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Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher begrüßt den Kremlgegner Michail Chodorkowski nach seiner Ankunft.

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Update

Nach Begnadigung: Chodorkowski dankt Genscher für Hilfe bei Freilassung

Der Kreml-Kritiker Chodorkowski ist wieder frei und sein erstes Ziel heißt: Berlin. Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat ihn in Schönefeld vom Flughafen abgeholt. Nun äußerte sich Chodorkowski in einer ersten Mitteilung.

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Der russische Regierungskritiker Michail Chodorkowski ist am Freitag in Berlin gelandet. Das bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Russlands Präsident Waldimir Putin hat nach einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA vom Freitag die Begnadigung des früheren Ölmagnaten Michail Chodorkowski unterzeichnet. Die Unterzeichnung der Begnadigungsurkunde bestätigte die Präsidialverwaltung in Moskau. Der ehemalige Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos war 2003 festgenommen und zwei Jahre später wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt worden.

Chodorkowski hat nach eigenen Angaben keine Absprache über eine Schuld als Bedingung für seine Begnadigung getroffen. „Die Frage eines Schuldeingeständnisses hat sich nicht gestellt“, hieß es am Freitag in der ersten Mitteilung nach seiner Freilassung. „Ich habe mich am 12. November an den Präsidenten gewandt mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände und freue mich über die positive Entscheidung.“ Chodorkowski dankte seinen Unterstützern und vor allem dem früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. „Ich denke besonders an diejenigen, die weiter in Haft sitzen“, hieß es.

Genscher traf sich zweimal mit Putin, um über Chodorkowski zu sprechen

Genscher erklärte in einer Mitteilung, dass er die Entscheidung des russischen Präsidenten begrüße, sie sei bedeutsam und ermutigend auch für andere Fälle. Zugleich dankte er dafür, dass Präsident Putin ihn auf seine Bitte zwei Mal empfangen habe, um über Chodorkowski zu sprechen. Genscher habe nach eigenen Angaben Unterstützung bei seinen Bemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem früheren Außenminister Guido Westerwelle sowie dem deutschen Botschafter in Moskau erhalten. Er habe Chodorkowski in seiner Eigenschaft als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kennengelernt und auch später noch bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen. Die Anwälte Chodorkowskis hätten ihn später gebeten, sie bei ihren Bemühungen um die Freilassung ihres Mandanten zu unterstützen. Er habe das aus humanitären Gründen getan.

Verwirrung um den Verbleib der Mutter von Chodorkowski

Dass Chodorkowski nach Berlin gereist ist, liegt auch an seiner schwer krebskranken Mutter. In russischen Medien und auch in deutschen Regierungskreisen wurde darauf verwiesen, dass sie in der Berliner Charité behandelt worden sei. Derzeit ist sie aber gar nicht in Berlin. Charité-Chef Karl Max Einhäupl wollte sich wegen der ärztlichen Schweigepflicht zwar nicht dazu äußern, ob Marina Chordowskaja in den vergangenen Wochen behandelt wurde, sagte aber dem Tagesspiegel: "Derzeit ist sie definitiv nicht als Patientin bei uns.". Gegenüber "Spiegel Online" sagte Genscher, dass die Mutter am Samstag nachkomme. In der Hektik der Freilassung sei nicht aufgefallen, dass die Mutter gar nicht mehr in Berlin sei.

Die Grüne Marie-Luise Beck, die sich seit Jahren mit dem Fall Chodorkowski beschäftigt und engen Kontakt zu seinem Umfeld hat, verwies darauf, dass es keine Rolle spiele, ob die Mutter derzeit in Berlin sei und das diese jederzeit nachkommen könne. Wichtiger sei die Tatsache, dass Chodorkowski erstmal im Ausland sei. „Über diese Möglichkeit wurde immer wieder gesprochen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Sie zeigte sich glücklich über die Freilassung. „Chodorkowski hat Rückgrat bewiesen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Freilassung Chodorkowskis. „Sie freut sich sehr“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einer „guten Nachricht.“

Russische Geheimdienste sollen laut Medienberichten Druck auf Chodorkowski ausgeübt haben

Der inhaftierte Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski hatte einem Zeitungsbericht zufolge sein überraschendes Gnadengesuch unter Druck der russischen Geheimdienste gestellt. Anfang Dezember habe es ein Gespräch von Geheimdienstmitarbeitern mit dem früheren Oligarchen gegeben, bei dem kein Anwalt zugegen war, berichtete die Zeitung „Kommersant“ am Freitag unter Berufung auf anonyme Quellen. Dabei sei Chodorkowski gesagt worden, dass sich der Gesundheitszustand seiner krebskranken Mutter verschlechtert habe und ihm ein dritter Prozess drohe. Daraufhin habe sich Chodorkowski, der bislang immer ein Gnadengesuch verweigert hatte, an Präsident Wladimir Putin gewandt.

Putin hatte am Donnerstag überraschend die Freilassung Chodorkowskis angekündigt, der sich offen zur russischen Opposition bekannt hatte. Kurz zuvor hatte Putin bekannt gegeben, dass die beiden in Straflagern inhaftierten Musikerinnen der kremlkritischen Punkband Pussy Riot unter die vom russischen Parlament beschlossene Massenamnestie fallen.

Das teilte der Kremlchef vor 1300 Journalisten in Moskau mit. Die Aussage galt als wichtiges Signal an den Strafvollzug, die zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilten jungen Mütter Nadeschda Tolokonnikowa (24) und Maria Aljochina (25) nun freizulassen.

„Sie können theoretisch noch heute herauskommen“, hatte die Anwältin der Putin-Gegnerinnen, Irina Chrunowa, der Agentur Interfax vor Beginn der Pressekonferenz Putins gesagt. Die Angehörigen der beiden Aktivistinnen seien bereits zu den jeweiligen Straflagern gereist, um die Frauen zu begrüßen.

Putin bestätigte zudem, dass 30 Umweltschützer der Organisation Greenpeace unter den Gnadenakt fielen. Damit kommen sie nicht wegen Rowdytums vor Gericht. Sie können nach ihrem Protest gegen Umweltzerstörung in der Arktis das Land jetzt verlassen. Die Staatsduma hatte am Mittwoch eine Massenamnestie beschlossen, die auch einzelne Gegner Putins betrifft.

Verurteilung von Pussy Riot stieß weltweit auf Kritik

Der Strafvollzug hat laut der Anordnung sechs Monate Zeit, den Gnadenakt umzusetzen. Demnach müssen die beiden Frauen von Pussy Riot mehrere Dokumente vorlegen, um in Freiheit zu kommen - zum Beispiel einen Nachweis, dass sie das Erziehungsrecht für ihre minderjährigen Kinder haben. Tolokonnikowa und Aljochina waren im vergangenen Jahr nach einem Anti-Putin-Protest in einer Kirche wegen Rowdytums verurteilt worden. Das Vorgehen der Justiz hatte weltweit Kritik ausgelöst. Die Strafe würde im März enden. Dass sie nun freikommen, werten Beobachter als Zugeständnis des Kremls an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi eröffnet werden. (Tsp, dpa, AFP, Reuters)

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