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Politik: Muslime fühlen sich in Europa schutzlos

Islamische Konferenz will Beleidigung der eigenen Religion wie Holocaust-Leugnung bestraft wissen

Muslime fühlen sich mit Blick auf Europa immer mehr wie eine verfolgte Minderheit. Die „Islamophobie“ habe begonnen, in der westlichen Welt den Antisemitismus zu ersetzen, beklagte der türkische Außenminister Abdullah Gül im Parlament in Ankara. Der rechtliche Schutz für Muslime müsse verbessert werden. Die 20 Millionen Muslime in Europa seien ungenügend vor Diskriminierung und Beleidigung geschützt, sagte Gül, der seine Forderungen in zwei Wochen bei einem Treffen mit EU-Kollegen in Salzburg darlegen will.

Die Türkei sieht sich in der Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. Sie ist das einzige muslimische EU-Bewerberland und Führungsmacht in der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC). Wie Güls Äußerungen belegen, agiert die Türkei in der Debatte über die Karikaturen aber vor allem als Sprecherin der Muslime. Er stellte sich hinter die jüngste Forderung der OIC, wonach Muslime in Europa in den Genuss derselben rechtlichen Schutzvorschriften kommen sollten, wie sie für die Erinnerung an den Holocaust gelten. Nach Paragraf 130 Absatz 3 des Strafgesetzbuchs ist es in Deutschland strafbar, unter der Herrschaft der Nationalsozialisten begangene Taten zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen. Was die Mohammed-Karikaturen angeht, würde in Deutschland allenfalls Paragraf 166 greifen, wonach Religionsgemeinschaften nicht beschimpft werden dürfen. Das gilt für alle Religionen – in Abwägung zur Meinungsfreiheit.

Nach Angaben des türkischen Außenministers denke sein Land konkret darüber nach, wie die westeuropäischen Gesetze reformiert werden könnten, um einen besseren Schutz der Muslime zu garantieren. So gebe es in vielen europäischen Staaten Gesetze gegen Antisemitismus, gegen antichristliche Aktivitäten und gegen Anschläge auf Kirchen: „In diese Gesetze müssen auch andere Religionen und besonders der Islam aufgenommen werden.“

OIC-Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglu hatte auf die Verurteilung des britischen Holocaust-Leugners David Irving in Österreich verwiesen und mit Blick auf den Karikaturenstreit gesagt: „Wir wollen überzeugt werden, dass hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.“

Der Vorwurf, die Europäer wollten die Meinungsfreiheit stets nach ihrem eigenen Geschmack auslegen, hat in der Türkei Auftrieb bekommen. Auch die Diskussion in Deutschland über ein Verbot des anti-westlichen Actionfilms „Tal der Wölfe – Irak“ und das Urteil gegen Irving werden in diesem Zusammenhang bewertet. So prangerte Oktay Eksi, Vorsitzender des türkischen Presserats, in der Zeitung „Hürriyet“ die seiner Ansicht nach offensichtliche Heuchelei der Europäer an: Einerseits verurteile ein Gericht Irving wegen Leugnung des Völkermordes an den Juden, schrieb Eksi – andererseits kritisiere dasselbe Europa, dass der Autor Orhan Pamuk in der Türkei vor Gericht gestellt werde, weil er „ohne Beweise“ von der Ermordung einer Million Armenier gesprochen habe. (mit dal)

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