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Die Spitzen der Berliner Parteien und andere Politiker stehen am Dienstag vor dem Kondolenzbuch in der Gedächtniskirche.

© Björn Kietzmann

Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz: Berliner Parteien stehen in der Tragödie zusammen

Regierungschef Müller findet die richtigen Worte. Polizei und Rettungskräfte bewähren sich - in der extremen Situation zeigt sich die Landespolitik von ihrer guten Seite.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

In dieser extremen Situation zeigt sich die Berliner Landespolitik von ihrer guten Seite. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und dessen Parteifreund, der neue Innensenator Andreas Geisel, fanden nach dem Terroranschlag die richtigen Worte. Sie reagierten besonnen, mit kühlem Kopf und verzichteten auf hohle Phrasen. Sowohl am Tatort als auch bei der Pressekonferenz am Dienstag im Roten Rathaus, die mit über hundert Journalisten erwartungsgemäß zum medialen Großereignis wurde.

Beide kamen, wie es sich gehört, im schwarzen Anzug. Die Trauer um die Opfer war seit Montagabend das einigende Band. „Wir sind fassungslos“, sagte Müller, und das war ihm auch anzusehen. Nach den kräftezehrenden Koalitionsverhandlungen und dem ersten Zoff innerhalb des neuen Regierungsbündnisses jetzt auch noch das – der Katastrophenfall ist eingetreten.

Ein Ereignis, das Berliner Politiker aller Couleur seit den Anschlägen in Paris, Nizza und anderswo auch für die deutsche Hauptstadt nicht mehr ausgeschlossen hatten. Jetzt ist die „hohe abstrakte Gefährdung“, von der seit eineinhalb Jahren gesprochen wird, zum konkreten Terror geworden.

Die demokratischen Parteien reagierten darauf beispielhaft. Trotz des Fehlschlags bei der Fahndung nach dem Täter verkniff sich auch die Opposition jegliche Schuldzuweisung, vorerst jedenfalls. Der schnelle und gute Einsatz der Sicherheits- und Rettungskräfte wurde von allen Seiten sehr gelobt.

Und das in einer Stadt, in der die Arbeit der öffentlichen Ämter und Behörden seit Jahren zu Recht kritisiert wird. Für den Notfall aber scheint Berlin ordentlich gerüstet zu sein. Ausdrücklich bedankte sich Regierungschef Müller bei Polizei und Feuerwehr, den Rettungskräften und Ärzten in den Krankenhäusern für deren „hervorragende Arbeit“. Auch da lag er richtig.

Solidarität aus Hamburg, München und Paris

Die Amtskollegen aus Hamburg, München, Paris und anderen Städten haben im Roten Rathaus angerufen. Diese Solidarität, so Müller, habe ihn tief bewegt. Jetzt müssten „alle zusammenrücken und zeigen, wie wehrhaft unsere Demokratie ist“. Die Polizeipräsenz in der Hauptstadt wird, mithilfe des Bundes, kräftig und sichtbar erhöht.

Müller bedankte sich auch bei den Medien, ihrem „seriösen Umgang“ mit dem Terroranschlag, und sagte am Ende seines Statements im Roten Rathaus: „So schwierig die Situation ist – Berlin kann es nicht geben ohne das friedliche Zusammenleben der Menschen aller Nationen und Lebensweisen.“

Ein Thema, das noch wichtig werden kann, sobald feststeht, wer den Anschlag vorbereitet und ausgeführt hat: Neben das Gedenken an die Opfer, den Dank an die Retter und den Ruf nach Wachsamkeit trat am Dienstag von rot-rot-grüner Seite der dringende Appell, jetzt nicht Angst und Hass groß werden zu lassen. In einer gemeinsamen Erklärung warnten SPD, Linke und Grüne davor, „die Schreckensnachrichten zu instrumentalisieren und Vorurteile zu schüren“. Auch FDP-Landeschef Sebastian Czaja will keine „vorschnellen Verurteilungen“.

Die Flüchtlingspolitik in Berlin kommt gewiss wieder auf den Prüfstand

Einig waren sich alle, von der CDU bis zu den Linken, dass die freie und offene Gesellschaft nicht klein beigeben darf. „Wir dürfen uns nicht vorschreiben lassen, wie wir zu leben, denken und glauben haben“, sagte Innensenator Geisel am Dienstag. Und so blieb die Forderung, schon „in den nächsten Tagen alles auf den Prüfstand zu stellen: Präventionsprogramme, Sicherheitskonzepte, Polizeitaktik, Gesetze und politische Programme“, vorläufig dem Berliner AfD-Chef Georg Pazderski überlassen.

Es ist aber davon auszugehen, dass der landespolitische Schulterschluss im Schockzustand ab Januar nicht nur von den Populisten auf die Probe gestellt wird. Dann steht im parlamentarischen Alltag die Aufarbeitung des Anschlags und der Ermittlungserfolge (oder Misserfolge) an, auch die Flüchtlingspolitik in Berlin kommt mit Gewissheit wieder auf den Prüfstand.

Ebenso die prekäre Lage von Polizei und Feuerwehr, die unter Aufbietung aller Kräfte ihr Bestes gaben, aber personell, ausbildungsmäßig und von der Ausstattung her nicht in der Lage sind, den Ausnahmezustand dauerhaft zu bewältigen. Der neue Senat wird darauf nach den Feiertagen Antworten geben müssen.

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