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SPD Bundesparteitag

© dpa

Münteferings Abschiedsrede: Abgang ohne Reue

Franz Müntefering räumt in seiner Abschiedsrede auf dem SPD-Parteitag Fehler ein, aber keine eigenen. Viele Delegierten sparen nicht mit Kritik an ihm.

"Und am Ende klatschen sie doch wieder", sagt ein Genosse im Foyer der Dresdner Messehalle empört. Eben hat der scheidende SPD-Vorsitzende auf dem Parteitag der Genossen seine Abschiedsrede gehalten und immerhin vier Minuten freundlichen Applaus erhalten. Rund eine Stunde lang hat Franz Müntefering gesprochen. Über das Wahldebakel, das seine Partei am 27. September erlebt hat. Über seine angeschlagene Partei, die nicht erst seit der Bundestagswahl auf der Suche nach ihrer Identität ist. Über die Demokratie und die Globalisierung hat er geredet, über die Herausforderungen der Zukunft.

Darüber, dass er möglicherweise entscheidende Fehler gemacht hat, erst als Arbeitsminister, dann als SPD-Chef, darüber sprach er nicht.

Dabei wird dem 69-Jährigen ein gerüttelt Maß Anteil an dem 23-Prozent-Desaster angelastet. Für viele Genossen steht Müntefering für die Politik, die die Genossen heute am liebsten rückgängig machen würden.

Das ist drollig. Denn damals, im Oktober vor einem Jahr, als Müntefering ins Amt des Parteivorsitzenden zurückkehrte, da hatten sie ihn gefeiert, obwohl er doch damals schon für die verhasste Rente mit 67 und die Hartz-Arbeitsmarktreformen stand. Sie setzten dennoch auf den alten Kämpfer, denn ihm trauten sie seinerzeit zu, das Ruder noch herumzureißen, die Partei aus ihrer Malaise und Führungskrise zu holen, vielleicht sogar die Bundestagswahl noch gewinnen zu können. Der alte Haudegen, der Planer des erfolgreichen Wahlkampfes von 1998 wurde als Retter in der Not bejubelt.

Damals schluckten die Genossen Münteferings Rente mit 67, grummelnd zwar, aber ohne den Weg grundsätzlich infrage zu stellen. Zu groß war die Angst, die SPD vor Beginn des Superwahljahres in eine Grundsatzdebatte zu stoßen. Zu groß waren auch das Charisma und die Strahlkraft Münteferings. Zu groß die Verführung, mit seiner Hilfe womöglich doch noch an der Macht zu bleiben.

Deshalb ertrug die SPD auch noch einmal Münteferings autoritären Führungsstil. Die Genossen akzeptierten es, dass entscheidende Weichenstellungen im Willy-Brandt-Haus ausgeheckt und erst später an der Basis diskutiert wurden. Dabei war es genau das, was die Parteiführung in Berlin Schritt für Schritt von den Bürgern im Land entfernt hat und die traditionsreiche Debattenkultur dieser Partei nach und nach aushöhlte.

Im Alleingang hatten der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier die Agenda 2010 ausgeheckt. Franz Müntefering, seinerzeit Fraktionschef, drückte sie im Bundestag durch. Auch der Wechsel im Parteivorsitz und die vorgezogenen Neuwahlen 2005 gehen auf Schröders und Münteferings Konto. Den Putsch gegen Parteichef Beck 2008 verabredeten Steinmeier und – einmal mehr – Müntefering alleine. Oben wurde entschieden, unten musste bloß noch zugestimmt werden.

An der Person von Franz Müntefering zeigt sich, wie schizophren die SPD oft ist. Das beklagte auch der Gescholtene selbst in seiner Rede: In der SPD, sagt er, würden Beschlüsse oft einstimmig abgenickt, aber hinterher dann doch kritisiert. Das mache die SPD schwach und lasse sie vor dem Wähler zerstritten erscheinen.

Persönliche Fehler will Müntefering an diesem Tag nicht zugeben. In seiner Analyse des Wahldebakels bleibt er vage und allgemein. "Wir waren für die Wähler kein Feindbild", sagt er, "aber wir waren nicht interessant genug." Die SPD sei eben für viele aus der Mode gewesen bei dieser Wahl. Sicher, es seien in den vergangenen elf Regierungsjahren auch Fehler gemacht worden, aber insgesamt sei der Kurs richtig gewesen. Die SPD sei allenfalls daran gescheitert, "das Richtige in richtige Politik umzusetzen".

Das Wahldebakel der SPD sei nicht das Ergebnis eines Jahres, bilanziert Müntefering. Er will damit sagen: Ihm, dem Parteichef seit Oktober 2008, und dem Kanzlerkandidaten Steinmeier könne man die Wahlniederlage nicht allein anlasten.

In der anschließenden Debatte hagelt es Kritik. Daran, dass Müntefering nichts an dem grundsätzlichen Kurs der SPD infrage gestellt habe. An dem Umgang mit Kurt Beck, der Unbelehrbarkeit der Parteispitze. Daran, dass er längst den Kontakt zur Basis verloren habe.

Und vielleicht stimmt das. Vielleicht hat Müntefering tatsächlich schon längst das Gespür dafür verloren, wie es um seine Partei steht. Ein Hinweis darauf ist die Tatsache, dass sich der 69-Jährige heute keineswegs freiwillig als Parteichef verabschiedet. Sogar nach dem historischen Wahldebakel dachte er noch daran, auf dem Parteitag in Dresden erneut als Parteichef kandidieren zu können, um zumindest den Übergang zu moderieren. Erst spät wurde ihm klar, dass die Partei das nicht mehr mitmachen würde. Der Langgediente, der seine Partei so gut zu kennen glaubt, hatte die Bodenhaftung verloren.

Die Ära Müntefering in der SPD ist vorbei. Doch an den Nachwirkungen seiner Politik und seiner Amtsführung wird die Partei noch lange zu knabbern haben.

Quelle: ZEIT ONLINE

Markus Horeld

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