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Eine Herzensangelegenheit ist die bevorstehende Wahl für die Moldawier nicht – jeder dritte Wahlberechtigte weiß noch nicht, wem er die Stimme geben soll.

© Dumitru Doru/dpa

Moldawien: Europa im Kopf, Moskau im Herzen

Die Moldawier bestimmen am Sonntag über neues Parlament – die Kommunisten drängen an die Macht zurück. Laut Umfragen dürfte es auch bei den dritten vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb von nur 15 Monaten zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen.

„Wenn ich zwischen einem und vier Banditen wählen kann, nehme ich die kleinere Zahl“, sagt Sascha und spuckt verächtlich zu Boden. Für den neuen Supermarkt gleich hinter dem sowjetisch-grauen Hotel Cosmos in der moldawischen Hauptstadt Chisinau hat der Gelegenheitsarbeiter kein Geld; er deckt sich im nahen Straßenmarkt mit dem Nötigsten ein. Dort verkaufen Händler aus allen Landesteilen im eisigen Wind billige Importware aus China und Russland. Neben den bunt zusammengewürfelten Ständen verspricht ein EU-Sternenkranz mit Parteisignet „Wohlstand für Moldawien“.

Sascha will bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag wieder die Kommunisten wählen, die das Land acht Jahre lang beherrscht haben. Er folgt damit einer alten Weisheit in ganz Osteuropa, die besagt, dass die alte Macht sich zumindest schon satt gegessen habe, während die neue halt noch hungrig sei. In Brüssel und Washington hoch für ihre Reformschritte gelobt, hat die im April 2009 nach Wahlfälschungen und blutigen Protesten an die Macht gekommene Vier-Parteien-Koalition es nicht geschafft, das Sicherheitsbedürfnis der breiten Masse zu befriedigen. Schuld daran sind die anhaltend hohe Korruption, historische Spannungen zwischen prorussischen und prorumänischen Bevölkerungsteilen, vor allem aber eine Armut, die 60 Prozent der Bevölkerung mitten in Europa in den täglichen Überlebenskampf zwingt.

Laut Umfragen dürfte es auch bei den dritten vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb von nur 15 Monaten zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Kommunisten und den bisherigen Regierungsparteien kommen. Die KP kann demnach auf 30 bis 45 Prozent der Stimmen zählen, das Bündnis „Allianz für die Europäische Integration“ (AEI) auf 25 bis 55 Prozent. Jeder dritte Moldawier ist noch unentschieden, wem er seine Stimme geben will. Um diese Stimmen ist ein schmutziger Kampf entbrannt, der das bisherige Vier-Parteien-Bündnis zwischen Sozialdemokraten, Zentristen, Liberalen und Rechtsnationalen zu entzweien droht.

Von all dem ist im Wahlkampfstab der KP nichts zu spüren. Versteckt zwischen alten Plattenbauten im Zentrum Chisinaus sitzen die Kommunisten in einer stattlichen Villa. Statt Hektik erwarten den Besucher leere Marmorflure. „Unsere Aktivisten sind leider alle ausgeschwärmt“, haucht Wahlhelferin Svetlana und sucht verzweifelt im Computer unter einem roten Banner mit Hammer und Sichel nach Agitprop. Im gepflegten Garten steht verwittert eine Leninbüste. „Wir sind eine arme Partei mit armen Mitgliedern“, erläutert KP-Generalsekretär Iurie Muntean später in einem der besten Weinlokale der moldawischen Hauptstadt. Allein mit einer guten Bündnisbezeichnung wie die heutige Regierung könne man Moldawien nicht in die EU bringen, wettert er. Überhaupt habe die KP mit der europäischen Integration begonnen – und dies schon 2005. „Wir sind knallharte Pragmatiker“, sagt Muntean. In der Tat hat die KP betont, nach den Wahlen mit allen Parteien über eine Regierungskoalition verhandeln zu wollen.

Eine Annahme dieses Angebots schließt der Ehrenvorsitzende der aufstrebenden Demokratischen Partei (PDM), Dumitru Diacov, prinzipiell aus. „Auch wir würden Moskau gefallen“, schiebt der gemütliche Politiker nach. In ihren Wahlspots wirbt die sozialdemokratisch ausgerichtete PDM für ein Ende des seit der Unabhängigkeitserklärung vor 20 Jahren wütenden Richtungskampfes zwischen Moskau, Bukarest und Brüssel. Knapp zwei Drittel der Moldawier wünschten sich die EU als strategischen Partner, die Hälfte – aus historischen Gründen – Russland, erklärt der Politologe Igor Botan. Das sei kein Widerspruch, denn zwei Herzen schlügen eben in der moldawischen Brust.

Vlad Filat allerdings hat nur ein Herz. Soviel macht der amtierende Premierminister von der Liberaldemokratischen Partei (PLDM) bei seinem Auftritt im Kulturhaus der Universität schnell klar. Filat wechselt zwar problemlos vom Rumänischen ins Russische – für 30 Prozent der Moldawier ist Russisch die Muttersprache – doch bei seinem Wahlkampfauftritt hören die Studenten mindestens einmal pro Minute das Wort „Europa“. „Die KP hatte viele schöne Pläne, aber keinen Erfolg“, agitiert Filat, während aufgetakelte Studentinnen bereits aus dem Saal stöckeln. Fast nur junge Männer harren bis zuletzt aus. Der Medizinstudent Christian ist dennoch enttäuscht: „Die Demokratie ist nichts für uns Moldawier, was wir brauchen, ist eine moralische Erneuerung“.

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