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Arzneimittel-Kontrolle. Die zuständige EU-Agentur muss aus London verlegt werden, doch wohin ist noch offen.

© Frank May/ picture-alliance/ dpa

Nach dem Brexit: Londoner EU-Behörden sind heiß begehrt

Nach dem Brexit müssen zwei EU-Behörden aus London verlegt werden: die Arzneimittelagentur und die Bankenaufsicht. 23 Städte wollen sie haben.

Kopenhagen wirbt mit den „glücklichsten Menschen der Welt“ und seinem ausgebauten Radwegenetz. Brüssel verweist auf „fashion venues für jeden Geschmack” und allem, „was die Bedürfnisse von Shopaholics befriedigt”. Im Bewerbungsvideo von Malta dominiert der Meeresblick. Mailands Bürgermeister brüstet sich mit seinen zehn Universitäten. Wien will für die nötigen Immobilien lediglich einen Euro pro Jahr verlangen. Und die Osteuropäer argumentieren damit, dass sie nun auch mal dran seien, weil bei ihnen noch keine einzige EU-Agentur angesiedelt ist.

In der Nacht zum Dienstag endete die Bewerbungsfrist für die beiden Behörden der Europäischen Union, die nach dem Brexit schnellstmöglich aus der britischen Hauptstadt ab- und in ein anderes EU-Land umziehen sollen: die Europäische Arzneimittelagentur EMA und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA. Auf der nun ganz offiziellen Bewerberliste stehen 23 Interessenten, vier haben sich sogar doppelt beworben.

Bewerbungen von Amsterdam bis Zagreb

Deutschland ist mit den Städten Bonn und Frankfurt am Main im Rennen. Um die Arzneibehörde darf sich die frühere Bundeshauptstadt in den nächsten Monaten mit zahlreichen weiteren Aspiranten rangeln. Sie heißen Amsterdam, Athen, Barcelona, Bratislava, Bukarest, Kopenhagen, Helsinki, Lille, Mailand, Porto, Sofia, Stockholm, Malta und Zagreb. Die Bankenaufsicht wollen neben Frankfurt auch Prag, Paris und Luxemburg. Für beide Agenturen bewarben sich Brüssel, Wien, Warschau und Dublin – wohlwissend dass es dem Reglement zufolge pro Mitgliedstaat nur eine der beiden Behörden geben kann.

Bis zum 30. September soll die EU-Kommission die Angebote bewertet haben. Entschieden wird im November im Ministerrat, in geheimer Abstimmung.

Das enorme Interesse ist verständlich, schließlich profitiert der Behördenstandort nicht nur vom Umzug der bereits Beschäftigten (derzeit etwa 900 bei der EMA, knapp 200 bei der EBA). Wer den Zuschlag erhält, kann sich auch über viele Zusatzeinnahmen freuen. So richten beide Agenturen pro Jahr Hunderte von Konferenzen und Veranstaltungen mit internationalen Experten aus. Den Londoner Hotels brachte das nach Branchenangaben allein rund 39.000 zusätzliche Übernachtungen jährlich.

Gesundheitsminister: Bonn wäre idealer Standort für Arzneimittelagentur

Für die Arzneibehörde hatten sich in Deutschland deshalb gleich mehrere Städte interessiert. Neben Bonn waren das zunächst auch Hannover, München, Saarbrücken – und Berlin. Als Gesundheits-, Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort habe die Spreemetropole für die EMA „beste Voraussetzungen zu bieten“, tönte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) noch vor kurzem.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) dagegen hatte von Anfang an die frühere Bundeshauptstadt favorisiert. Beim EU-weiten Zulassungsverfahren für Arzneimittel sei die EMA auf enge Zusammenarbeit mit nationalen Zulassungsbehörden angewiesen, argumentierte er. Das renommierte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit seinen 1100 Mitarbeitern befinde sich direkt in Bonn. Und sowohl Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel als auch das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen lägen mit den Standorten Langen und Köln „in unmittelbarer Nähe“.

In der offiziellen Bewerbung der Bundesregierung wird noch die Nachbarschaft eines weiteren Instituts erwähnt: das Deutsche Zentrum für neuro-degenerative Erkrankungen, an dem derzeit die größte Bevölkerungsstudie der Welt zu altersbedingten Erkrankungen läuft. Zudem gebe es in Bonn beste Verkehrsanbindungen, preisgünstigen Wohnraum, internationale Schulen und Kinderbetreuung, Arbeitsmöglichkeiten für Ehepartner, jede Menge Natur und Kultur.

Deutschland macht sich selber Konkurrenz

Blickt man in die Auswahlkriterien, auf die sich die EU-Kommission verständigt hat, dann könnten solche weichen Faktoren tatsächlich wichtig werden. Allerdings wollen die Entscheider auch die regionale Verteilung berücksichtigen. Das spräche für die osteuropäischen Bewerber, denn in Kroatien, Rumänien, Bulgarien und der Slowakei gibt es bisher noch keine einzige EU-Agentur. Außerdem macht sich Deutschland selber Konkurrenz. Denn bei allem Lobpreis für Bonn als idealen EMA-Standort: Auf die Bankenaufsicht in Frankfurt will die Bundesregierung ebenso wenig verzichten. Zumal die Chancen, hier den Zuschlag zu bekommen, deutlich höher liegen dürften.

Frankfurt sei „aufgrund der Kombination aus sehr guter Infrastruktur, den vielen internationalen Banken und Versicherungen sowie der bestehenden Struktur aus der Europäischen Zentralbank, der Versicherungsaufsicht Eiopa sowie der Deutschen Bundesbank, der BaFin, dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) und dem europäischen Aufsichtsmechanismus (SSM) das bedeutendste Finanzzentrum in Kontinentaleuropa“, stellte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier am Dienstag klar. Die Ansiedlung der Bankenaufsicht sei „der nächste logische Schritt“.

Luxemburg versucht es mit angeblichem Rechtsanspruch

Die größte Konkurrenz für Frankfurt komme aus Paris, meint Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Luxemburg mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und dem Euro-Rettungsfonds ESM ist als Konkurrent aber auch nicht ohne. Um sich im Standort-Wettbewerb durchzusetzen, macht dessen Regierung sogar einen Rechtsanspruch geltend. Sie verweist auf eine europäische Vereinbarung von 1965, wonach Finanzinstitutionen in ihrem Land anzusiedeln seien. Dass man die Europäische Zentralbank (EZB) nach Frankfurt und die EBA nach London verlegt habe, seien lediglich Ausnahmen gewesen.

Für böse Überraschungen könnte allerdings das Wahlverfahren sorgen. Es sieht vor, dass alle 27 EU-Staaten ihren Favoriten drei Punkte geben. Zwei Punkte erhält der aus ihrer Sicht am zweitbesten Qualifizierte, einen Punkt bekommt die Nummer Drei. Erst in der zweiten und gegebenenfalls dritten Wahlrunde würde jedes Land nur noch eine Stimme haben.

Wenn sich alle Bewerberländer nun selber gleich zu Beginn drei Punkte verpassten und den Rest aus taktischen Gründen an die aus ihrer Sicht chancenlosesten verteilten, könne dies schon in der ersten Runde zum Ausscheiden der am besten Qualifizierten führen, warnen Insider. Außerdem seien Absprachen zwischen einzelnen Ländern möglich, um ihre Erfolgsaussichten zu erhöhen. Der "Eurovision Song Contest" lässt grüßen.

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