeit auch fossile Energieträger beinhaltet. Nachgefragt, wie flexibel die Grünen beim Ausstieg sind, antwortet der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer: „Nicht umsonst steht der Klimaschutz in unserem Zehn-Punkte- Programm an erster Stelle und die Kohlepolitik gleich dahinter. Wir wollen die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke in Deutschland möglichst bald abschalten. Und auf dieser Liste stehen auch Braunkohle-Kraftwerke.“

Die klimapolitische Sprecherin und brandenburgische Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, sagte dem „Handelsblatt“: „Die FDP kann nicht einerseits den Pariser Klimavertrag hochhalten und andererseits dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Wege stehen. Das ist schizophren.“ In Koalitionsgesprächen werde es in der Energie- und Klimapolitik „knallharte Verhandlungen“ geben, denn es komme „auf jede Tonne Kohlendioxid-Reduktion“ an.

Solms zeigt Verhandlungsbereitschaft: „Je schneller es gelingt, die Stromnachfrage aus erneuerbaren Energien zu befriedigen, desto früher können wir auch aus der Kohleverstromung aussteigen.“ Das klingt nicht nach einem unvereinbaren Gegensatz. Netzausbau, intelligente Verteilungsprogramme und Speichermöglichkeiten müssten so vorangetrieben werden, dass man auf klassische Energieträger immer mehr verzichten könne, sagt Solms: „Voraussetzung ist in jedem Fall, dass die Versorgungssicherheit zu jeder Stunde gesichert sein muss“.

Die großen Energieversorger RWE und EON wollten sich zu einer möglichen Jamaika-Option noch nicht äußern – ihre Aktien allerdings schossen gleich nach der Wahl in den Keller. Die Industriegewerkschaft IGBCE mahnt, die Energiewende dürfe weder Arbeitnehmer noch Wirtschaft überfordern – das Arbeitsplatzargument war besonders für die SPD bisher der entscheidende Grund gegen ein zu schnelles Ende der Kohleverstromung. Die Energieökonomin Claudia Kemfert sagt zur Braunkohle-Hürde auf dem Weg nach Jamaika: „Der Anfang ist leicht, indem man die ältesten und ineffizientesten Kohlekraftwerke sofort abschaltet.“

Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Wilhelm Krämer ist es durchaus möglich, dass die FDP den Grünen beim Kohleausstieg entgegenkommt, wenn die dafür das Ende des Verbrennungsmotors nicht auf das Jahr 2030 festlegen.

Auch da setzt Solms auf den Markt: „Der Verkauf von Verbrennungsmotoren wird dann zurückgehen, wenn alternative Antriebsformen, also Elektromotoren, synthetische Kraftstoffe, Wasserstoff, Brennstoffzelle, durch Preis- und Leistungsdauer konkurrenzfähig sind. Es bedarf keiner Verbotsregelung.“ Umweltverbände sehen eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen als Chance für eine Wende in der Verkehrspolitik. „Die Grünen werden Kompromisse eingehen müssen. Den Umstieg auf Elektromobilität kann man eleganter über schärfere CO2-Grenzwerte erreichen“, meint der Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland VCD, Gerd Lottsiepen.

Beim Bauen dürfte eine Einigung auf die Förderung neuer Techniken und Bauweisen relativ unstrittig sein, der Zwang zu Nachrüstungen aber Streit auslösen.

Sollte eine Jamaika-Koalition zustande kommen, wird diese sich dann auch – neu im Bundestag – mit echten Klimawandel- Leugnern auseinandersetzen müssen: Die AfD streitet den Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlichem Wirtschaften und Lebenswandel schlicht ab.

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