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München: Sicherheitskonferenz : Wehrkunde war gestern

Statt Verteidigungsexperten dominieren in München die Außenpolitiker – drei Debütanten enttäuschen dabei.

In München kann man der Weltpolitik den Puls fühlen. In manchen Jahren geht er schneller. Vor zwölf Monaten zum Beispiel belebte das Adrenalin, das der Amtsantritt eines neuen US-Präsidenten verbreitete, auch die Sicherheitskonferenz. 2010 herrscht eine andere Stimmung: Ganz viel passiert rund um den Erdball, doch wenig bewegt sich voran. In Ansätzen ist zu spüren, wie sich die Gewichte schleichend verlagern. China tritt immer selbstbewusster auf, Russland grantelt über seinen Bedeutungsverlust, tut aber wenig, um ein attraktiver Partner zu sein. In Afghanistan und im Atomkonflikt mit dem Iran findet sich der Westen allmählich mit der Einsicht in seine Machtlosigkeit ab und wendet sich zögerlich der Notwendigkeit zu, die Folgen einer Entwicklung, die er nicht akzeptieren möchte, aber auch nicht verhindern kann, abzumildern. Der Nahe Osten blockiert sich selbst.

Amerika und Europa versichern sich zwar, wie eng sie bei all diesen Herausforderungen zusammenstehen. Doch es ist unübersehbar, wie unterschiedlich ihre Reflexe funktionieren. Die USA neigen zu harten Antworten, die EU zu weichen.

Als „Elefantenrunde“ hatte Gastgeber Wolfgang Ischinger die Debatte über die Zukunft europäischer und globaler Sicherheit angekündigt, als „Kern“ der dreitägigen Tagung. Drei der vier Teilnehmer sprachen zum ersten Mal in München: die Außenminister Guido Westerwelle (Deutschland), Sergej Lawrow (Russland) und Catherine Ashton (EU); alle drei enttäuschten, jeder auf seine Weise. Der vierte, General James Jones, ist seit 30 Jahren Stammgast in München, nun als Präsident Obamas Sicherheitsberater. Er lieferte das Handwerk, das man in München erwartet: Nüchterne Ansagen, wo Amerika steht und was es zu tun gedenkt.

Eine von Außenministern dominierte Runde als Herzstück einer Konferenz, die früher Wehrkundetagung hieß? Auch das illustriert eine wichtige Entwicklung. Sicherheit wird längst nicht mehr als Militär- und Verteidigungspolitik verstanden. Die Stabilität staatlicher Strukturen, wirtschaftliche und soziale Probleme sind ebenso wichtig.

Westerwelle las eine Rede ab, die sich aus Plattitüden zusammensetzte: „Deutsche Außenpolitik ist wertegeleitet und interessenorientiert.“ Er wolle „Kooperation statt Konfrontation“. Und „deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“. Liegt das an seinen Redenschreibern? Oder daran, dass er ihnen diese inhaltsleere und praxisferne Programmlyrik abfordert, um ja keinen Fehler zu machen? In der Debatte, als er frei sprach, war er besser. Temperamentvoll lobte er den Austausch mit Obamas Regierung zu Afghanistan. Entschieden begründete er, warum ihn das neue Verhandlungsangebot des Iran nicht überzeuge.

Die neue „Außenministerin“ der EU ist noch kürzer im Amt als er; zudem hat sie kaum außenpolitische Erfahrung. Doch als Britin ist Catherine Ashton nicht so theorieverliebt. Praxisnah schilderte sie, was die EU auf dem Balkan, in Afghanistan, in der Ukraine oder Haiti tun kann: administrative Aufbauhilfe und humanitäre Nothilfe. Ebenso klar wurde, was die EU noch lange nicht können wird und vielleicht auch nicht möchte: „harte“ Sicherheitsbeiträge leisten, wie die USA es weltweit tun.

Sergej Lawrow nutzte sein Debüt in München zu einer Strafpredigt. Der Westen habe sein Versprechen einer neuen Phase der Kooperation nach Ende des Kalten Krieges auf den meisten Gebieten gebrochen. Die Nato dehnte sich nach Osten aus. Die Balkankriege und den Georgienkonflikt interpretierte er als Beispiele, wo der Westen das internationale Recht missachtet habe. Ins Zentrum der Lehren daraus stellte er Präsident Medwedews Vorschlag, die OSZE zur zentralen Sicherheitsarchitektur für den Raum von Vancouver bis Wladiwostok auszubauen. Unüberhörbares Motiv dabei war Russlands Frustration, dass sein Einfluss auf die Weltpolitik zurückgeht, weil es nicht Mitglied der EU und der Nato ist – also der Organisationen, die die globale Entwicklung neben UN und G 20 dominieren. Die Frage, ob Moskau bereit sei, über einen Nato-Beitritt zu verhandeln, wischte Lawrow freilich beiseite: Das Angebot komme ja doch nicht, also lohne es nicht, die Theoriedebatte zu vertiefen.

Auch die Bitte, den praktischen Wert der OSZE zu begründen, erfüllte der russische Außenminister nicht. John Kornblum, früher US-Botschafter in Deutschland und nun „Geschäftsmann in Berlin“, wie er sich selbst vorstellte, hatte angeregt, jeder Mitgliedsstaat möge doch eine Liste machen, welche seiner Ziele er in den letzten zehn Jahren dank der OSZE erreicht habe. Lawrow überging das. Sein Auftritt war ein scharfer Kontrast zum chinesischen Außenminister Yang Jiechi am Vortag. Der hatte auf die Frage, ob China eine neue Stärke fühle, entwaffnend offen „ja“ gesagt.

James Jones versuchte, an die Aufbruchsstimmung des Vorjahres anzuknüpfen. Damals hatte Obama nur drei Wochen nach seiner Vereidigung Vizepräsident Joe Biden geschickt, um das Angebot eines Neuanfangs nach Bush zu bekräftigen. Sechs Mal habe Obama seither Europa besucht, argumentierte Jones gegen den verbreiteten Eindruck, dass sich nun doch nicht so viel geändert habe. Nüchtern arbeitete er seine Stichwortliste ab: in Afghanistan den Kampf gegen die Taliban zu Ende bringen; weltweit die Finanzierungskanäle der Terroristen austrocknen; den Iran durch Druck zum Einlenken bewegen; den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang bringen. Es war kein Enthusiasmus zu spüren, weder bei Jones noch im Saal. Die Aussichten sind begrenzt. Aber was wäre die Alternative?

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