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Murdoch: Droht Großbritannien eine Regierungskrise?

Der Abhörskandal der Zeitung "News of the World" weitet sich aus. Premierminister David Cameron gerät immer stärker unter Druck.

Statt kalendergemäß in die Ferien zu fahren, wird das Unterhaus am Mittwoch zu einer Extrasitzung zum „Hackgate“-Medienskandal einberufen. Am Montag trat ein zweiter hochrangiger Polizeibeamter zurück. Der Medienskandal hat sich zum Polizeiskandal ausgeweitet und möglicherweise könnte noch eine Regierungskrise daraus werden. Das scheint jedenfalls die Labour-Partei zu hoffen.

Was wird Premier Cameron vorgeworfen?

Labourchef Ed Miliband warf Premier David Cameron am Montag vor, durch den Skandal „gelähmt“ zu sein und stellte ihm den am Sonntag zurückgetretenen Polizeichef Sir Paul Stephenson als Beispiel hin, der die Konsequenzen aus seiner Nähe zu der eingestellten Zeitung „News of the World“ gezogen habe. Cameron müsse offenlegen, was er bei seinen zahlreichen Treffen mit Verleger Rupert Murdoch und der Chefin der britischen Murdoch-Zeitungsunternehmen, Rebekah Brooks, alles besprochen habe.

Cameron dagegen will die Abgeordneten „über den Stand der Krise“ informieren. Der Premier sieht offensichtlich die Notwendigkeit, seine Vorwärtsverteidigung auszubauen. Seine jüngste Schwierigkeit: Der Rücktritt von Polizeichef Stephenson war mit direkter Kritik an ihm selbst verbunden.

Als die Nachricht vom Rücktritt des Polizeichefs am Sonntagabend kam, war Cameron gerade zu einer lange vorbereiteten Reise nach Afrika aufgebrochen – 25 Unternehmer waren in seiner Begleitung. Ursprünglich sollte die Afrikareise fünf Tage dauern. Nun wird sie auf zwei Tage verkürzt. Denn bisher standen vor allem die Kontakte zwischen den Zeitungen und der Polizei im Zentrum des Skandals, es soll Schmiergeldzahlungen, verkaufte Informationen und Vertuschung durch Polizeiermittler gegeben haben. Mit dem Rücktritt aber lenkte Stephenson die Aufmerksamkeit zurück auf die Nähe zwischen Medien und Politik.

Warum traten Polizeichef Stephenson und der zweite stellvertretende Polizeikommandeur John Yates zurück?

Sir Paul Stephenson trat zurück, weil er die Verantwortung für die allzu große Nähe zwischen der Londoner „Metropolitan Police“ – besser bekannt nach dem Sitz ihres Hauptquartiers in Scotland Yard – und Journalisten der eingestellten Zeitung „News of the World“ (NOTW) übernahm. Auch der zweite stellvertretende Polizeikommandeur John Yates trat am Montag zurück – noch bevor eine Sitzung der Polizeiaufsichtsbehörde über seine mögliche Suspendierung begonnen hatte. Yates hatte 2006 die Ermittlungen geführt und war zum Schluss gekommen, dass die Abhörangriffe der NOTW ein Einzelfall waren, nur zwei Personen wurden angeklagt und verurteilt. Als 2009 neue Beweise vorlagen, wonach es sehr viel mehr Hack- und Lauschangriffe gab, entschied sich Yates erneut gegen eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Die Entscheidung, gab er zu, „war Mist“. Empört wies Yates vergangene Woche im Unterhaus die Frage zurück, ob er selbst von der NOTW Bestechungsgelder angenommen habe.

Warum sind die Rücktritte gefährlich für Cameron?

Polizeichef Stephenson war ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, als vergangene Woche der frühere stellvertretende NOTW-Chefredakteur Neil Wallis verhaftet wurde. Wallis, stellte sich heraus, war von der Polizei 2009 für einen Tageslohn von 1000 Pfund als „PR-Berater “ angeheuert worden. 18 Mal hatte Stephenson Lunch mit NOTW-Chefs – achtmal davon mit Wallis. Als es herauskam, zitierte ihn der wutschäumende Londoner Bürgermeister Boris Johnson in sein Büro – Johnson hat die direkte politische Aufsicht für die Londoner Polizei. Dann meldete die „Times“, Stephenson habe sich eine 12 000 Pfund teure Kur bezahlen lassen – von einer Sanatorien-Kette, deren PR-Berater Neil Wallis war. „Der reine Zufall“, sagte Stephenson. Inzwischen wird geprüft, ob Wallis sich als Informationsvermittler zwischen der Polizei und der NOTW betätigte. Stephenson fragte in seiner Rücktrittserklärung aber, was eigentlich an Neil Wallis so viel schlimmer sein soll als an Andy Coulson, dem Ex- Chefredakteur der „News of the World“, der für Cameron arbeitete.

Denn Wallis habe bei seiner Anstellung als Kommunikationsberater 2009 niemand in Verbindung mit dem Hackskandal gebracht, während Coulson 2007 bereits wegen des Hackskandals zurückgetreten war, als er von Cameron als Kommunikationsberater engagiert wurde. Ihm selbst habe Camerons Beziehung mit Coulson Probleme bereitet, da er sich der politischen Debatte um Coulsons Anstellung wohl bewusst gewesen sei. „Ich wollte den Premier nicht durch die Enthüllung eines Tatverdächtigen kompromittieren, der eine enge Beziehung mit Coulson hatte“. Soll heißen: Der Polizist behauptet zu fürchten, die Ermittlungen könnten zu nahe an den Premier herankommen.

Cameron konterte am Montag in Pretoria, die Nähe zwischen ermittelnden Polizisten und Journalisten sei etwas völlig anderes als ein Journalist, der für die Downing Street arbeitete und versichert habe, er habe nichts mit den Lauschangriffen zu tun gehabt. Er wiederholte seine Aufforderung an die Polizei: „Ermittelt ohne jede Zurückhaltung, egal wohin euch die Untersuchung führt.“ Erst anschließend wurde bekannt, dass ein ehemaliger Reporter von „News of the World“ tot in seiner Wohnung gefunden worden ist: Sean Hoare, der den früheren Regierungssprecher Andy Coulson belastet und behauptet hatte, er sei von diesem zum Abhören von Mailboxen angestiftet worden.

Kann der Skandal Cameron den Job als Premier kosten?

Das bleibt unwahrscheinlich. Niemand würde von einem solchen Rücktritt profitieren – auch nicht die Labour-Partei. Da es keinen eindeutigen Ersatzpremier gibt, würden die Wähler es der Politik nicht verzeihen, wenn sie mitten in der schwelenden Wirtschaftskrise Chaos in der Regierung anrichten würde. An Neuwahlen hat niemand Interesse. Es geht bei den Attacken auf Cameron eher darum, das Renommee des geschickt operierenden Labourchefs Ed Miliband zu erhöhen. Aber der langfristige Schaden könnte enorm sein. Camerons Nimbus als unbescholtener Politiker ist angekratzt. Plötzlich bleiben Labours Vorwürfe von Oberklassen-Arroganz und elitärer Klüngelwirtschaft an ihm hängen. Die britische Gesellschaft ist im Umbruch – nach den Skandalen um Banker, Abgeordnete und ihre Spesen, und nun dem Missbrauch von Pressemacht. Die „Seele der britischen Politik hat sich geändert“, behauptet Labourchef Ed Miliband. Er, nicht Cameron, spricht im Moment den Briten aus dem Herzen.

Und was ist mit Murdoch?

Er wird am Dienstag vor dem Unterhauskomitee auftreten, das dürfte spannend werden – nicht nur für die Aktionäre der amerikanischen Newscorp. die wissen wollen, wie viel Vertrauen sie noch in ihre Unternehmensleiter, die Murdoch-Familie, haben können. Die Abgeordneten wollen wissen, ob es bei „News of the World“ Vertuschungsmanöver gegeben hat und was die Murdochs davon wussten. Das glaubt vor allem der Labour-Abgeordnete Tom Watson, der in dem Komitee sitzt. Abgeordnete wollen auch wissen, ob sie selbst belogen wurden. Die Murdochs selbst wollen sich vor allem entschuldigen und als verantwortliche Unternehmer präsentieren.

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