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Spannungsreiches Verhältnis: CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im November 2015 auf dem CSU-Parteitag in München.

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Nach dem Anschlag von Berlin: CDU und CSU stehen vor Zerreißprobe

Der Anschlag von Berlin hat eine harte politische Debatte ausgelöst. Die CSU verstärkt die Angriffe auf Merkels Flüchtlingspolitik. Der Union droht ein Fehlstart ins Wahljahr.

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Mit gezielten Attacken auf die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) strapaziert die CSU nach dem Anschlag von Berlin das ohnehin angespannte Verhältnis zur Schwesterpartei – und stellt sogar den geplanten Friedensgipfel infrage. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann forderten wie zuvor Parteichef Horst Seehofer eine grundlegende Überprüfung der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik. CDU-Politiker reagierten uneinheitlich auf den Druck. Während einige Christdemokraten vor voreiligen Schlüssen aus einem nicht völlig aufgeklärten Terroranschlag warnten, sprachen sich andere für schärfere Regeln für Flüchtlinge aus.

Scheuer stellte einen direkten Zusammenhang zwischen Zuwanderern nach Deutschland und Gefahren für die innere Sicherheit her. Nötig sei eine starke Staatsgewalt zur Abwehr terroristischer Gefahren, sagte der CSU-Generalsekretär im ZDF: "Darum geht es jetzt, dass wir alles auf den Prüfstand bringen, nachjustieren, verbessern." Kritik, Seehofer habe ohne Wissen über den Täter voreilig Schlussfolgerungen gezogen, wies Scheuer zurück: Die Bürger erwarteten nun von der Politik, "dass wir handeln".

Der bayerische Innenminister Herrmann erinnerte an die islamistisch motivierten Attentate von Ansbach und Würzburg. Die Täter seien "im Rahmen des Flüchtlingsstroms" nach Deutschland gekommen, sagte er im Deutschlandfunk. "Die Risiken sind offenkundig, und davor dürfen wir doch auch am Ende dieses Jahres nicht die Augen verschließen."

Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl verlangte eine "nationale Kraftanstrengung zur Wiederherstellung in Deutschland". Dazu müssten hunderttausende Flüchtlinge, die ohne Papiere ins Land gekommen seien, "Fall für Fall erneut überprüft werden", sagte der Justiziar der Unionsfraktion im Bundestag dem Tagesspiegel. Es gehe darum, den "Kontrollverlust des deutschen Staates" nach der Öffnung der Grenzen im vergangenen Jahr zu beheben. Andernfalls wisse man weiterhin nicht, wer sich als Gefährder oder Schwerstkrimineller in Deutschland aufhalte.

Die CSU macht seit über einem Jahr Front gegen die in ihren Augen zu großherzige Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel. Die neuen massiven Forderungen nach einer Umkehr sind für die CDU-Parteichefin gefährlich, da sie auch in ihrer eigenen Partei auf offene Ohren stoßen. Ein CDU-Parteitag hatte Merkel zwar kürzlich als Parteichefin bestätigt, zugleich aber Distanzsignale zu ihrer Migrationspolitik beschlossen. Gegen den Willen Merkels verlangte eine Mehrheit der Delegierten, die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abzuschaffen. Die Parteichefin erklärte daraufhin, dies werde nicht Politik ihrer Regierung werden.

CDU-Vize Armin Laschet knüpft sich Horst Seehofer vor

Wie zerrissen die CDU in der Flüchtlingsfrage ist, wurde auch in den Reaktionen von Christdemokraten auf die bayerischen Angriffe deutlich. Parteivize Armin Laschet ging Seehofer scharf an. Es sei "keine normale Herangehensweise an Politik, Schlussfolgerungen zu ziehen, bevor die Polizei die Fakten ermittelt habe", sagte er in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner: "Ich verstehe nicht ganz, was der Sinn der Aussage sein soll." Der Chef der NRW-CDU gilt als entschiedener Unterstützer von Merkels Flüchtlingspolitik.

Andere Christdemokraten forderten dagegen im Sinne der CSU schärfere Abwehrmechanismen gegen Risiken der Migration. Saarlands Innenminister Klaus Bouillon schlug Gesetzesänderungen mit dem Ziel vor, die Identität aller Flüchtlinge lückenlos zu klären. Innenexperte Wolfgang Bosbach sprach sich dafür aus, Flüchtlinge mit völlig ungeklärter Identität und Nationalität nicht mehr einreisen zu lassen. Im Bayerischen Rundfunk äußerte er Zweifel, dass die Flüchtlinge in großer Zahl ihre Ausweise tatsächlich verlieren. "Sind Sie sicher, dass die alle ihre Papiere verlieren? Es ist doch wirklich interessant, fast alle haben ihr Smartphone dabei, aber alle verlieren unterwegs ihre Pässe", sagte er.

Wegen der Zuspitzung des Flüchtlingsstreits nach dem Anschlag droht der Union nun ein Fehlstart ins Wahljahr 2017. Beide Parteien wollten ursprünglich mit einer Art Friedensgipfel Anfang Februar die Basis für die Zusammenarbeit im Bundestagswahlkampf legen. Nun werden die Innenexperten der CSU eigene Vorschläge zur Flüchtlings- und Sicherheitspolitik erarbeiten, mit denen die Schwesterpartei dann konfrontiert werden soll. In der Schaltkonferenz des CSU-Präsidiums am Montag wurde der Friedensgipfel unter Vorbehalt gestellt. Es müssten vorher entscheidende Fragen geklärt werden, sonst ergebe das Treffen keinen Sinn – das war laut Teilnehmern Konsens in der Runde.

Unterdessen kritisierte CDU-Vize Julia Klöckner die AfD scharf, die Merkel für die Toten des Berliner Attentats verantwortlich gemacht hatte. Dies sei "geschmack- und respektlos", erklärte die CDU-Politikerin. Sie habe den Eindruck, "die AfD hat nur darauf gewartet, dass etwas in Deutschland passiert, um perfide Kapital daraus zu schlagen". Führende AfD-Politiker wollten am Mittwochabend an einer Mahnwache für die Toten vor dem Kanzleramt teilnehmen, zu der sie aufgerufen hatten.

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