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Ein Polizeibeamter sichert den Istanbuler Nachtclub "Reina", in dem in der Silvesternacht bei einem Anschlag mindestens 39 Menschen getötet worden sind.

© AFP

Nach dem Anschlag von Istanbul: Welche Feinde hat die Türkei?

Der Anschlag im Istanbuler Nachtclub „Reina“ zeigt erneut die instabile Sicherheitslage in der Türkei. Welche Feinde hat das Land? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Nach dem erneuten Anschlag in der Türkei hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wieder einen unnachgiebigen Kampf gegen den Terror angekündigt. Die „wahren Hintermänner“ sollen bekämpft werden, sagte er in einer ersten Stellungnahme. Die Lage in der Türkei ist gegenwärtig äußerst instabil.

Wie geht Ankara gegen den Terror vor?

Mit der Feststellung von Tayyip Erdogan sind alle einverstanden. „Sie wollen die Moral unseres Landes zerstören und Chaos verbreiten“, erklärte der autoritär regierende Präsident am Sonntag seinen türkischen Landsleuten. Auch nach dem Terroranschlag im schicken Istanbuler Nachtclub „Reina“ kündigt die politische Führung in Ankara Kampf und Vergeltung bis zum Ende an. Der Kampf gegen den Terrorismus – so wird zumindest dem türkischen Wähler gezeigt – ist in erster Linie eine militärische Angelegenheit geworden. Die Armee wirft auf den Unterschlupf der kurdischen Untergrundarmee PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak und auf die Stellungen des „Islamischen Staats“ in Nordsyrien Bomben. Panzer stehen in den mehrheitlich kurdischen Städten im Südosten des Landes, deren Zentren zerstört sind von monatelangen Operationen gegen die Guerilla. Der Zivilbevölkerung stellt die Regierung immer wieder finanzielle Hilfspakete in Aussicht, die Investitionen ankurbeln und den Einfluss der PKK zurückdrängen sollen. Die türkische Justiz wiederum erledigt den nicht-militärischen Teil des Feldzugs und lässt nahezu täglich „Terrorverdächtige“ ins Gefängnis stecken: kurdische Politiker, politisch Liberale, Anhänger des angeblichen Putsch-Organisators Fethullah Gülen, seltener mutmaßliche Sympathisanten oder Mitglieder des IS.

Warum bekämpfen kurdische Extremisten den türkischen Staat?

Seit dem Sommer 2015 ist der Kampf zwischen den kurdischen Extremisten und dem türkischen Staat wieder voll entbrannt. Von 2012 bis 2014 hatte der türkische Staat noch mit der verbotenen, als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhandelt. Der sogenannte „Lösungsprozess“ hatte jedoch schwerwiegende Makel, wie sich herausstellte: Der inhaftierte PKK–Gründer Abdullah Öcalan schien nicht vollen Einfluss über die PKK im Nordirak zu haben, und die neu gegründete prokurdische Minderheitenpartei HDP konnte nie eine wirkliche politische Rolle im Verhandlungsprozess übernehmen. Vor allem aber fehlte ein Fahrplan, der ausgesprochen hätte, über welche Etappen und wohin die Lösung der Kurdenfrage führen sollte. Rückzug und Entwaffnung der PKK-Gruppe innerhalb der Türkei liefen nicht so ab, wie es sich Ankara vorstellte. Zusammenstöße und Gefechte mit der Armee häuften sich im Frühjahr 2015. Die PKK, so lautet der Vorwurf in Ankara, habe heimlich Waffen gehortet und sich auf eine neue Auseinandersetzung vorbereitet. Der rasante militärische Aufstieg der kurdischen PYD und ihrer Miliz YPG im Norden Syriens, entlang der Grenze zur Türkei, war die Erklärung dafür. Regierung wie Opposition in Ankara – mit Ausnahme der HDP – sahen das neue Kurdengebiet Rojava als Bedrohung für den Südosten der Türkei. Die PKK versuchte, das Modell Rojava zu exportieren und begann, jugendliche Anhänger erstmals für einen Kampf in den Städten im Südosten zu mobilisieren. Anschläge auf Polizei und Armee häuften sich. Die Splittergruppe TAK führt im Westteil der Türkei Terroranschläge aus – in Ankara, Istanbul, auch an der Mittelmeerküste –, um das Image der PKK als „Unabhängigkeitskämpfer“ im Südosten wahren zu helfen.

Welche Rolle spielt der „Islamische Staat“?

Manche Augenzeugen im Istanbuler Nachtclub Reina gaben an, sie hätten beim Anschlag arabische Stimmen gehört. Doch am Sonntag war noch unklar, ob der IS tatsächlich einen weiteren Terrorakt in Istanbul verübt hatte, etwa als Vergeltung für den Sturm der türkischen Armee auf die IS-Hochburg al-Bab in Nordsyrien. Ankara hatte in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs sunnitische islamistische Rebellen gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad zumindest toleriert, möglicherweise auch aktiv unterstützt mit der Lieferung von Waffen. Islamistische Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt, der IS rekrutierte einen Teil seiner Milizionäre in türkischen Städten und er konnte die Türkei lange als Transitroute für Kämpfer aus Europa und Asien benutzen. Erst mit der Zunahme von Terroranschlägen in der Türkei, die Ermittler auch offiziell dem IS zuschrieben, wendete sich das Blatt. Staatschef Erdogan begann 2015, dem IS öffentlich jeden religiösen Anspruch abzusprechen. Im August 2016 begann die Armee den Einmarsch in Nordsyrien mit dem als primär deklarierten Ziel, den IS zurückzudrängen. Wichtiger ist Ankara aber, dort die syrischen Kurden in Schach zu halten.

Was ist mit der Gülen-Bewegung?

Die Führung in Ankara ist nun bemüht, das Netzwerk ihres früheren Verbündeten, des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, im eigenen Land wie international als Terrororganisation darzustellen. Lediglich die Konferenz islamischer Staaten (IOC) erkennt mittlerweile die solchermaßen deklarierte FETÖ – Terrororganisation der Fethullah-Anhänger – an. Präsident und Regierung machen Gülen für den Putsch vom 15. Juli vergangenen Jahres verantwortlich. Der Ausnahmezustand, den Erdogan nach dem vereitelten Putsch verhängte, richtet sich aber ebenso gegen die PKK und deren angebliche Unterstützer in der türkischen Gesellschaft. Ankara müht sich nun auch, eine Verbindung zwischen der PKK und Gülen-nahen Militärs aufzuzeigen. Der Kampf gegen die PKK wäre in der Vergangenheit erfolgreicher gewesen, hätte Gülen nicht im Hintergrund die Fäden gezogen, so wird behauptet. Dem Prediger wird nun auch ein Großteil der nicht gänzlich aufgeklärten politischen Morde in den vergangenen Jahren zur Last gelegt. Zuletzt hatte aber auch der Mordanschlag auf den russischen Botschafter in Ankara gezeigt, dass der schnelle Fingerzeig auf Gülen nicht immer belegbar ist. Das könnte auch auf den Anschlag im Nachtclub „Reina“ zutreffen.

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