zum Hauptinhalt
Wo sind sie geblieben? Familien demonstrieren in Bogotá mit Bildern ihrer vermissten Angehörigen, die von der Guerilla getötet, entführt oder rekrutiert wurden. Wiedergutmachung für die Opfer ist eines der schwierigen Themen der Verhandlungen.

© Guillermo Legaria/AFP

Mut zum Frieden: Kolumbiens Guerilla und Regierung verhandeln in Oslo

Endlich saßen sie an einem Tisch: Kolumbiens Farc-Guerilla und die Vertreter der Regierung in Bogota. Dabei zeichnete sich ab: Die Probleme sind riesig. Die Hoffnungen auf ein Ende des Bürgerkriegs aber auch.

Von

Sie traten gemeinsam vor die Presse. Doch als die Unterhändler der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerilla in einem Hotel nördlich von Oslo ihren Willen zum Frieden bezeugten, traten auch die Spannungen zutage. Es ist der vierte Anlauf zur Beendigung des seit einem halben Jahrhundert andauernden Bürgerkriegs, den die Verhandelnden dieser Tage nehmen. Und die Probleme sind riesig.

Während der Regierungsunterhändler Humberto de la Calle sagte, bei den Gesprächen gehe es nur darum, den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) die demokratische Eingliederung zu ermöglichen, kritisierte der Chefunterhändler der Farc das ungerechte Wirtschaftsmodell, das zu dem Konflikt geführt habe. Der Markt sei ein stiller Mörder, das Agrargesetz benachteilige die Kleinbauern, und multinationale Bergbau- und Energiefirmen raubten die Ressourcen des Landes, erklärte Iván Márquez.

Tatsächlich könnten, wie Günther Maihold von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik vermutet, die Gespräche für die Farc „die letzte Chance“ sein, „mit einem politischen Ergebnis da rauszukommen und ein politischer statt eines gewalttätigen Akteurs zu werden“. Die entscheidende Voraussetzung für die beiderseitige Bereitschaft jetzt einen neuen Friedensprozess anzustoßen, sei aber die späte Einsicht, dass der seit 50 Jahren andauernde, opferreiche Bürgerkrieg militärisch schlicht nicht zu gewinnen sei, sagt Sabine Kurtenbach vom Hamburger Giga-Institut für Lateinamerika-Studien. Alle diesbezüglichen Versuche sind gescheitert. Niemand weiß das besser als der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos, der noch als Verteidigungsminister unter seinem präsidialen Amtsvorgänger Alvaro Uribe die Vernichtung der Farc zu exekutieren versuchte. Jetzt, durch die Wirklichkeit eines Besseren belehrt, hat er als Staatsoberhaupt einen möglicherweise folgenreichen Strategiewechsel vollzogen.

Nach der ersten Runde in Oslo sollen die Gespräche ab dem 5. November hinter verschlossenen Türen in Havanna fortgesetzt werden. Dort wird es dann um die Landfrage gehen, die vor 50 Jahren den Konflikt ausgelöst hatte. Im Verlaufe des Bürgerkriegs hat sich die Landkonzentration noch verschärft. Santos, der bereits ein Gesetz zur Rückgabe von Grundbesitz an Vertriebene auf den Weg gebracht und damit das Terrain bereitet hat, wird mit starkem Widerstand der klassischen Eliten zu rechnen haben. Der Staat, sagt Expertin Kurtenbach, „muss zeigen, dass er in der Lage ist, seine Ziele vor Ort auch durchzusetzen“. Nicht einfach in einem Land, in dem das staatliche Gewaltmonopol nur als Idee existiert und weite Teile des Landes sich der staatlichen Kontrolle entziehen.

Dass der Prozess ein langes und kompliziertes Ringen um Zugeständnisse und Macht wird, ist allen Beteiligten klar. Zu den weiteren kritischen Punkten gehören Kurtenbach zufolge eine etwaige Amnestie auf der einen und die Ansprüche der Opfer auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung auf der anderen Seite. Auch das vom kolumbianischen Kongress kürzlich verabschiedete Rahmengesetz für den Frieden birgt Sprengstoff, etwa das Verbot politischer Betätigung für Guerillaführer, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Weitere Stolpersteine können der Widerstand des Militärs und der Kriegsgewinnler sein: Zu viele Akteure auf beiden Seiten profitieren vom Status quo, einem System, das vor allem auf dem Handel mit Waffen und Drogen beruht.

Eine Einigung wird allen Beteiligten sehr viel Konsens- und Kompromissbereitschaft abverlangen. Die setzt Vertrauen voraus. Vertrauen aber ist ein knappes Gut in Kolumbien. Zu viele Versprechen wurden nicht gehalten. Von beiden Seiten. Die Guerilla nutzte 1999 bis 2002 die für Verhandlungen mit der Regierung entmilitarisierte Zone, um Kämpfer auszubilden, Geiseln zu verstecken und Drogen anzubauen. Die Regierung ließ Farc-Führer in den 80ern erst sich entwaffnen und dann umbringen.

Und doch ist die Hoffnung groß: Die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die von der Guerilla verschleppt worden war und bis zu ihrer Befreiung rund sechseinhalb Jahre lang im Dschungel festsaß, sagte dieser Tage, es sei sehr schwierig zu vergeben, „aber die Belohnung dafür ist Frieden für unsere Kinder und unsere Enkel. Es ist die Chance auf ein blühendes Kolumbien.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false