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Politik: Murks statt Marx

Von Peter von Becker

Nur selten noch melden sie sich in der politischen Arena zu Wort: die Intellektuellen. Fast mutet es schon anachronistisch oder gar nostalgisch an, so als krähte der Hahn der Vor und Nachachtundsechziger wieder mal „Es Pe De“, wenn gerade eben 80 deutsche Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler in einer „Aktion für mehr Demokratie“ zur Unterstützung der Sozialdemokraten aufrufen. Dabei haben sie weniger die Kanzler-Agenda 2010 im Sinn als die jüngste Kampagne des SPD-Parteivorsitzenden. Günter Grass und Peter Rühmkorf, der Schauspieler Günter Lamprecht und der Graphiker Klaus Staeck wenden sich – in doch eher kunstfernen Worten – gegen „international forcierte Profit-Maximierungs-Strategien“. Der Münte also soll Vormund sein in diesen Zeiten der Heuschreckenplage.

Natürlich ist der aktuelle Anlass klar. Heute steht bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen wohl mehr als nur die Macht am Rhein auf dem Spiel. Darum bemüht Rot-Grün bereits das Gespenst einer „anderen Republik“. Obwohl es hauptsächlich um die Wirtschaft und die Arbeitslosen geht, ist wie am Ende der letzten Bundestagswahl wieder das Vokabular eines politischen Kulturkampfs im Schwange. Also fühlen sich auch Künstler und Intellektuelle berufen.

Doch ihr Einfluss ist, spätestens nach 1989, dramatisch geschwunden. In der Folge des 11. September 2001 haben in Amerika zwar noch einmal Geister wie Susan Sontag oder Michael Moore die Debatten belebt. Aber Susan Sontag ist nun tot, und Moore hat seinen Kultur-Wahlkampf verloren. Auch in Frankreich sind die Meisterdenker Foucault, Bourdieu oder Derrida nicht mehr da; und nur weil Sartre, einst Inbegriff des „engagierten Schriftstellers“, dieses Jahr 100 geworden wäre, wärmen sich in Paris ein paar intellektuelle Waisen noch an den Gedenkkerzen. Sartre übrigens war es, der alle seine historischen Irrtümer (im Hinblick auf Mao, Castro oder Pol Pot) ironisch damit bemäntelte, dass Intellektuelle Leute seien, die sich gerne in Dinge einmischen, die sie nichts angehen.

In Deutschland ist diese einmischende Allerweltszuständigkeit längst an die Moderatoren und Teilnehmer der Fernsehtalkshows übergegangen. Als komischer, würdevoller letzter Intellektueller präsentiert sich hier Harald Schmidt. Nicht nur ihm gegenüber gleicht die Herrenriege der seit Jahrzehnten immergleichen politisch-publizistischen Geistesmandarine fast einer Schar biblischer Altbundesbürger: Grass, Jens, Enzensberger, Habermas, Kluge, Walser oder Wapnewski, sie sind alle jenseits der 70 oder gar 80.

Eine halbwegs vergleichbare Ausstrahlung hat nur noch der Philosoph Peter Sloterdijk, vielleicht auch der Soziologe Ulrich Beck, beide um die 60. Kein jüngerer Dichter oder Denker aber erreicht den Nimbus, die essayistische Eloquenz eines Enzensberger. Der freilich hat zur aktuellen Kapitalismus-Debatte nur einen müde angewiderten Zwischenruf beigetragen.

Eigentlich wäre die neue, wegen der Globalisierung und veränderter transnationaler Gesetzmäßigkeiten wirklich neue Kapitalismus-Frage ein Fall für die Intellektuellen. Dann aber müsste es auch neue Antworten oder mindestens Thesen geben. Und nicht nur die bedingten Reflexe einer münteferinghaften Resolution. Die alte Macht der machtlosen Intellektuellen war einmal ihre Moral, ihr Sinn für Recht und Unrecht. Ihr Adressat war dabei die politische Macht. Was aber, wenn die nationale Politik sich als ohnmächtig erweist? Und wenn das ökonomisch Richtige womöglich ein moralisches Unrecht bedeutet?

Tatsächlich müsste dann mindestens auf europäischer Ebene so etwas wie ein neuer Gesellschaftsvertrag ersonnen werden, der größere Unternehmen als profitable, doch nicht selbstzweckhafte Gemeinwesen begreift. Dazu bräuchte es freilich eine politischen Ökonomie und eine philosophische Perspektive, die im „Weltinnenraum des Kapitals“ (so ein Begriff Sloterdijks) statt blinder Ausbruchsinstinkte den Scharfsinn eines neuen, marktwirtschaftlichen Marx artikuliert. Bisher aber haben wir nur lauter Murks.

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