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Politik: Murren statt Jubeln – Türken haben Lust an der EU verloren

Ismael Ulu weiß, dass die Türkei bis zur EU-Mitgliedschaft noch einen weiten Weg vor sich hat, aber er hat schon jetzt die Nase voll. Denn Europa macht ihm Ärger.

Ismael Ulu weiß, dass die Türkei bis zur EU-Mitgliedschaft noch einen weiten Weg vor sich hat, aber er hat schon jetzt die Nase voll. Denn Europa macht ihm Ärger. Ulu betreibt einen Obstladen an der Hauptstraße des Istanbuler Stadtteils Ortaköy. Der 35-Jährige begrüßt seine Kunden mit einem Lächeln und hält gerne ein kleines Schwätzchen. Aber wenn er vom kürzlichen Besuch eines Beamten der Stadtverwaltung erzählt, schimpft er plötzlich wie ein Rohrspatz. „Der sagte mir doch glatt, ich solle meine Obstkisten vom Bürgersteig nehmen, das sei in Europa nicht erlaubt, und wir müssten uns jetzt an die Regeln der EU halten“, schnaubt Ulu.

Wie viele Türken war Ulu noch vor wenigen Jahren begeistert von der Europa-Idee. Inzwischen hat sich sein Enthusiasmus erheblich abgekühlt. Das Ergebnis von Umfragen, wonach die Zustimmung der Türken zum Ziel der EU- Mitgliedschaft in den letzten zwei Jahren von 75 auf 63 Prozent zurückgegangen ist, kann Ulu nur bestätigen. Das hat auch mit den Obstkisten zu tun, aber nicht nur.

Auf den ersten Blick ist die Unlust verwunderlich. Erstmals hat die Türkei bei der EU einen Fuß in der Tür. Seit vergangenem Herbst laufen die Beitrittsverhandlungen; nach mehrmonatigen Vorbereitungen sollen an diesem Montag nun die inhaltlichen Gespräche über die Übernahme von EU-Recht in die türkischen Gesetzbücher beginnen. Ein Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg soll diese neue Phase einläuten. Als erstes von mehr als 30 Verhandlungskapiteln kommen Wissenschaft und Forschung an die Reihe, ein an sich unstrittiges Thema.

Doch vom Obsthändler Ulu in Istanbul bis zur Regierung in Ankara ist fast überall Frust und Enttäuschung zu spüren. Die EU stelle immer neue Forderungen, kritisieren die Türken. Ihrerseits beklagt die EU eine deutliche Verlangsamung des Reformtempos in Ankara – die Stimmung ist so schlecht wie selten zuvor. Außenminister Abdullah Gül ließ am Sonntag sogar offen, ob er an dem Treffen mit seinen Kollegen in Luxemburg teilnimmt: Die geplante Eröffnung der inhaltlichen Verhandlungen könnte also noch platzen.

Grund dafür ist ein neu aufgeflammter Streit um Zypern. Die zur EU gehörende griechische Republik Zypern macht ihre Zustimmung zum Beginn der Verhandlungen mit der Türkei davon abhängig, dass in begleitenden Dokumenten der Zypern-Konflikt und die EU- Forderung nach Öffnung türkischer Häfen für zyprische Güter erwähnt werden. Die Türkei lehnt dies ab, sie bestreitet einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen EU-Bewerbung und Zypern-Konflikt.

Da sich die Botschafter der 25 EU-Staaten in vorbereitenden Gesprächen nicht einigen konnten, müssen dies nun die EU-Außenminister versuchen. Bis zum Ergebnis dieser Beratungen wird Güls Flugzeug auf dem Flughafen von Ankara warten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, die Türkei werde nur an den Verhandlungen teilnehmen, wenn ihre „Ehre“ intakt bleibe.

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