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Mubarak-Urteil: Was bedeuten die Proteste für die Zukunft Ägyptens?

Das Urteil über Hosni Mubarak und der Freispruch einiger hoher Funktionäre spalten Ägypten. Was bedeutet das für die Zukunft des Landes?

Zuerst jubelten die Menschen vor den Bildschirmen, als der Richter das Wort lebenslänglich aussprach. Schnell kam die Ernüchterung, als der Rest des Urteils folgte. Wie so oft im nach-revolutionären Ägypten, auch beim Schlussakt des Mubarak-Prozesses lagen wieder einmal Euphorie und Enttäuschung, Aufbruch und Rückschlag, frustrierend dicht beieinander. Eine harte Strafe und doch keine Gerechtigkeit - so empfinden es viele Ägypter und ließen ihrem Unmut freien Lauf. Kaum war im Mubarak-Prozess das letzte Wort der Urteilsbegründung gefallen, brachen im Gerichtssaal bereits die ersten Tumulte aus. Draußen vor den Toren des Geländes gingen Gegner und Anhänger des gestürzten Staatschefs mit Steinen aufeinander los - eine Unruhe, die von Kairo aus rasch auf zahlreiche weitere Städte Ägyptens übergriff, darunter Alexandria, Suez und Ismailia.

Wie ist das Urteil gegen Mubarak einzuordnen?
Die lebenslange Haftstrafe für Ex-Pharao Hosni Mubarak ist ein Meilenstein in der Geschichte Ägyptens. Noch nie zuvor hat ein arabisches Volk seinen früheren Herrscher vor ein eigenes, ordentliches Gericht gestellt und für seine Untaten zur Rechenschaft gezogen. Empörend aber finden die Bürger vor allem die Freisprüche für die Mubarak-Söhne Alaa und Gamal sowie für die sechs mit angeklagten Polizeigeneräle. Ein weiteres Mal erweist sich der alte Machtapparat des Regimes als undurchdringlich und uneinnehmbar. Bei allen Ermittlungen zum Schießbefehl stießen die Staatsanwälte im Innenministerium auf eine Mauer des Schweigens. Zeugen widerriefen ihre belastenden Aussagen. Fernsehbilder zeigten wachhabende Polizeioffiziere, wie sie nach Gerichtstagen stolz und unterwürfig vor dem angeklagten Ex-Innenminister Habib al-Adly salutierten. Die alte Komplizenschaft ist ungebrochen, die Uniformierten agieren weiter, als hätte es nie eine Revolution gegeben. Und die Bevölkerung muss ohnmächtig mit ansehen, dass der verhasste Polizeiapparat der Mubarak-Ära am Ende wohl weitgehend ungeschoren davonkommt. Nach Meinung der Richter konnte den sechs Polizeigenerälen dann auch nicht nachgewiesen werden, dass sie Teil der tödlichen Befehlskette waren. Und so wird nach diesem Urteil wohl niemand mehr für die Schüsse auf Demonstranten, für die tausendfachen Folterungen und die jahrzehntelange Willkürherrschaft der Sicherheitsdienste zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Mubarak-Prozess in Bildern:

Ähnliches gilt auch für die korrupten Gegengeschäfte der Reichen und Mächtigen im Dunstkreis von Mubaraks Herrscherfamilie. Die Staatsanwaltschaft hatte Alaa und Gamal Mubarak in konkreten Fällen bezichtigt, sich auf Staatskosten bereichert zu haben. Ihre im Prozess angeklagten Taten allerdings liegen mehr als zehn Jahre zurück und sind daher nach Auffassung des Gerichtes verjährt. Beide allerdings sind noch nicht ganz aus dem Schneider. Sie bleiben vorerst in Haft, weil ihnen ein zweites Verfahren wegen illegalen Aktienhandels gemacht werden soll.

Gibt es neue Aufstände in Ägypten?

Gibt es neue Aufstände in Ägypten?
Am Samstagabend jedenfalls strömten wieder mehr als 20000 Menschen auf ihrem Tahrir-Platz in Kairo zusammen und errichteten mit symbolischen Grabsteinen ein Mahnmal für die bei der 18-tägigen Revolution Getöteten. Auch den gesamten Sonntag campierten tausende Menschen auf dem legendären Kreisverkehr, der im Januar 2011 zum Zentrum des Volksaufstandes gegen das Regime wurde. Das verhasste Innenministerium liegt nur wenige Straßenecken vom Tahrir-Platz entfernt. Schon mehrfach in den letzten Monaten hatten Demonstranten versucht, zu dem Gebäudekomplex vorzudringen und ihn in Brand zu stecken. An den Zufahrtsstraßen zum Internationalen Flughafen von Kairo errichtete die Armee Straßensperren, auf den Parkplätzen und vor den Terminals patrouillierten Soldaten.

Mubaraks langsamer Abgang in den Tagesspiegel-Karikaturen:

Was heißt das für die anstehenden Stichwahlen um das Präsidentenamt?
Beide Finalisten polarisieren, alle lagerübergreifenden Konkurrenten sind in der ersten Runde ausgeschieden. Hinter Mohamed Mursi schart sich eisern die disziplinierte Kerntruppe der Islamisten. Ex-Luftwaffengeneral Ahmed Schafik dagegen kann auf die Stimmen der alten Regimekreise zählen, auf Teile des säkularen Lagers und auf die Kopten.

Käme Mohamed Mursi an die Macht, würde das den Islamisten ein Machtmonopol bescheren, was dem alten von Mubarak um in nichts nachsteht. Neben dem Parlament würden die Muslimbrüder künftig die Regierung beherrschen, alle 27 Gouverneure des Landes nach ihrem Geschmack bestimmen und zentrale Posten in der Verwaltung mit genehmen Leuten besetzen. Eine wirksame, institutionell verankerte Machtkontrolle wäre in weite Ferne gerückt – trotz Volksaufstand. Das Gleiche gilt, sollte Schafik gewinnen. Mit ihm als Präsidenten hätten die alten Netzwerke des Mubarak-Regimes endgültig das Gröbste überstanden. Muslimbruder Mohamed Mursi jedenfalls ließ sich am Wochenende für etwa 15 Minuten auf dem Tahrir-Platz blicken. Sein Sprecher warf den Staatsanwälten vor, sie hätten viel zu schlampig gearbeitet und kündigte an, sollte Mursi zum neuen Präsidenten gewählt werden, werde er alles tun, damit Mubarak nie mehr frei komme. Gegenspieler Ahmed Schafik ließ sich nicht blicken, stattdessen wurden zahlreiche seiner Plakate in der Innenstadt demoliert. Im Badeort Hurghada und der Oase Fayoum setzten Gewalttäter zwei seiner regionalen Wahlkampfbüros in Brand. Der 70-jährige ehemalige Luftmarschall gilt als langjähriger Vertrauter Mubaraks und war der letzte von dem gestürzten Potentaten berufene Premierminister. Egal jedoch, ob am Ende Mohamed Mursi oder Ahmed Schafik in den Präsidentenpalast von Heliopolis einzieht, der Tahrir-Platz bleibt. Denn auf den Nachfolger von Hosni Mubarak wartet ein neues Volk, das sich nicht mehr in stumme Duldsamkeit zurückdrängen lässt. Der weltberühmte Kreisverkehr im Herzen Kairos wird seine Dynamik behalten. Er ist der Geburtsort des mündigen ägyptischen Bürgers. Er steht für die Forderung des Volkes nach Partizipation, Rechtssicherheit und Transparenz. Und seit dem Wochenende macht er wieder von sich reden.

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