zum Hauptinhalt
Pascale Hugues.

© Thilo Rückeis

Mon BERLIN: In den Vorräumen der Macht

Bundestagspräsident Lammert rügt die Bundeskanzlerin. So etwas wäre in Frankreich nicht möglich. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Diese Woche hat mich eine Szene besonders verblüfft. Sie spielte im Plenarsaal des Bundestags während der Haushaltsdebatte. Die Atmosphäre ist aufgeladen: Die AfD hat in Mecklenburg-Vorpommern abgesahnt und bringt auf einen Schlag das gesamte politische Schachspiel Deutschlands durcheinander. Der Ministerpräsident und seine SPD konnten nur ihre Haut retten.

Man reibt sich die Augen: Die CDU, dieser schwere Tanker der deutschen Politik, der seit einem halben Jahrhundert in ruhigen Gewässern treibt, wird von einem gehässigen Neuling überholt, den, bis vor wenigen Monaten, niemand richtig ernstgenommen hat. Da sah man noch fassungslos auf den Front National in Frankreich. Man beglückwünschte sich, dass es nichts davon bei uns gibt, Gottseidank! Es gibt also wirklich genug, womit man die Diskussionen im Reichstag anfeuern kann. Nerven liegen blank, klarmachen zum Gefecht! Am Rednerpult aber: eine Abgeordnete, die brav ihre Rede herunterleiert.

Plötzlich schwenkt die Kamera in die erste Reihe. Die Kanzlerin steht dort, im rosafarbigen Blazer. Sie dreht der Rednerin den Rücken zu, lehnt sich hin zu Volker Kauder, ihrem Fraktionsvorsitzenden. Sie scheinen sich in eine intensive Diskussion zu verwickeln – den Rest der Welt ausgeblendet.

Der Parlamentspräsident ermahnt die Kanzlerin

Bis dann die Stimme des Parlamentspräsidenten hineinpeitscht: „Frau Bundeskanzlerin und Herr Kollege Kauder.“ Dann schüttelt er missbilligend den Kopf. Kein Zeichen eines Lächelns. Keine Regung in seinem strengen Ausdruck. „Das muss jetzt nicht sein!“ Zwischen jedem Wort eine Kunstpause, wie ein Lehrer, der schwätzende Schüler ermahnt. Und der Saal applaudiert. „Das muss jedenfalls nicht vorne sein.“ Also stehen Merkel und Kauder gehorsam auf und gehen langsam zu den hinteren Reihen, wo sie ihr Flüstern fortführen.

Ich habe mir das Video mehrfach angesehen. Es fasziniert mich. Es steht exemplarisch für eine politische Kultur, einen Regierungsstil, der sich sehr von dem unterscheidet, was ich aus Frankreich gewohnt bin. Und ich muss sagen, ich bewundere den Zustand der deutschen Demokratie.

Die Franzosen haben zu Recht den Ruf, arrogant zu sein

Erst vor Kurzem habe ich eine Woche in kafkaesker Verzweiflung damit verbracht, eine Akkreditierung für den Tag der offenen Tür im Élysée-Palast zu bekommen, um die sechsstündige Schlange zu umgehen. Ich war nie sonderlich oft in den Vorräumen der Macht in Frankreich und ich habe vergessen, wie schwer der Zugang zu ihnen im Gegensatz zu Deutschland ist. Es war atemberaubend: Das schneidende „Ja, bitte?!“ der Telefonistinnen, die eiskalten Antworten einer Pressesprecherin („Keine Zeit, muss in eine Besprechung“, „Nein, wir geben keine Auskunft hier!“ „Das ist mir egal, ob die das in Deutschland so machen, hier sind wir in Frankreich!“), E-Mails und SMS bleiben unbeantwortet. Immer wieder lief ich gegen eine Wand. Und ich merkte, wie die Franzosen zu Recht den Ruf haben, arrogant zu sein.

Vor allem aber fühlte ich mich zurückversetzt in meine Zeit als Schülerin im Gymnasium. Der allmächtige Lehrer, die nichtig kleinen Schüler. Damals thronten Lehrer noch auf einer Art Podium, über der Menge erhoben, unberührbar für den Pöbel da unten. In einer französischen Schule lernt man nicht, wie man aufbegehrt, wie man mit der Macht der Argumente höflich gegenüber der Autorität sein Recht einfordert. Und als ich die Szene im Bundestag sah, dachte ich mir: Ist der Umgang miteinander in den Institutionen der Macht vielleicht deshalb so viel einfacher in Deutschland, weil hier regierende Politiker nicht auf erhobenen Thronen sitzen wie unsere französischen Halbmonarchen?

Den Präsidenten der Republik so zu rügen, wäre undenkbar

Eine Szene wie die im Bundestag wäre in Frankreich nicht denkbar. François Hollande hat dank der Gewaltenteilung erst einmal keinen Zugang zum Plenarsaal der Assemblée Nationale. Doch wenn der Präsident aufläuft, im Schlepptau einen Hof von Adjutanten, Attachés und Diener jeglicher Art … da frage ich mich, ob eine solche Rüge wie die von Herrn Lammert, eine deutliche, aber respektvolle Zurechtweisung so in meinem Land möglich wäre. „Monsieur le Président, nein, nein, das geht zu weit. Führen Sie ihre Unterhaltung da hinten fort!“ Den Präsidenten der Republik so zu rügen, ist ein surreales Szenario für Franzosen. Auslöser einer Staatskrise. Da ist mir Deutschland unendlich sympathischer.

Aus dem Französischen übersetzt von Fabian Federl.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false