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Politik: Müssen Ausländer sich anpassen, Frau John? Berlins Ausländerbeauftragte über Erfolge, Enttäuschungen und neue Ideen

In der Türkischen Gemeinde, Frau John, tragen Sie den Ehrentitel „Große Schwester“. Kritiker tun Sie als „Türken-Bärbel“ ab.

In der Türkischen Gemeinde, Frau John, tragen Sie den Ehrentitel „Große Schwester“. Kritiker tun Sie als „Türken-Bärbel“ ab. Haben Sie ein Problem mit diesen Stempeln?

Nein, überhaupt nicht. Das ist eben die Sicht der Menschen, an denen man nah dran ist. Bei der täglichen Arbeit ist es oft die türkische Seite. Und dann gibt es diejenigen, die glauben, dass ich eine Anwältin für Migranten bin. Das bin ich aber nicht. Jede Gruppe in Berlin, deutsche und ausländische, vertritt doch ihre eigenen Interessen. Ich bin Interessenvertreterin für das Zusammenwachsen und Zusammenleben von Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft.

Sind Sie enttäuscht, dass Ihr Vorschlag zurückgewiesen wurde, nach der Pensionierung noch zwei Jahre unentgeltlich weiterzuarbeiten?

Nein, ich bin nur ein wenig verwundert, dass ein Angebot, bestimmte Fragen und Probleme in Berlin in der nächsten Zeit gut zu lösen, nicht angenommen wird. Der fachliche Aspekt spielt bei der ganzen Diskussion leider keine Rolle.

Im Senat scheint Ihre Verabschiedung mittlerweile beschlossene Sache zu sein. Die Sozialsenatorin und der Regierende Bürgermeister sind sich einig, dass dem Amt der Ausländerbeauftragten Autorität genommen würde, wenn die Behördenleiterin ehrenamtlich arbeitet.

Ich würde mich nicht dagegen wehren, bezahlt zu werden. Dann könnte ich meine Rente einem Integrationsprojekt spenden. Ich wollte einfach nur ein Sparangebot machen. Aber es gibt noch ein zweites Argument: Ist denn nun das Jüdische Museum unter der Leitung von Herrn Blumenthal, der das auch ehrenamtlich als One-Dollar-Man macht, etwa im Schwung gehemmt? Das wird wohl niemand ernsthaft behaupten.

Als Richard von Weizsäcker Sie vor 21 Jahren in dieses Amt gehoben hat, gab es in Berlin ein „Ausländerproblem“. Heute wird eher von Integrationsproblemen gesprochen. Was hat sich verändert?

Damals wurde schon die Anwesenheit größerer Zuwanderergruppen als befremdlich empfunden. Heute ist es selbstverständlich, dass wir eine internationale Stadt sind, kulturell und religiös. Dennoch haben wir heute mehr soziale Probleme, als wir sie vor zwanzig Jahren hatten. Damals gab es so gut wie keinen Zuwanderer, der keinen Arbeitsplatz hatte. Der Arbeitsplatz war ja die Voraussetzung, nach Deutschland kommen zu können. Heute sind über 40 Prozent der türkischen Berliner ohne Arbeit. Eine weitere Herausforderung ist die Bildung. Vor 15 Jahren gab es kaum Kinder aus Migrantenfamilien, die bei Schuleintritt noch kein deutsch sprechen konnten. Sie wuchsen in Nachbarschaften auf, in denen viele deutsche Kinder lebten. Sie konnten sich der deutschen Sprache gar nicht entziehen und haben sie ganz automatisch gelernt. Heute ist das eher die Ausnahme, gerade in den Innenstadtbezirken Kreuzberg, Tiergarten und Neukölln.

Weil es schon zum Teil geschlossene ausländische Gesellschaften gibt?

Ja, weil es kulturell und sprachlich in sich abgeschlossene Milieus sind, in denen die Kinder und auch ihre Eltern niemanden mehr treffen, der deutsch beherrscht.

Ist Integration ein aussichtsloser Kampf? Noch immer holen ja viele Türken ihre Frauen aus der Türkei. Dann geht das Sprachproblem wieder von vorne los.

Integration ist ein sehr langfristiger Prozess, eine Jahrhundertaufgabe. Auch ein großer Teil der zweiten Generation ist aus unserer Sicht nicht sehr erfolgreich. Viele haben keinen Abschluss oder nur einen Hauptschulabschluss und nur ein ganz kleiner Teil die Hochschulreife.

Woran liegt das?

Der soziale Hintergrund der Zuwanderer und ihre geringe Bildung spielte in den ersten Jahren in der Konzeption von Integrationsprogrammen gar keine Rolle. Jetzt erst denken wir daran, flächendeckend Deutschkurse für die Neuzuwanderer anzubieten, übrigens auch für die nachgeholten Ehefrauen. Es war eine naive Vorstellung, wer hier lebt, lernt auch deutsch.

Seit ein paar Jahren werden Sprachkenntnisse auch bei der Einbürgerung gefordert. Wer den Test nicht besteht, muss zum Volkshochschulkurs. Ist das notwendig?

Absolut. Erst seitdem Sprachkenntnisse nachgewiesen werden müssen, sind die Deutschkurse ausgebucht. Wenn jetzt das Niederlassungsrecht von ausreichenden Deutschkenntnissen abhängig ist, wird das genauso verlaufen. Die Motivation deutsch zu lernen wird enorm steigen.

Brauchen wir dann überhaupt noch eine Integrationsbeauftragte?

Unbedingt, denn wir stehen ja vor der Umsetzung des neuen Zuwanderungsgesetzes. Hier müssen finanzielle und organisatorische Konzepte erstellt werden. Worauf es mir besonders ankommt ist, dass wir auch bei den Integrationskursen, die ab 2003 für neu Zugewanderte verpflichtend sind, Träger mit ins Boot bekommen, die neben Sprachkursen auch sozialpädagogische Angebote wie Kinderbetreuung und Freizeitangebote machen. Ich kenne alle potenziellen Anbieter von Sprach- und Integrationskursen, die kleinen und die großen. Mir schwebt vor, einen Kooperationsverbund von Sprachträgern zu gründen, damit wir viele verschiedene Kursarten und weitere Betreuungsprojekte anbieten können.

Ist Berlins Zukunft als Einwanderungsstadt gefährdet, wenn Barbara John nicht mehr da ist?

Ich glaube, dass einfach viel auf der Strecke bliebe für Berlin, wenn das nicht fachlich gut und solide weitergeführt würde. Nach dem Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS in Berlin habe ich auch die Verantwortung für die soziale Integration der Aussiedler übernommen. Hier gibt es erste Kontakte mit den Gruppen. Ich plane eine regelmäßige Zeitung herauszugeben, den „Navigator“ zur Orientierung in Berlin. Und es geht um die Zusammenarbeit Berlins mit dem neuen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Da sitze ich in Kommissionen, in denen wir über die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes reden.

Sie haben als Ausländerbeauftragte immer dafür gestanden, dass Integration keine Einbahnstraße ist. Was muss die deutsche Seite leisten? Was muss man von den Einwanderern fordern?

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss sehr viel ändern. Ich glaube, dass das Wort „ändern“ ein Schlüsselwort ist. Wenn wir ein erfolgreiches Einwanderungsland werden wollen, brauchen wir Änderungen. Ein Beispiel: Wir haben keinen einzigen türkischstämmigen Fleischer in der Stadt mit einer Gesellenprüfung. Das ist erstaunlich, weil gerade die Türken wirklich Meister im Zerteilen von Lämmern sind. Warum haben wir keinen? Weil in den Verordnungen zur Gesellenprüfung steht, es muss ein Schwein zerlegt werden. Nun dürfen aber Muslime nicht mit Schweinen hantieren. Ich schlage seit Jahren der Fleischerinnung vor, dies zu ändern. Anatomisch liegt es doch nicht so weit auseinander, das Schwein durch das Lamm zu ersetzen.

Wo liegt dann das Problem?

Es kommt immer wieder das entscheidende Gegenargument: Wieso müssen wir uns denn anpassen, die sollen sich doch anpassen. Ähnlich ist es in den Schulen: Wir wissen, dass die Kinder deutsch nicht zu Hause lernen können. Viele Eltern wollen ihren Kindern ihre Muttersprache vermitteln. Also können diese Kinder nur in der Schule deutsch lernen, aber doch nicht in zwei oder drei Stunden am Vormittag. Wir brauchen deshalb einen längeren Schulbesuch, diese Kinder müssen mehr und länger in der deutschen Schule lernen. Das haben wir alles nicht organisiert. Erst jetzt soll es mehr Ganztagsschulen geben. Also ändern, ändern, ändern. Das kann natürlich nur die Mehrheitsgesellschaft machen. Sie hat die Möglichkeit, Gesetze zu ändern.

Also doch keine Anforderungen an die Ausländer?

Natürlich müssen die zugewanderten Minderheiten den Willen haben, sich zu integrieren. Ich habe aber ohnehin noch niemanden getroffen, der sagt, ich bin nach Deutschland gekommen und will hier so weiterleben wie in meinem türkischen Dorf. Trotzdem tun es viele, weil die Anstrengungen, das zu überwinden, enorm sind. Man müsste abends mehrfach in der Woche einen Deutschkurs besuchen. Viele Frauen müssten erst einmal Lesen und Schreiben lernen, dann noch einen Deutschkurs besuchen. Das sind große Anstrengungen. Wie wir schon lange hier lebende Migranten motivieren können, ist noch nicht klar.

Vor 21 Jahren waren Sie als Integrationshelferin für Gastarbeiter vorgesehen. Der politische Kurs gegenüber den Ausländern blieb jedoch hart, verkörpert durch den damaligen Innensenator Heinrich Lummer. Haben Sie heute noch mit dem Innensenator Probleme?

Weniger mit dem Innensenator als mit der Ausländerbehörde. Dort geht man auf die Probleme der Ausländer zu wenig ein. Das Ausländerrecht wird im Zweifel gegen sie ausgelegt.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Integrationsmöglichkeiten werden einfach vom Tisch gewischt. Ein Fall aus der letzten Zeit: Ein elfjähriges Mädchen aus Marokko durfte nicht zu ihrer hier lebenden Mutter nachziehen. Diese Marokkanerin hatte einen Türken geheiratet, mit ihm vier Kinder hier in Berlin bekommen. Das Mädchen kam dann zu Besuch, durfte aber nicht bleiben, weil die Familie nachweisen muss, dass sie den Lebensunterhalt für alle Kinder bestreiten kann. Der Familie fehlten etwa 50, 60 Euro. Also musste das Mädchen Berlin wieder verlassen, nachdem es hier schon monatelang zur Schule gegangen war. Mit einem enormen Aufwand, auch privaten Engagements – wir fanden für die Frau einen Job in einer Apotheke – haben wir in diesem Fall ein Happy End erreicht. Schlimm ist es auch für vietsische Familien. Sie sind meistens kleine Händler auf Märkten, denen fehlten oft nur 100 Euro im Monat, um ihre Kinder nachholen zu können. Wenn es die Eltern schließlich mit zusätzlichen Jobs geschafft haben, ist das Kind fünfzehneinhalb Jahre alt. Es kann dann keine deutsche Schule mehr besuchen, keinen Schulabschluss machen. Wir haben es dann sehr schnell mit Jugendlichen zu tun, die sich nicht mehr integrieren können.

Wenn Sie sich die zwanzig Jahre noch einmal anschauen, was war Ihr größter Erfolg? Gab es auch etwas, was Sie tief enttäuscht hat?

Glücklich macht mich, dass das Klima in Berlin zwischen den Zuwanderern und den Einheimischen im Großen und Ganzen gut ist. Ich bin stolz darauf, gemeinsam mit den vielen Migrantengruppen in dieser Stadt ein Netzwerk von Projekten geschaffen zu haben. Die Werkstatt der Kulturen ist ebenso ein Erfolg wie die Härtefallkommission und unsere Anti-Diskriminierungsarbeit, die jetzt von der EU als Modell ausgezeichnet wurde. Kämpfen muss ich nach wie vor dafür, dass alle, die längere Zeit hier leben, auch eine Arbeitserlaubnis bekommen. Wenn Zuwanderer jahrelang untätig bleiben müssen, erweckt das den Eindruck, dass man für sie mitarbeiten muss.

Sozialsenatorin Knake-Werner hat betont, Berlin brauche jetzt eine „starke Interessenvertretung für Migranten“. Waren Sie zu schwach?

Mein Politikansatz ist, Probleme zu verhindern. Nicht wie Jeanne D’Arc aufs Schlachtfeld zu reiten, sondern Schlachtfelder zu verhindern. Das ist eine lautlose Arbeit.

Wenn Sie gehen müssen, was wollen Sie dann tun?

Ich will unbedingt wieder da anknüpfen, wo ich 1981 aufgehört habe, nämlich im Lehr- und Forschungsgebiet Deutsch als Zweitsprache. Ich habe ja damals Lehrpläne für die Berliner Grundschule gemacht. Ich habe Lehrer ausgebildet, ein Lehrbuch geschrieben. Die Probleme werden in Berlin erkannt, aber die Arbeit ist seit Anfang der 80er Jahre kaum professionalisiert worden. Es gibt allerdings ein paar gute Ansätze, wir haben beispielsweise didaktische Arbeitsgruppen an der Technischen und der Freien Universität. Ich würde mich gerne daran beteiligen, ein Kompetenzzentrum aufzubauen, einen Verbund von Experten, die in der Lehrer- und Erzieherinnenausbildung dieses Fach richtig vermitteln könnten.

Frau John, in den mehr als zwanzig Jahren Ihrer Amtstätigkeit waren sie Gast bei Hochzeiten aller in Berlin vertretenen Nationen. Haben Sie da eine Lieblingsmelodie mitgenommen?

Im Moment schwirrt mir die alte Melodie von Doris Day im Kopf herum: Que sera, sera, what ever will be, will be, the future’s not ours to see …

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller, Amory Burchard und Brigitte Grunert.

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