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Die Kernkompetenz der CDU ist derzeit die Schwäche der SPD.

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Monatelanges Siechtum oder klarer Schnitt?: Die CDU-Spitze stützt die große Koalition – noch

Die Union verordnet sich einen Arbeitsplan. Es geht um Digitales, Mobilität, Klima. Und um ein mögliches Ende der Koalition.

Von Robert Birnbaum

Es gibt Fragen, die kann Annegret Kramp-Karrenbauer gerade gar nicht brauchen. Die nach einer Kanzlerkandidatur gehört eindeutig dazu. Die erste Frage zu ihrer Zukunft übergeht die CDU-Vorsitzende am Montag noch. Aber nach der dritten muss doch irgendeine Antwort her. „Für alles, was möglicherweise kommt oder nicht kommt, können Sie davon ausgehen, dass die CDU vorbereitet ist“, sagt Kramp-Karrenbauer. Das klingt entschlossen und selbstbewusst. Nur passt es nicht zu dem Zeugnis, das sich die CDU-Spitze in ihrer Klausur übers Wochenende selbst ausgestellt hat. Nach dem schwachen Abschneiden bei der Europawahl müssen sich Präsidium und Vorstand eingestehen, dass sie allesamt viel zu wenig vorbereitet sind.

Also werden erst einmal „Stabilität“ und „Verlässlichkeit“ der Regierungskoalition beschworen als Behelfsmarkenkern der Union. Es gebe mit Blick auf die Situation in Deutschland wie in Europa „gute Gründe, nicht leichtfertig eine Regierung zu beenden“, sagt die CDU-Chefin. Gegen diese Linie – mag die SPD wanken, wir stehen – gab es auch intern keinen Widerspruch.

Zwar sind sich führende Unionspolitiker alles andere als sicher, dass die Koalition die nächsten Tage und Wochen überlebt. „Ob die SPD-Basis das noch mitmacht, was ihre Führung hier in Berlin abliefert …“, sagt einer. Auch stellen sich etliche durchaus die Frage, ob ein klarer Schnitt nicht besser wäre als die Aussicht auf ein monatelanges Siechtum, dem drei absehbar furchtbare Wahlen im Herbst ja doch ein Ende setzen.

Aber das Risiko erscheint vielen zu hoch, dass bürgerliche Wähler der Union ein mutwilliges Ende der Regierung und der Ära Merkel übel nähmen. Und vor allem ist inzwischen allen klar geworden, dass die CDU heute in einem Bundestagswahlkampf gegen den neuen grünen Hauptkonkurrenten blank dastünde. In der Klimapolitik und bei der Mobilität der Zukunft, im Umgang mit der Digitalisierung und bei neuen Formen politischer Kommunikation sind die Christdemokraten schlicht nicht auf dem Stand der Dinge.

Kramp-Karrenbauer zeigt sich denn auch selbstkritisch. „Wir haben dieses Wahlergebnis verstanden“, versichert die Saarländerin. Sie selbst habe den „Mut und die Veränderungsbereitschaft“, mit denen sie seinerzeit noch als Generalsekretärin nach Berlin gekommen sei, zwischenzeitlich schleifen lassen, statt ihre Vorsätze konsequent umzusetzen. Sie werde dort neu anknüpfen: „Die CDU muss sich wieder stärker an der Gestaltung der Zukunft beteiligen.“

Dazu muss die Partei aber erst mal wissen, was diese Zukunft überhaupt ist. Am Sonntagabend ließ sich die Parteiführung vom früheren „Stern“-Onlinechef Philipp Jessen erklären, wie man künftig besser mit politischen Youtube-Attacken im Rezo-Style umgeht. Generalsekretär Paul Ziemiak – bei der Klausur entschuldigt, weil er nach der Geburt seiner Tochter eine Woche Babypause einlegt – soll federführend ein Konzept erarbeiten, wie die Partei mit Wählern im Netz in einen „echten Dialog“ treten könne.

Die Parteispitze hat reichlich Arbeitsaufträge erteilt

Die CDU müsse, wolle sie Volkspartei bleiben, Anschluss an „viele verschiedene Lebenswirklichkeiten“ finden, sagt Kramp-Karrenbauer. Von der anderen, eher analogen Seite her soll ein zweiter Arbeitskreis „Heimat und gleichwertige Lebensverhältnisse“ Wege aufzeigen, wie Menschen trotz aller Globalisierung überall auch auf dem Land gut leben können.

Überhaupt hat die Parteispitze reichlich Arbeitsaufträge erteilt. Bis zum Parteitag im Dezember soll eine „Digitalcharta Deutschland“ stehen. Ein Plan für Mobilität kommt dazu. Rechtzeitig vor den Beschlüssen im Klimakabinett soll im Herbst ein Klimaschutzkonzept vorliegen. Es gehe um den Entwurf einer „nachhaltigen sozialen Marktwirtschaft“, sagt die Parteichefin, in dem Belange von Umwelt und Wirtschaft ebenso wie soziale Fragen zugleich behandelt würden.

Dazu soll ein „umfassendes Steuer- und Abgabenkonzept“ die historisch gewachsene, oft unsystematische Energiebesteuerung vereinheitlichen. Das Projekt ist als Gemeinschaftsvorhaben angelegt: CDU und CSU als Parteien sowie die Fraktionen im Bund und den Ländern wollen daran gemeinsam arbeiten.

Kramp-Karrenbauer trägt das Arbeitsprogramm straff vor, diesmal fast ohne sinnfreie Füllworte und grammatische Schnörkel wie so oft in den letzten Wochen. Wenn es ernst wird, das konnte man an der CDU-Chefin ja schon beim Wettstreit um den Vorsitz studieren, konzentriert sie sich.

Das heißt also: Es ist gerade ernst. Auch wenn die Krise der SPD Kramp-Karrenbauer aktuell hilft. Welchen Anteil sie selbst oder ihr Team am Wahldesaster hatten, wurde nicht debattiert. Stattdessen schloss die CDU-Führung nach dem Sturz von Andrea Nahles die Reihen. Die Berufung ihres intern umstrittenen Vertrauten Nico Lange zum neuen Bundesgeschäftsführer wurde zurückgestellt, bis der Generalsekretär wieder da ist, der formal die Personalie vorschlagen muss.

Kramp-Karrenbauer sah sich trotzdem veranlasst, darauf hinzuweisen, dass sie Rückendeckung genieße. Die Führungsgremien seien „bereit, diesen Weg mitzutragen“, sagt sie, „und auch gemeinsam mit mir.“ Wohlgemerkt: als Parteivorsitzende und zur Organisation der Programmarbeit. Aber über Kanzlerkandidaturen will ja sowieso gerade keiner reden. Robert Birnbaum

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