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Flüchtlinge erhalten am 07.12.2015 in der Erstaufnahme-Einrichtung des Deutschen Roten Kreuzes von Helfern auf dem Gelände der Technischen Universität in Dresden (Sachsen) Deutsch-Unterrricht.

© dpa

Mut statt Angst: Politische Vorsätze für 2016

Gute Vorsätze haben an Silvester Konjunktur. Ängste überwinden ist zum Beispiel gut. Rauchen aufgeben auch, aber viel besser: politisches und gesellschaftliches Engagement entwickeln. Ein Gastbeitrag.

2015 erschien vielen als Krisenjahr – ganz besonders in Europa. Am Anfang stand der Charlie Hebdo Terror und der nicht enden wollende Krieg in der Ukraine, es folgten Flugzeugabstürze, die drohende Griechenlandpleite und die größte Flüchtlingswelle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Gerade letztere ist seit Sommer das Hauptthema, Woche, nach Woche, nach Woche. Die Pariser Anschläge schließlich setzten noch eines oben drauf. Seitdem drückt sich ein kollektives Gefühl der Bedrohung ganz konkret in der Präsenz bewaffneter Polizisten auf Weihnachtsmärkten und am Bahnhof aus. So also geht das Jahr zu Ende – keine gute Bilanz.

Dennoch: Neben aller Ernsthaftigkeit und Mitgefühl mit den Menschen, die unter den verschiedenen Herausforderungen am meisten gelitten haben, ist es auch wichtig, sich die Fortschritte der letzten 12 Monate vor Augen zu führen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Nicht alles ist in die Hose gegangen. Im Gegenteil. Das Jahr über haben Menschen weltweit Einsatz für eine bessere Welt und Zukunft gezeigt – oft mit viel Erfolg! Zum Ende des Jahres laden wir Sie ein – die Herausforderungen im Hinterkopf behaltend – ein Beispiel an den positiven Entwicklungen nehmen. Sie können Grundlage für ganz persönliche politische Vorsätze sein. Denn 2016 braucht uns alle. Zusammen können wir viel erreichen. Als Inspiration teilen wir unsere politischen Vorsätze für 2016 mit Ihnen:

1. Politisch aktiv sein

Politik sind nicht die Anderen, sondern wir alle. Selbst wenn wir nicht mitmachen wollen, so hat Politik doch immer Einfluss auf uns. Da man sich eh nicht ganz raushalten kann, ist es das beste, mitzumischen und seine Stimme und seinen Einsatz einzubringen.Wer es wirklich ganz erst meint, kann einer Partei beitreten und sich dort austoben. Für den Rest von uns gibt es genug andere Wege, politisch aktiv zu sein. 2015 hat gezeigt, dass Engagement Wirkung zeigt. Seit Monaten sind es ehrenamtliche Helfer und Helferinnen, die sich um die Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten kümmern. Wo der Staat nicht hinterherkommt, springt die Zivilgesellschaft ein. Und so nehmen wir uns für das nächste Jahr konkret vor regelmäßiger an Bürgerinitiativen zur Hilfe für Geflüchtete teilzunehmen. Und es gibt viele weitere Möglichkeiten: Eine Demo besuchen, mit Freunden eine Kampagne starten, Konferenzen und Veranstaltung besuchen und schlaue Fragen stellen.

2. Der Angst ins Auge schauen

2015 haben wir weltweit erlebt, was Angst anrichten kann: Grenzen werden gezogen, es wird gemordet, ausgegrenzt und entmenschlicht. Daher der Vorschlag: Wenn 2015 das Jahr der Angst war, dann sollte 2016 das Jahr des Muts werden. Dazu gehört aber erst einmal, die eigenen Ängste zu erkennen und aufzuarbeiten. Die Angst vor dem Unbekannten ist der Klassiker – im Extremfall sind die Folgen katastrophal: Xenophobie, Homophobie und religiöse Intoleranz zerstören täglich Leben. Auch wenn die meisten ihre Ängste nicht auf die extreme Weise ausleben, so muss doch im persönlichen angefangen werden, sie zu überwinden. Nur so kann zu einem allgemeinen Klima der Toleranz und Offenheit für neues beigetragen werden. Nächstes Jahr werden wir wieder viel zu hören bekommen von Pediga, Trump und Le Pen. Lassen Sie uns im privaten und öffentlichen Leben ein Zeichen dagegen setzen und 2016 ganz bewusst Ängste überwinden. Für uns heißt das konkret, selber Erfahrungen zu machen, statt Ängste anderer zu übernehmen. Meistens zeigt der erste persönliche Kontakt mit dem Unbekannten, dass es alles gar nicht so schlimm ist, wie wir vorher dachten.

Julia Behrend aus Hamburg (2.v.r.) unterstützt am 24.12.2015 in der Notunterkunft Freilassing (Bayern) eine Caritas-Mitarbeiterin. An der österreichisch-bayerischen Grenze zwischen Salzburg und Freilassing sind auch an Heiligabend zahlreiche Helfer im Einsatz, um ankommenden Flüchtlingen zur Seite zu stehen.
Julia Behrend aus Hamburg (2.v.r.) unterstützt am 24.12.2015 in der Notunterkunft Freilassing (Bayern) eine Caritas-Mitarbeiterin. An der österreichisch-bayerischen Grenze zwischen Salzburg und Freilassing sind auch an Heiligabend zahlreiche Helfer im Einsatz, um ankommenden Flüchtlingen zur Seite zu stehen.

© dpa

3. Kritisch sein

Dieses Jahr haben wir ein großes Paradox beobachtet: Probleme werden immer größer, komplexer und globaler. Antworten jedoch oftmals immer kleinteiliger und nationaler. Mehr und mehr versuchen Parteien und Ideologien uns mit möglichst einfachen Normlösungen. Das Rezept: Irgendein anderer ist Schuld! Klingt einfach, ist aber fatal! Eine One-Size-Fits-All Lösung kann es im globalen Zeitalter nicht geben. Daher ist es so wichtig, im persönlichen Leben damit anzufangen, Dinge zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden – damit meinen wir wirklich eine eigene Meinung, nicht eine, die irgendjemand im Nieselregen von einer Bühne brüllt. Mehrere Informationsquellen anzuzapfen und nachzufragen, ist ein guter Anfang. Für uns heißt das konkret, ab Januar verschiedene Zeitungsabos abzuschließen und immer nachzufragen, sollte irgendwas unklar sein.

4. Lust auf Neues

2015 war nicht nur das Jahr der Krisen, sondern auch das des Fortschrittes. Ob Weltklimavertrag, die Öffnung der Ehe in vielen Ländern oder das gewachsene Engagement für die Rechte von Frauen und Kindern. Grundfragen von Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit, für die Menschen seit Jahrzehnten kämpfen, haben vor unseren Augen Erfolge gefeiert. Das sollte ein Ansporn für 2016 sein, weiterhin aktiv für die Weiter- und Fortentwicklung unserer Gesellschaften einzutreten. Dazu gehört auch, offenes für Neues zu sein und zu verstehen, dass keine Gesellschaft der Welt stillstehen kann. Wir sind immer in Bewegung – nach hinten oder nach vorne. Ist nach vorne nicht viel sympathischer? Daher: Neugier und das Denken über Grenzen hinweg sind Motor unseres Jahrhunderts. Halten wir ihn am Laufen! Für uns heißt das, mindestens zwei Länder zu besuchen, die wir nicht kannten, an Fremdsprachen zu arbeiten und vielleicht sogar einen Instagram Account einzuweihen, obwohl wir noch nicht wissen, wie das geht.

5. Europa – jetzt erst recht

2015 war kein dolles Jahr für Europa, aber stimmt das? Vielleicht entdecken wir 2016, dass im vergangenen Jahr die Samenkörner gesät wurden, aus denen zukünftige Lösungsansätze, konstruktives und friedliches Miteinander und kraftvolle Entwicklung entsteht. In vielerlei Hinsicht hat sich gezeigt, dass die Krisen des Jahres Europa nicht nur entzweien, sondern auch zusammenführen: Kommt es hart auf hart, brauchen wir mehr, nicht weniger Europa. Bei Fragen der Sicherheits- und Umweltpolitik, der sozialen und ethischen Fragen wir deutlich, dass nur noch Vergangenheitsverliebte für eine Lösung der großen Probleme auf nationaler Ebene plädieren. Dies ist nämlich gar nicht (mehr) möglich. Und nebenbei hat die EU dieses Jahr sogar gesorgt, dass wir bald keine Roaminggebühren mehr im Ausland zahlen müssen. Auch nicht schlecht. Für uns bedeutet mehr Europa ganz konkret uns über die Funktionsweise der EU schlau zu machen und wirklich verstehen zu wollen, wie Brüssel eigentlich funktioniert. Man sagt, hier werden 70 Prozent aller Gesetze gemacht – da lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen bestimmt.

6. 2016 zu unserem Jahr machen

Im Kern eines jeden Vorsatzes steckt der Glaube, oder zumindest die Hoffnung daran, dass wir es besser können und besser machen sollten. Vorsätze sind also in erster Linie da, um unserem Leben ein Upgrade zu verpassen, auch, weil wir auf den alten Mist keine Lust mehr haben. In der politischen Welt fühlen sich viele Menschen aber ausgeschlossen und ohne viele Einflussmöglichkeiten. Was tun? Unser Vorschlag: Lassen Sie uns 2016 für 366 Tage (es wird ein Schaltjahr) ein Experiment durchführen, und das Jahr zum Jahr der Bürgerbewegungen, der lauten Debatten, der Teilnahme und des Mitmischens erklären. Wenn wir am 31. Dezember 2016 dann merken, es hat alles nicht gebracht und besser fühlen wir uns auch nicht, dann sind wir immerhin schlauer als vorher. Sollten wir aber feststellen, dass unser Einsatz nicht nur die Gesellschaft, sondern auch uns bereichert hat, haben wir noch viel mehr dazu gelernt und nebenbei einen bescheidenen Anteil zur Rettung der Welt geliefert. Der Versuch kann nicht schaden, oder?

Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer betreiben den Blog www.herrundspeer.de

Vincent-Immanuel Herr, Martin Speer

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