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Am Ziel. Diese Gruppe Flüchtlinge hat es bis Italien geschafft. Viele andere ertrinken, weil die Boote alt und überfüllt sind.

© Giovanni Isolino (AFP)

Muslime sollen Christen über Bord geworfen haben: Religiöser Hass unter Flüchtlingen?

Auf dem Mittelmeer sollen muslimische Flüchtlinge Christen über Bord geworfen haben. Das facht die Diskussion über das Flüchtlingselend auf See neu an.

Ein Zwischenfall auf dem Mittelmeer wirft ein neues Schlaglicht auf die Flüchtlingsdramen, die sich dort Tag für Tag abspielen. Eine Gruppe muslimischer Flüchtlinge soll auf hoher See zwölf Christen über Bord geworfen und zugesehen haben, wie diese ertranken. So haben es – übereinstimmend – sechs gerettete Schwarzafrikaner berichtet. 15 der von ihnen fotografierten und angezeigten Mitreisenden sitzen in Untersuchungshaft. Sie sollen aus Senegal und der Elfenbeinküste stammen. Weil von religiösem Streit unter Flüchtlingen aber noch nie die Rede war, sind die Staatsanwälte mit ihren Bewertungen vorsichtig.

Der genaue Hergang ist unklar

Sicher ist: Es gab Auseinandersetzungen auf dem mit 100 Menschen überfüllten und brüchigen Boot, die Nerven der Flüchtlinge waren zum Zerreißen gespannt, die Wasservorräte am Ende. Da gingen französischsprachige Flüchtlinge auf die Minderheit der anderen, die offenbar aus Nigeria und Ghana stammten, los. Es könnte sich also auch um ethnisch oder national motivierte Attacken gehandelt haben. So oder so, der Sekretär der Italienischen Bischofskonferenz, Nunzio Galantino, stellte fest: Bei dem Vorfall handele es sich „um einen weiteren Schritt in die Barbarei“.

Menschenrechtler fordern Umdenken

Da immer wieder Flüchtlinge bei der Überfahrt über das Mittelmeer ertrinken, meist, weil sie von Schleppern in untauglichen Booten auf den Weg geschickt werden, forderte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Freitag, Flüchtlingen müsse die Möglichkeit gegeben werden, schon vor der Überfahrt über das Mittelmeer Asyl zu beantragen. 70 Prozent der Flüchtlinge, die 2014 im Mittelmeer gerettet worden seien, seien Asylbewerber gewesen, sagte der Generaldirektor der Organisation in Italien, Gianni Rufini, im Deutschlandfunk. Er schlug vor, in nordafrikanischen Städten Zentren einzurichten, wo diese Menschen Asyl beantragen könnten. Damit könne auch der Menschenhandel der Schlepperbanden stark verringert werden. Ähnlich argumentieren auch einige EU-Minister, darunter der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU).

Landgrenzen sind geschlossen

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhard, hält den Vorschlag allerdings für „unrealistisch“. „Das würde dazu führen, dass wir Lager in Nordafrika haben, in denen Tausende dahinvegetieren, weil kein EU-Land bereit ist, sie aufzunehmen“, sagte Burkhard dem Tagesspiegel. Seine Organisation fordert stattdessen ein Seenotrettungsprogramm für das Mittelmeer und eine Öffnung der Landgrenzen für Flüchtlinge aus den aktuellen Krisengebieten Syrien, Irak und Afghanistan. „Seit die Landgrenzen zwischen der Türkei und Griechenland und der Türkei und Bulgarien praktisch abgeriegelt wurden, konzentriert sich der Flüchtlingsstrom wieder auf das Mittelmeer.“

Die meisten kommen über Libyen

Auch der Sprecher des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Adrian Edwards, sprach am Freitag in Genf von einer „hypothetischen Debatte“. Die meisten Flüchtlinge, die von Afrika nach Europa gelangen wollten, harrten in Libyen aus. Dort sei die Einrichtung von Asyl-Zentren allerdings unmöglich, da in Libyen Bürgerkrieg herrsche. Zwischen 500 000 und eine Million Menschen sollen in Libyen auf eine Überfahrt nach Europa warten. Etwa 11 000 Menschen erreichten in den vergangenen Tagen Italien. Das Land wirbt daher seit geraumer Zeit bei seinen EU-Partnern für eine Intervention in Libyen, mindestens jedoch um eine verstärkte Überwachung der libyschen Küste. Einstweilen hat die italienische Küstenwache ihre Patrouillen in dem Gebiet verstärkt – und rettet nun beinah täglich Flüchtlinge aus prekären Situationen. Am Freitag wieder mehrere Hundert. Laut UN-Angaben sollen seit Beginn des Jahres bereits rund 950 Männer, Frauen und Kinder auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen sein. In den ersten vier Monaten 2014 seien es rund 90 gewesen.

Bund und Länder beraten über Unterbringungskosten

In Deutschland wollen Bund und Länder unterdessen am 8. Mai bei einem Spitzentreffen über eine gerechte Verteilung der Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen beraten.

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