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Mohammed al-Zulfa hält Reformen in Saudi-Arabien für unumgänglich.

© Katharina Eglau

Mohammed al-Zulfa, saudischer Regierungskritiker: "Die Frauen sind eine wichtige Kraft für Änderungen"

Für Freitag haben Regierungsgegner in Saudi-Arabien einen "Tag des Zorns" angekündigt. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel spricht Reformer Mohammed al-Zulfa über die Chancen der Protestbewegung.

Morgen ist in Saudi-Arabien der „Tag des Zorns“ angekündigt. Über 30.000 Menschen haben sich dem Aufruf über Facebook angeschlossen. Wie ist die Lage im Land?

Die jungen Leute wollen endlich beteiligt werden am politischen Leben ihres Landes. Sie haben die alten Gesichter in der Regierung satt. Sie wollen neue Gesichter, Menschen, die ihre Sprache sprechen, ihre Anliegen verstehen und denen sie vertrauen können. Und sie wollen sich nicht länger von dem religiösen Establishment herumkommandieren lassen. Es ist höchste Zeit. Wir brauchen richtige Reformen und schnelle Reformen. Und Reformen, die auch tatsächlich umgesetzt werden. Die Leute wollen etwas Konkretes sehen. Sonst wird es in Saudi-Arabien nicht friedlich bleiben.

Was sind die dringendsten Reformen?

Wir brauchen mehr Freiheiten. Wir brauchen Pressefreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und eine Ende der Korruption. Die jungen Leute wollen Anschluss haben an das Leben im 21. Jahrhundert. Die Frauen wollen mehr Selbstbestimmung. Sie vor allem leiden unter der Religionspolizei und der Abkapselung der saudischen Gesellschaft. Die Frauen in unserem Land sind eine wichtige Kraft für Änderungen. Bisher dürfen sie noch nicht einmal selber Auto fahren.

König Abdullah ist 86 Jahre, auch ein altes Gesicht. Er hat soziale Wohltaten angekündigt für Arme, Familien und Studenten. Wird das reichen?

König Abdullah ist sehr populär bei den jungen Leuten. Diese wissen, dass er in den letzten Jahren versucht hat, Reformen voranzubringen. Der König ist der Garant der nationalen Einheit. Die Monarchie ist die wichtigste Klammer, die Saudi-Arabien zusammenhält. Wir sind eine tribale Gesellschaft, die nationale Einheit könnte wieder zerfallen. Eine Entwicklung wie in Ägypten, Tunesien und Libyen ist sehr gefährlich für Saudi-Arabien. Wir haben Angst davor. Insofern liegt eine hohe Verantwortung bei der Führung. Ich bin optimistisch, dass König Abdullah die Herausforderung durch Dialog bewältigen kann.

Was soll mit den 6000 Prinzen der königlichen Familie geschehen, die es sich gut gehen lassen mit den vielen Öl-Milliarden?

Es gibt wahnsinnig viele Prinzen. Sie haben das Recht auf ein Einkommen, sie sollen gut leben. Aber es wird Zeit, dass das Volk der königlichen Familie ein bestimmtes Budget zuweist, was sie dann untereinander aufteilen müssen. Der Löwenanteil des Ölgeldes aber muss dem Volk gehören. Das Volk muss Kontrolle darüber bekommen, wohin die Einnahmen fließen und wofür sie eingesetzt werden. Es gibt Millionen Arme in Saudi-Arabien, einem der reichsten Länder der Welt.

Junge Saudis, so sagen sie selbst über sich, lieben ihr Land und leiden gleichzeitig unter ihrem Land. Warum?

Ganz einfach. Das Leben ist langweilig und viel zu reglementiert. Viele der Jungen warten nur auf die Ferien, um endlich einmal abhauen und etwas erleben zu können. Warum haben wir keine Kinos in Saudi-Arabien? Warum haben wir keine Theater und keine Kulturzentren? Warum gibt es keine Konzerte auf den Plätzen unserer Städte? Selbst unsere saudischen Künstler dürfen nicht bei uns auftreten und für ihre eigenen Landsleute singen. Unsere jungen Leute müssen nach Bahrain, Dubai und Kairo fahren, um ihre eigenen Musiker hören zu können.

Mohammed al-Zulfa (67) saß zwölf Jahre lang im Schura-Rat, dem von König Abdullah berufenen Parlament in Riyadh. Der vierfache Vater, der im britischen Cambridge promovierte, gilt als Reformer. Für seinen Vorschlag, Frauen den Führerschein zu erlauben, erhielt er seinerzeit Morddrohungen.

Die Fragen stellte Martin Gehlen.

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