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Politik: Monsieur 80 Prozent

Präsident Jacques Chirac ist wegen seiner Irakpolitik in Frankreich so populär wie nie zuvor

Treffender und knapper als die linksliberale französische Zeitung „Liberation“ kann man die neue Aura, die den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac umgibt, kaum darstellen: Die jüngste Karikatur des Blattes zeigt – umjubelt von Fans – einen strahlenden Chirac, der ein Plakat in die Menge hält: „2003, danke Bush!“, in der anderen, gesenkten Hand ein Plakat mit der Aufschrift „2002, danke Le Pen!“ Dies illustriert die politischen Umstände, die dem immer mal wieder tot gesagten Neogaullisten Chirac eine einmalige Erfolgswelle beschert haben. Ein Jahr ist es her, dass der damals 69-Jährige seine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt erklärt und in einem müden, themenarmen Wahlkampf gegen seinen sozialistischen Rivalen Lionel Jospin wenig Punkte gemacht hatte. Doch dann kam am 21. April der überraschende Sieg des nationalistischen Jean-Marie Le Pen dazwischen. Die Stichwahl zwei Wochen später ergab 80 Prozent der Stimmen für Chirac.

Seitdem, so urteilt heute der Präsident der französischen Nationalversammlung, Jean-Louis Debre, habe sich Chiracs Psyche geändert. „Er dankt dem Himmel täglich, dass er noch einmal eine Chance bekommen hat.“ Dem dienstältesten europäischen Regierungschef kam in den vergangenen Monaten auch noch die Irak-Krise und der hartnäckige Kriegskurs von US-Präsident George W. Bush zu Hilfe, um seine Position als europäischer Meinungsführer zu festigen und im eigenen Land einen Rückhalt wie nie zuvor zu genießen.

War die große Zustimmung für den Neogaullisten bei der Stichwahl im Mai 2002 wegen der erwünschten Verhinderung von Le Pen quasi erzwungen, so stehen laut aktueller Umfragen heute gut 80 Prozent der Wähler tatsächlich hinter ihrem Präsidenten. Auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine wird Chirac gefeiert. „Paris-Match“ zeigt in seiner neuen Ausgabe ein strahlendes Politikerpaar, Jacques Chirac und Außenminister Dominique de Villepin: „Die Krieger für den Frieden“. Beifall kommt auch von der Opposition, von links- bis rechtsextrem. Die Sozialisten im Europaparlament dankten Chirac per Brief für seine konsequente Haltung in der Irak-Frage, selbst der prominente Sozialist Laurent Fabius, unter Jospin Wirtschaftsminister, lobte den Mann aus dem feindlichen politischen Lager für dessen Mut in der Außenpolitik.

Seit den pompösen Feiern anlässlich des 40-jährigen Bestehens des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, der Zuspitzung der Irak-Krise mit ihren negativen Folgen für das transatlantische Bündnis und den Zusammenhalt in der Europäischen Union scheint die internationale Bühne endgültig zu seiner Plattform geworden zu sein. „Der Wahlschock vom 21. April wirkt nach, Chirac hat sich entschieden, die Dinge in die Hand zu nehmen und, egal was kommt, seine Meinung zu sagen", urteilt ein Vertrauter aus dem Elysee-Palast. Dabei geht er offenbar vor ohne Rücksicht auf Kritik, denn die verbalen Ohrfeigen, die Chirac Anfang der Woche an die EU-Beitrittskandidaten austeilte, missfielen als „arrogant“ und „undiplomatisch“ selbst einigen seiner Parteigenossen – wenn auch ohne Folgen.

Es gibt also freie Fahrt für den Vollblutpolitiker Chirac, der nun überall die Strippen zieht, neuerdings auch in der Innenpolitik. Insider berichten, es gebe seither kein Ministerressort und kein großes Thema mehr, in das sich der Präsident nicht einmische.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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