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Politik: Moment mal

Von Stephan-Andreas Casdorff

Ach ja, bald ist es geschafft, dann ist Wahl. Es wird aber auch Zeit, sonst werden wir noch ganz irre an den Parteien und ihren Kandidaten. Wer was werden soll, wer was werden möchte, wer möchte, dass wer was werden sollte, die vergangenen Tage waren da noch einmal eine weitere Drehung in der Spirale. Gott sei Dank ist sie nicht endlos. Und am Ende steht – ein Kanzler. Ganz sicher.

Ob männlich oder weiblich, das Amt erzieht seinen Inhaber. Es mag ja keiner hören wollen, aber richtig bleibt: Die Kraftlinien dieses Landes strömen durch dieses Amt. Das macht seinen Reiz aus – und seine Härte. Es verlangt dem oder eben der, die da reinwollen ins Kanzleramt, alles ab. Die Verantwortung ist da, ein Ausweichen gibt es nicht. Frei machen kann keiner.

Und manches Mal wiederholt sich Politik vielleicht doch. Helmut Kohl nach Helmut Schmidt – da wollten die Deutschen lieber Schmidt behalten. Kohl wurde gewählt. Angela Merkel nach Gerhard Schröder? Die Deutschen wollen lieber Schröder. Ob sie ihn behalten, ist noch nicht sicher. Denn er soll ja aus ihrer Sicht mit der CDU regieren, am besten auch die CDU führen.

Das geht nun nicht, wie jeder weiß, und deshalb ist die Prognose nicht zu gewagt, dass Merkel weniger gewollt, aber wohl gewählt wird. In welcher Konstellation, darum geht es gerade, darum kämpft Schröder in diesen Tagen. Nur zeigen die Ergebnisse der Umfragen sehr deutlich, was den Deutschen an Merkel offenkundig fehlt: der Nachweis, dass sie es wirklich beherrschen kann, das Amt, nicht umgekehrt, dass sie von ihm getrieben wird, wie sie jetzt von Schröder getrieben wird.

In ihrem letzten TV-Duell wirkte sie auf manche ein wenig gehetzt. Und Millionen haben sich ein Bild gemacht, erst 21 Millionen, dann fast sechs Millionen Fernsehzuschauer. Das war das Bild: Merkel hat Schröder keine Grenze gesetzt. Als er sagte, seine Frau habe doch Recht und damit meinte, dass Merkel nicht für das moderne Frauenbild stehe; als er Bush wegen des Flutdesasters angriff und ihr dessen Mangel an mitfühlendem Konservatismus vorhielt; als er dann ihr mangelnden Patriotismus vorwarf – da hätte eigentlich für sie die Grenze erreicht sein müssen. Ist denn Doris Schröder-Köpf die moderne Frau? Aber Merkel hat nichts gesagt. Das sagt etwas über sie.

Ein Kanzler muss Deutschland führen, draußen repräsentieren, da muss man auch Nein sagen können. Sagen, was man will und was nicht. Stehen für die eigenen Ansichten, sich auch mal angreifbar machen. Zeigen, dass man Richtlinienkompetenz, die ein Kanzler hat, zu gebrauchen versteht. Hat Merkel Edmund Stoiber oder Paul Kirchhof in diesem Sinne Grenzen gesetzt? Und wenn Kirchhof geht, beleidigt, dann sei es so.

Ein Kanzler, das gilt allgemein, kann nicht hintenrum und hinterrücks führen – in aller Welt lässt sich nicht mauscheln. Da muss einer die große Linie haben und halten können. Gesucht werden nicht die Meister der Dezimalstellen, sondern die, die mit den großen Zahlen vor dem Komma umgehen können, die große Herausforderungen meistern können.

Beteiligung am Krieg, ja oder nein? Eine Milliarde mehr für Afrika, ja oder nein? Menschenrechte statt Geschäfte mit China, ja oder nein – oder wie soll das alles gehen? Die Antworten darauf bedürfen eines Kanzlers. Und: Wie viel ist des Staates, wie viel Privatisierung soll sein? Und: Was braucht es, damit die Bürgergesellschaft zusammenhält? Und: Sind wir weniger Zivilgesellschaft als Zuvielgesellschaft? Das sind die Fragen. In der Vergangenheit wurden nicht immer alle beantwortet. Sie stellen sich wieder.

Kurz gesagt, Wegweisung ist gefragt, das Controlling kommt später. Kontrolle über die Regierungsgeschäfte ist wichtig, über einzelne Bereiche, Minister, nicht die Gegenprüfung zum Rechenschaftsbericht. Oder polit-physikalisch ausgedrückt: Nur wer weiß, worauf das Schwergewicht liegen muss, wird es so vermitteln können, dass die Menschen Vertrauen schöpfen.

Insoweit sind die Umfragen und Fernsehsendungen ernst zu nehmen. Die Wähler haben sich ein Bild gemacht, von Schröder, von Merkel, und wer sagt, dass die Mehrheit irrt? Sie selbst.

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