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Im Ernstfall. Kameradschaft ist der Kitt, der die Truppe zusammenhält. Da dürfen Hautfarbe und Bekenntnis keine Rolle spielen.

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Muslime in der Bundeswehr: Kameraden oder Islamisten?

Er spürt das Misstrauen seiner Kameraden. Ferhat Alhayiroglu ist Hauptfeldwebel - und Moslem aus Berlin. Nun schaut der Soldat selbst genauer hin: Die Bundeswehr darf nicht zum Ausbildungscamp für Islamisten werden.

Von Michael Schmidt

Die Nacht ist kalt, die Finsternis total, als Ferhat Alhayiroglu seinen ersten Wachdienst antritt. Der Unteroffizier, seit drei Tagen in Afghanistan, steht auf dem Hauptturm des Außenpostens nahe Kundus und fröstelt. Er trotzt der Müdigkeit an Konzentration ab, was geht, sucht mit dem Nachtsichtgerät die umliegenden Felder nach Angreifern ab. Das Bewusstsein seiner Verantwortung kriecht ihm in jede Faser seiner Uniform: An seiner Wachsamkeit hängen Wohl und Wehe der schlafenden Kameraden.

„Sag mal, wie würdest du eigentlich reagieren“, fragt ihn da einer aus seinem Trupp. „Ich meine: Du bist doch Moslem - darfst du überhaupt auf Moslems schießen?“

Da sind sie wieder, die Zweifel der anderen, die Unsicherheit und die Frage nach seiner Loyalität. Gehört sie den Religionsbrüdern oder seinem Heimatland?

Aber ist die Angst des Kameraden in jener Augustnacht im Jahr 2010, er könnte ihnen in den Rücken fallen, nicht nachvollziehbar? Nach 9/11, den Terror-Anschlägen auf Bali und Djerba, in Madrid und London? Und muss man nicht heute noch viel misstrauischer sein? Im Internet wirbt die Terrormiliz „Islamischer Staat“ gezielt um Kämpfer mit militärischen Kenntnissen. Am Dschihad Interessierte sollten schießen lernen, heißt es dort, sich mit Waffen vertraut machen - auch bei der Bundeswehr. Wo seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 händeringend nach Freiwilligen gesucht wird.

60 islamistische Verdachtsfälle - der MAD ist alarmiert

Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) ist alarmiert. „Wir sehen das Risiko, dass die Bundeswehr als Ausbildungscamp für gewaltbereite Islamisten missbraucht werden kann“, sagt Christof Gramm. Nach dem Angriff auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ Anfang 2015 in Paris konnte man Aufnahmen von Attentätern sehen, die auf eine militärische Grundausbildung hindeuteten. Für Gramm war das ein Weckruf. „Was ist, wenn ein in der Bundeswehr ausgebildeter Islamist so etwas macht und wir haben nichts gemerkt?“

Derzeit bearbeitet der Abschirmdienst 60 islamistische Verdachtsfälle. 24 Soldaten wurden in den vergangenen zehn Jahren als Islamisten eingestuft, nachdem man sie befragt und ihr Umfeld überprüft, Angehörige, Freunde und Arbeitgeber angehört, eigene Geheimdiensterkenntnisse mit denen befreundeter Staaten abgeglichen hatte. Die Bundeswehr hat sie entlassen. Zu groß ist das Risiko, das von einem einzigen Radikalisierten ausgeht. Extremismus werde nicht geduldet, betont der MAD - der neben den islamistischen weit mehr anderen Verdachtsfällen nachgeht: rund 250 rechts-, und einem halben Dutzend linksextremistischen.

Die Bundeswehr wird, wie die Gesellschaft insgesamt, zunehmend multiethnisch und multireligiös. 14,5 Prozent der Bundeswehrsoldaten, in den niedrigen Diensträngen mehr, in den höheren weniger, haben Migrationshintergrund. Geschätzte 1600 Moslems dienen in Uniform, genau weiß das keiner, denn niemand muss seine Religionszugehörigkeit angeben. 1600 von 175.000 Bundeswehrsoldaten - das sind deutlich weniger, als ihrem Anteil an der Bevölkerung entspräche. Was hält sie ab? Das fehlende Bekenntnis dieses Landes zu seinen muslimischen Mitbürgern, denen man als Soldat das Äußerste abverlangt?

Ferhat Alhayiroglu, 34 Jahre alt, Sohn türkischer Eltern, ist in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Zunächst träumt er den Kleine-Jungs-Traum vom Pilotendasein, doch der platzt, als er eine Brille tragen muss. Er macht erst eine Ausbildung bei der Berliner S-Bahn - „das war nicht so wirklich meins“. Dann holt er sein Fachabitur nach, studiert Medizintechnik, will das Studium nur kurz unterbrechen, um seinen Wehrdienst zu leisten - und ist nach der Grundausbildung so angetan, dass er sich für zwölf Jahre verpflichtet. „Das Soldatsein hat mir gefallen. Führen durch Vorbild. Personal- und Materialverantwortung“, sagt Alhayiroglu.

Ferhat Alhayiroglu, 34, in Neukölln geboren, ist Hauptfeldwebel und Moslem.
Ferhat Alhayiroglu, 34, in Neukölln geboren, ist Hauptfeldwebel und Moslem.

© privat

Der Mann mit den raspelkurzen Haaren sitzt auf seiner Terrasse, bei Kaffee und Keksen, streicht sich über den Kinnbart, blickt in den Herbsthimmel über Berlin und sucht nach einer treffenden Beschreibung seiner damaligen Gefühlslage: „Die Kameradschaft untereinander, das Miteinander, das Füreinander - das hat mich einfach überzeugt.“

Seine Eltern waren dagegen. Die Mutter bekniete ihn: „Junge, brich doch jetzt dein Studium nicht ab.“ Der Vater dachte an seine eigene Armeezeit in der Türkei, an Prügelstrafen und Schikanen. Und er erinnerte sich an Berichte über Neonazis in der Bundeswehr. Beide fragten, als sie hörten, dass es nach Erfurt geht: „Muss es denn unbedingt im Osten sein?“

Alhayiroglu weiß um die Attraktivität, die alles Militärische, Waffen, Verdienstorden, Befehl und Gehorsam auf Radikale ausüben, dass die Bundeswehr nicht frei von Antisemiten ist, dass Frauen über sexistische Sprüche, Spott, Schikanen klagen. Und natürlich gibt es unter den Kameraden auch „eher Rechte“, sagt Alhayiroglu. Werde er schon mal komisch angeguckt, hinter seinem Rücken getuschelt. Er kennt sie, die Unsympathischen und Unausstehlichen, die fragen, ob „unser Land jetzt schon von Arabern und Türken verteidigt werden muss“.

Aber er sieht auch: Man kann sich beschweren, Vorgesetzte greifen ein, die Bundeswehr will keine Rassisten und Fremdenfeinde in ihren Reihen. Weil Kameradschaft vielleicht nicht alles ist, aber ohne Kameradschaft alles nichts. Sie ist der Kitt, der die Truppe zusammenhält. „Wenn ich mit Kameraden im Schützenloch liege, vertraue ich ihnen mein Leben an - und sie mir ihres“, sagt Alhayiroglu. Da dürfen Hautfarbe und Bekenntnis keine Rolle spielen.

Hort des Rassismus oder sogar Integrationsmotor?

Also alles Friede, Freude, Baklava - die Bundeswehr als Integrationsmotor? Und Vorbild für die Gesamtgesellschaft? Wohl kaum. Auch dem Hauptfeldwebel ist klar, dass Verbote das Verbotene nicht aus der Welt schaffen.

Ferhat Alhayiroglu ist Moslem, verheiratet, Vater eines achtjährigen Sohns und einer dreijährigen Tochter - und er ist deutsch, mögen viele auch einen „Ausländer“ in ihm sehen. Nur wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, kann in der Bundeswehr dienen. Er versteht sich als Staatsbürger in Uniform. Bereit, sein Leben zu geben. Im Auftrag eines Parlaments, dessen größte Fraktion das „christlich“ im Namen trägt. Zur Verteidigung eines Landes und seiner Werte und Ideale, dessen Kanzlerin der Partei mit dem „C“ vorsteht. Es nervt ihn, immer wieder seine Motive in Zweifel gezogen zu sehen, weil er zu einem anderen Gott betet. Aber er versteht sie auch, die Loyalitätsfrage.

Er wirft sie sogar selbst auf. Überlegungen der Verteidigungsministerin, die Bundeswehr für Nichtdeutsche zu öffnen, hält er für nicht sinnvoll. „Man muss sich schon mit dem Land auseinandergesetzt haben“, sagt er. „Wer sich nicht zugehörig fühlt, der hat bei der Bundeswehr nichts zu suchen.“

Ferhat Alhayiroglu ist Mitglied im Verein „DeutscherSoldat“, der sich für Diversität in der Truppe starkmacht. Er hat sich vorgenommen, es mit Humor zu nehmen, wenn nach einem Anschlag wieder einer fragt: „Du, da hat sich doch jetzt einer in die Luft gesprengt - warten im Himmel wirklich 72 Jungfrauen auf den?“

Wie lassen sich Religion und Soldatsein im Dienstalltag vereinbaren?

Bundeswehrsoldaten holen sich ihr Mittagessen im Polizeihauptquartier im Distrikt Char Darrah, nahe Kundus, Afghanistan - für Moslems muss es "halal" sein. Müsste - denn es ist nicht immer möglich ohne einen gewissen Pragmatismus.
Bundeswehrsoldaten holen sich ihr Mittagessen im Polizeihauptquartier im Distrikt Char Darrah, nahe Kundus, Afghanistan - für Moslems muss es "halal" sein. Müsste - denn es ist nicht immer möglich ohne einen gewissen Pragmatismus.

© picture alliance / dpa

Viele wissen nichts vom Islam, sagt er, und - nach seiner Beobachtung - auch nichts von ihrem eigenen Glauben. Doch wie passen die religiösen Verpflichtungen als Moslem und das Soldatsein in der Bundeswehr ganz praktisch zusammen?

Es ist schwierig, sagt der 34-Jährige, aber möglich.

Was die freundliche Version ist von: eigentlich gar nicht. Jedenfalls nicht ohne Augenzudrücken, kleinere Schummeleien und eine größere Portion Pragmatismus.

Bei den Speisevorschriften zum Beispiel. Dazu gehört: kein Alkohol, klar. Das ist mit ein bisschen Disziplin gut durchzuhalten. Das Essen jedoch muss „halal“ sein, das heißt, verboten ist Schweinefleisch; verboten ist auch alles mit Blut. Deswegen müssen die Tiere geschächtet werden - sterben durch Ausbluten. In Deutschland ist das verboten. Unklar bleibt oft, ob nicht doch Schweineanteile im Essen sind, Gelatine zum Beispiel in Süßspeisen.

„Man muss Abstriche machen“, sagt Alhayiroglu. Sich sein Essen auf der Stube selbst zubereiten. Auf Fisch, Geflügel oder Lamm ausweichen. In der Kantine die vegetarische Variante wählen. Oder, was Ferhat Alhayiroglu vorzieht, ein persönliches Wort mit dem Küchenchef reden. „Da geht eigentlich immer was, wenn man sich erklärt und sagt: Du, in Cordon Bleu ist auch Schwein - nicht im Kalbsschnitzel natürlich, aber in der Scheibe Schinken.“

Anders ist's bei der Marine, auf Schiffen und U-Booten, wo die Auswahl beschränkt ist. Und im Auslandseinsatz, wo es die Einmannpackungen, „Epas“ gibt, die auf religiöse Regeln wenig Rücksicht nehmen. Aber „Typ 3“ zum Beispiel geht: südamerikanisches Gemüsechili. „Und wenn man die A-Karte zieht und die Raviolivariante erwischt, dann fragt man halt den Kameraden und tauscht.“

Fasten im Einsatz? Ein Ding der Unmöglichkeit

Schwierig wird der Truppenalltag im Ramadan. Fasten im Einsatz? Nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Kein Soldat kann weit vor Dienstbeginn aufstehen, um vorm Sonnenaufgang zu frühstücken, keiner nach Bettruhe um 21 Uhr noch lange wach bleiben, um erst nach Sonnenuntergang zu essen. Zudem gilt: „Wir als Soldaten müssen unsere psychische und körperliche Leistungsfähigkeit die ganze Zeit aufrechterhalten“, sagt Alhayiroglu, „im Kampfanzug, mit Marschgepäck, bei in Afghanistan zum Beispiel über 30, teils über 40 Grad. Das funktioniert nicht ohne Essen, und schon gar nicht ohne Trinken“.

Zum Glück ist Allah da nicht so streng. Man kann die Fastentage nachholen, sagt Alhayiroglu. „Das geht - genauso wie beim Beten.“ Moslems sollen fünf Gebete am Tag verrichten. Die Zeiten richten sich nach dem Sonnenstand - nicht nach dem Kampfgeschehen auf dem Schlachtfeld. Im Falle eines Falles aber kann ein einzelnes Gebet ausgelassen und nachgeholt werden, sagt Ferhat, „später am Tag, oder auch ein, zwei Wochen danach“. Klingt wie seine Privat-Theologie, ist aber eine weithin anerkannte Praxis.

Als Moslem kann er überall beten, er braucht nicht einmal zwingend einen Teppich - wichtig ist ein reiner Untergrund. Trotzdem wäre ein "Raum der Stille" schön. „Das muss nicht ein Gebetsraum nur für Moslems sein“, aber eine Rückzugsmöglichkeit wäre wünschenswert. Laut Soldatengesetz haben alle Armeeangehörigen einen „Anspruch auf Seelsorge“. Für Protestanten und Katholiken gibt es Militärpfarrer - einen islamischen Feldgeistlichen gibt es nicht.

"Wenn der evangelische Pfarrer nicht erst googeln muss, was zu tun ist"

Noch nicht. Eigentlich herrscht Einigkeit, in der Politik, im Ministerium, in der Truppe: Eine islamische Militärseelsorge wäre dringend nötig. Zur psychologischen Unterstützung. Für Antworten auf theologische Streitfragen. Aber vor allem für den Ernstfall im Einsatz: Welche Gebete müssen gesprochen werden, wenn ein Moslem im Kampf fällt? Dass die Arme an die Seite zu legen und die Beine auszustrecken sind, der Leichnam rituell gewaschen werden muss, das aber nur ein Moslem, und zwar gleichen Geschlechts, tun darf, das weiß nicht jeder. Und wie sagt man es der Familie? „Da wäre es schon gut, nicht nur einen evangelischen Pfarrer vor Ort zu haben, der das erst mal googeln muss“, sagt Alhayiroglu.

Allein, wenn es konkret wird: Sieben Tage die Woche rund um die Uhr einen Geistlichen abzustellen für 1600 Moslems, die sich rechnerisch auf mehr als 200 Bundeswehrstandorte verteilen, wäre aber - genau: „Einfach unverhältnismäßig“, sagt Alhayiroglu, dem ein im Notfall telefonisch erreichbarer Seelsorger auch für den Anfang genügen würde.

Alle Bewerber sollen sicherheitsüberprüft werden

Das Verteidigungsministerium hält dies ohnehin nicht für die dringlichste Angelegenheit. Es will jetzt die Bundeswehr gegen Dschihadisten und Extremisten in den eigenen Reihen wappnen, indem ab Juli 2017 alle Bewerber bei der Bundeswehr einer Sicherheitsüberprüfung durch den MAD unterzogen werden. Mancher erkennt darin einen Generalverdacht gegen Moslems, ein grundsätzliches Misstrauensvotum.

Und Ferhat Alhayiroglu? Der als Soldat viel Zeit investiert hat, immer flexibel, immer abrufbereit sein muss, „viel zu wenig“ vom Größerwerden seiner Kinder mitbekommen hat. Er nennt den finanziellen Aufwand „Wahnsinn“, die mehr als acht Millionen Euro, die es wohl kosten wird, rund 20 000 Bewerber jährlich zu überprüfen. Aber wenn so ein Basischeck helfe, Extremisten und Kriminelle jedweder Couleur auszusortieren, „warum nicht?“

Ferhat Alhayiroglu wurde auch schon „durchleuchtet“. Das ist bisher nur nötig, wenn einer in einen besonders sicherheitsempfindlichen Bereich versetzt wird. Wer als vertraulich oder geheim eingestufte Akten einsehen kann oder in einem Waffen- oder Munitionslager arbeitet. „Der Arbeitgeber Bundeswehr muss sicher sein, dass du nicht alkohol-, drogen- oder spielsüchtig bist.“ Mit Religion hat das also nichts zu tun. Sollte es, wenn es nach ihm geht, auch künftig nicht.

Der Hauptfeldwebel schaut sich seine Kameraden jetzt auch genauer an, checkt, ob sich einer verdächtig benimmt. „Aber wenn man ständig denkt, es könnte jetzt etwas passieren, dann lebt man die ganze Zeit auf heißen Kohlen.“

„Mein Glaube hat mit dem Glauben der Taliban nicht viel zu tun“, sagt Ferhat Alhayiroglu. Seine Werte findet er im Grundgesetz, nicht im Islamverständnis der Radikalen.
„Mein Glaube hat mit dem Glauben der Taliban nicht viel zu tun“, sagt Ferhat Alhayiroglu. Seine Werte findet er im Grundgesetz, nicht im Islamverständnis der Radikalen.

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Und was hat er in jener Augustnacht dem Kameraden geantwortet? Im Koran kann ein Wort viele Bedeutungen haben, sagt Ferhat Alhayiroglu, deshalb wird er immer wieder unterschiedlich ausgelegt. „Mein Glaube hat mit dem Glauben der Taliban nicht viel zu tun.“ Seine Werte findet er im Grundgesetz, nicht im Islamverständnis der Radikalen. Dem Kameraden hat er das so erklärt: „Wenn ich Polizist wäre, würde ich mir doch auch nicht den Täter und den Tatort aussuchen können - sondern denjenigen festnehmen, der was Unrechtes getan hat.“

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