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Aiman Mazyek

© dpa

Muslime in Deutschland: Locker verbunden

Bei der Mahnwache am Brandenburger Tor hat sich gezeigt: Die Muslime in Deutschland können sich auf keinen gemeinsamen politischen Ansprechpartner für einen Staatsvertrag einigen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was für ein Coup! Aiman Mazyek ist auf einmal das Gesicht der muslimischen Verbände in Deutschland. Bei der Solidaritätskundgebung am Brandenburger Tor stand er eingehakt zwischen Bundespräsident Gauck und Kanzlerin Merkel im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ihn interviewten die Fernsehsender, als sei er der Sprecher der Muslime im Land.

In Wahrheit vertritt Mazyek den kleinsten der vier islamischen Verbände, den Zentralrat der Muslime in Deutschland. Die geschickte Namenswahl verleitet wohl zu der Annahme, er habe eine ähnliche Legitimation und Bedeutung wie der Zentralrat der Juden. Dabei sind nur ein halbes Prozent der rund vier Millionen Muslime in Deutschland dort Mitglied. Lob für den demonstrativen Zusammenhalt und die richtigen Worte ist vor allem von deutscher Seite zu hören.

Die Vertreter der anderen Verbände sind sauer

Die Vertreter der größeren muslimischen Verbände sind hingegen wieder einmal sauer auf Mazyek. Erneut hat er sein Gespür für den Umgang mit Politik, Medien und Öffentlichkeit bewiesen, die Initiative für die Kundgebung ohne größere Absprache an sich gerissen und sie gezwungen, in seinem Schatten mit aufzutreten. Denn was wäre das für ein Signal gewesen: wenn die muslimischen Verbände ihre Rivalitäten in den Tagen nach dem Anschlag von Paris öffentlich ausgebreitet hätten.

Der Zwiespalt – einerseits Stolz auf eine allseits gelobte Solidaritätskundgebung, andererseits Unmut über ihre Genese – verweist auf ein grundsätzliches Problem im Umgang mit dem Islam in Deutschland: Wer ist der Ansprechpartner, wenn die Regierung Vereinbarungen über die Förderung muslimischer Sozial- und Kulturinstitutionen, die Ausbildung muslimischer Religionslehrer und die Prävention von Straftaten anstrebt? Oder gar einen umfassenden Staatsvertrag schließen will?

Muslime sind politische nicht so organisiert wie Katholiken, Protestanten, Juden

Die formale Antwort: Es gibt den Koordinationsrat der Muslime, dem vier Dachverbände angehören. Aber kann er für die Millionen Muslime sprechen? Ihr Organisationsgrad ist geringer als bei evangelischen, katholischen oder jüdischen Einwohnern. Sie können sich nicht auf einheitliche Ansprechpartner einigen. Das ist kein Wunder angesichts der heterogenen Herkunft: aus der Türkei, Albanien, Bosnien, dem Iran, Syrien und anderen arabischen Ländern. Sunniten, Aleviten und Schiiten legen Wert auf ihre je eigenen Glaubensausrichtungen.

Manche Muslime klagen über den an Sippenhaft erinnernden „Bekenntniszwang“ zu Demokratie und den deutschen Gesetzen. Andere empfinden das Bekenntnis als notwendig und befreiend angesichts der verbreiteten Zweifel, was denn Vorrang habe, wenn Scharia und deutsches Recht in Konflikt geraten. Diese Frage richten Kritiker auch an Mazyeks Zentralrat; dessen Internetseiten erweckten mitunter den Eindruck, dass deutsche Rechtsnormen nur gelten, soweit sie nicht im Widerspruch zum Islam stehen.

Bilder des Zusammenhalts können helfen, den politischen Anspruch auf Gehör und Mitsprache zu begründen. Er muss aber in den Mühen des Alltags erarbeitet werden. Die Einigung auf gemeinsame Ziele und Vertreter kann den Muslimen niemand abnehmen.

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