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Die neue Thatcher: Theresa May

© dpa

Nach Brexit-Votum: Theresa May besucht Angela Merkel: Vorstellungsgespräch im Kanzleramt

Die erste Auslandsreise geht nach Berlin: Die neue britische Premierministerin trifft die Kanzlerin. Dabei wird es um Trennendes gehen - und um eine bemerkenswerten Annäherung.

Sie sei eine „verdammt schwierige Frau“, hat Kenneth Clarke, der frühere Schatzkanzler und führende Pro-Europäer der britischen Konservativen über Theresa May gesagt. Es war vermutlich nicht ganz freundlich gemeint, aber May hat sich das Zitat gern zu eigen gemacht und hinzugefügt, der nächste, der es merken werde, sei Jean Claude Juncker. Aber bevor sie Juncker trifft, kommt sie an diesem Mittwoch erst einmal nach Berlin – das Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel ist das erste, das May nach ihrem Amtsantritt als neue Premierministerin im Ausland führt. Nach einem kurzen Gespräch über die Situation in der Türkei, die Flüchtlingspolitik und „Fragen des Brexit“, wie Regierungssprecher Stephan Seibert es formuliert, denn Antworten wird es so schnell nicht geben, wollen die beiden zusammen ein Abendessen einnehmen – näheres Kennenlernen ist der wichtigste Anlass des Besuchs.
Das Austrittsvotum der Briten, das hat May klargestellt, ist für sie bindend. „Brexit heißt Brexit“, sagt die 59-Jährige. Aber Merkel dürfte daran interessiert sein, welchen Brexit May im Visier hat, es gibt da ja mehrere Möglichkeiten. Die harten EU-Gegner in der britischen Regierung hat May allesamt auf Außen-Positionen gesetzt – Boris Johnson ins Foreign Office, Liam Fox soll neue Handelsbeziehungen in die Welt knüpfen, David Davis den Brexit mit der EU verhandeln. Alle drei stehen für eine klare Trennung von der EU, Davis favorisiert ein bilaterales Handelsverhältnis nach dem Vorbild des Ceta-Abkommens der EU mit Kanada. Dagegen hat der zurückgetretene Premier David Cameron in seiner letzten Rede im Parlament dafür geworben, Großbritannien weiterhin so nahe wie möglich an die EU zu binden, was eher auf eine Assoziierungslösung nach norwegischem oder Schweizer Muster sprechen würde. Oslo und Bern haben dafür die Regeln des EU-Binnenmarktes akzeptiert und zahlen sogar in EU-Töpfe ein.

Freizügigkeit ist das strittige Thema

May, die eine Austrittsgegnerin war, dürfte eine eigene, auf britische Interessen zugeschnittene Variante anstreben. Das Brexit-Votum war stark von der Einwanderungspolitik geprägt, die Freizügigkeit im Binnenmarkt ist nicht mehr nach britischem Geschmack, seit sich viele EU-Bürger, nicht zuletzt aus Polen, dauerhaft auf der Insel angesiedelt haben. Zwar braucht die britische Wirtschaft Zuwanderer, was nicht einmal Johnson abstreitet, aber das Thema erhitzt die Gemüter. Die Erwartung bei den Brexit-Befürwortern ist, dass die Freizügigkeit nicht Teil eines künftigen Abkommens ist. Merkel hat aber schon mehrfach klargestellt, dass es mit ihr keine Vereinbarung geben wird, die den Briten weiterhin einen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt gibt, aber keine Freizügigkeit für EU-Bürger nach Großbritannien. Mays Brexit-Minister Davis glaubt, die EU werde hier einknicken, weil der britische Markt für die EU-Staaten zu wichtig sei. Die Brexit-Hardliner haben für alle Fälle auch schon den Aufenthaltsstatus von EU-Bürgern als Teil der Verhandlungsmasse definiert. Von einem bestimmten Zuwanderungsdatum an wollen sie keine Garantien mehr geben.

May hat sich bisher wenig konkret über ihre Brexit-Vorstellungen geäußert. Die neue Premierministerin sieht ihre Hauptaufgabe erst einmal darin, innen- und wirtschaftspolitisch zu einer Beruhigung der aufgewühlten britischen Gesellschaft zu kommen. Die tiefe Spaltung bei Wohlstand und Lebenschancen, die auf der Insel so tief ist wie in kaum einem anderen EU-Staat und die auch hinter dem Brexit-Votum stand, will May durch ein sozialreformerisches Programm angehen, das teils von der Labour-Opposition geklaut ist, teils aber der sozialen Marktwirtschaft ähnelt, wie sie die CDU vertritt. Dazu gehört unter anderem die Einbindung von Arbeitnehmern in Aufsichtsgremien von Unternehmen. Der Austritt aus der EU bringt eine Phase der Unsicherheit, viele Ökonomen gehen von einer zumindest kurzfristig deutlichen Verschlechterung der britischen Wirtschaftslage aus. Auch deshalb will May ihre Konservativen, seit Margaret Thatchers Amtszeit eine eher rechtsliberale Wirtschaftspartei, wieder volksnäher positionieren und ihnen ein sozialeres Profil verabreichen. Ausgerechnet in der Phase, in der die Zeichen auf eine Trennung der Länder stehen, nähern sich so zumindest die Parteien Mays und Merkels – Tories und Christdemokraten – programmatisch wieder an.

Resoluter Start

May hat sich dafür entschieden, ihre ersten Tage im Amt recht resolut anzugehen. Dazu gehörte auch die klare Aussage, die atomare U-Boot-Flotte des Landes nicht nur zu erneuern, sondern auch gewillt zu sein, deren Atomraketen einzusetzen, wenn nötig. Ob für die neuen "Trident"-Boote in einem Post-Brexit-Haushalt das Geld vorhanden ist (sie kosten mehr als 40 Milliarden Pfund), wird sich zeigen. Die Kabinettsbildung war ein kurzer Prozess – schmerzhaft für nicht wenige bisherige Kabinettsmitglieder und Cameron-Vertraute, allen voran Ex-Schatzkanzler George Osborne und Justizminister Michael Gove (der eigentliche Austritts-Antreiber bei den Tories). Die innenpolitischen Ressorts sind mit moderateren Politikern, meist aus dem Remain-Lager, besetzt worden. Die internationale Neupositionierung Großbritanniens dürfen die Brexiter jetzt zwar angehen, doch sobald May die innenpolitische Konsolidierung, zu der auch die Einbindung der wieder stärker nach Unabhängigkeit strebenden Schotten gehört, auf den Weg gebracht hat, wird sie die Außenpolitik und damit auch die Brexit-Verhandlungen an sich ziehen. Das offizielle Austrittsersuchen dürfte im kommenden Frühjahr gestellt werden. Ein gutes Verhältnis zu Merkel gehört dann dazu, um den Brexit „zu einem Erfolg zu machen“, wie May gesagt hat.

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