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Welches Miteinander wird es geben?

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Nach dem Brexit: Welche Optionen hat London beim Verhältnis zur EU?: Britische Beziehungskisten

Auch nach dem Brexit wird Großbritannien wirtschaftliche Verbindungen zur EU suchen. Doch welche Möglichkeiten gibt es? Wie hoch sind die Kosten? Und wie wahrscheinliche sind sie?

Theresa May hat eines mit Angela Merkel gemeinsam. Sie wandert gern. Ihre Ferien verbringt sie seit Jahren in der Schweiz, oben in den Bergen, auch in diesem Sommer. Sie mag anspruchsvolle Touren. Vielleicht hilft ihr das in den kommenden Monaten und Jahren auch politisch. Denn der Brexit, das wird immer deutlicher, wird für Großbritannien kein Strandspaziergang, sondern eine schwierige Treckingtour, mit gefährlichen Pfaden auf unbekanntem Terrain in mutmaßlich widrigen Wetterbedingungen. Wie weit ihr die EU-Kollegen dabei helfen, ist unklar. An diesem Montag treffen sich Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande und Italiens Premier Mattheo Renzi  auf einer Insel vor Neapel, danach reist Merkel nach Estland, Tschechien und Polen, und am Freitag trifft sie sich mit den Kollegen aus Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederlanden. ES geht darum, das informelle Treffen der 27 Regierungschefs (ohne die Briten) am 16. September in Bratislava vorzubereiten. Das Problem der "Rumpf-EU" (ein Begriff, der in leichter Verdrehung der Tatsachen derzeit auf der Insel gern gebraucht wird): Niemand weiß bisher, was konkret die britische Regierung überhaupt will.

Wie weit ist die britische Regierung?

Denn die britische Politik ist weitgehend planlos in das Brexit-Abenteuer gestolpert, weil nahezu alle Beteiligten glaubten, das Referendum am 23. Juni werde, wenn auch knapp, den Verbleib in der EU bringen. Das Problem ist, dass beim Referendum nur gefragt wurde, ob die Briten in der EU bleiben wollen oder den Staatenverbund verlassen möchten. Um das konkrete Verhältnis nach einem Brexit sowohl zu Europa als auch zu vielen anderen Ländern, mit denen die EU Handels- und Wirtschafstabkommen geschlossen hat, ging es nicht. Nach wie vor ist daher unklar, was Mays Slogan „Brexit bedeutet Brexit, und wir machen einen Erfolg daraus“ eigentlich genau meint. Eine Regierungslinie ist auch zwei Monate nach dem Austrittsvotum nicht zu erkennen. May hat nur gesagt, das Vereinigte Königreich wolle weiterhin „Zugang“ zum EU-Binnenmarkt. Das eröffnet mehrere Möglichkeiten, wobei May offenbar eine „maßgeschneiderte Lösung“ anstrebt, ein Modell, „das noch nicht auf dem Tisch liegt“. Zudem will sie die die Einwanderung von EU-Bürgern, die beim Stimmenkampf vor dem Referendum eine große Rolle spielte, „kontrollieren“ – in der Formulierung klingt eine gewisse Offenheit an. Und sie hat angekündigt, den Austrittsantrag nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrags erst Anfang des kommenden Jahres zu stellen.

Bis dahin, das ist die Erwartung der EU-Partner, soll auch klar sein, wie man sich in London zumindest grundsätzlich das künftige Verhältnis zur Europäischen Union vorstellt – damit beide Verhandlungen parallel geführt werden können. Doch Mays Tory-Partei ist gespalten. Die  Brexit-Hardliner um den Austrittsminister David Davis und den Handelsminister Liam Fox wollen eine möglichst lockere Verbindung zur EU, die Moderaten um May und Schatzkanzler Philip Hammond dagegen sind eher daran interessiert, die Bindungen so eng als möglich zu gestalten (wo Außenminister Boris Johnson mittlerweile steht, ist nicht ganz klar). Die neuen Ministerien von Davis und Fox, welche die Verhandlungen leisten sollen, sind noch gar nicht arbeitsfähig, ihnen fehlen kundige Beamte, und der Versuch, ganze Abteilungen vom Außenministerium abzuspalten, stößt dort auf Widerstand.  Zudem gelten Johnson, Davis und Fox als, gelinde gesagt, eigenwillig. Der frühere konservative Europapolitiker Brendan Donnelly, der die Partei längst verlassen hat, merkte dazu an: „Die Partner in der EU werden erwarten, dass die Verhandlungen mit einem Mindestmaß an Kooperationsgeist, gutem Willens und politischem Realismus geführt werden. Es gibt wenig Hinweise in der jüngsten Geschichte der Konservativen Partei, dass sie insgesamt zu einem solchen Verhalten in der Lage ist.“

Was kommt auf die Briten zu?

Charles Grant vom renommierten Centre for European Reform zählt sechs verschiedene Gesprächsrunden auf, die von der britischen Regierung jetzt vorbereitet und in den nächsten Jahren geführt werden müssen. Erstens sind das die Austrittsverhandlungen mit den EU-Partnern (eine eher überschaubare Aufgabe), zweitens – ungefähr zeitgleich beginnend – die Gespräche über die künftige Verbindung zur EU. Da diese weitaus länger dauern wird als der reine Austritt, muss es drittens eine Art Zwischenlösung geben für das Verhältnis, in dem Großbritannien zum EU-Binnenmarkt steht.  Bei allen drei Vereinbarungen hat jedes EU-Mitgliedsland ein Vetorecht. Viertens ist London verpflichtet, wieder Vollmitglied in der Welthandelsorganisation (WTO) zu werden – bisher wird es dort quasi durch die EU vertreten. Das bedeutet, der WTO einen Plan vorzulegen, wie die britische Zollpolitik aussehen soll – was allerdings praktisch erst möglich sein wird, wenn das Verhältnis zur EU einigermaßen klar ist. Dem britischen Vorschlag für die WTO müssen alle 163 Mitgliedstaaten zustimmen. Fünftens steht Großbritannien vor der Aufgabe, alle 53 direkten Handelsverträge der EU mit Drittstaaten neu zu verhandeln – das kann, muss aber nicht schnell gehen, denn auch hier werden, sagt Grant, viele Handelspartner erst einmal abwarten, wie der britische Deal mit der EU aussieht. Und sechstens muss die Regierung in Westminster noch viele Nachfolgeregelungen in Bereichen wie Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung für bestehende Vereinbarungen innerhalb und auch außerhalb der EU treffen. „Je länger die britische Regierung braucht, um all diese Gespräche abzuschließen, umso schlimmer wird die Unsicherheit für die britische Wirtschaft“, resümiert Grant. „Mays Regierung wird damit Anreize haben, sich kompromissbereit zu geben.“ Anders gesagt: London ist in all diesen Gesprächen die Seite, die im Zweifelsfall nachgeben muss. Und die Uhr tickt von dem Moment an, in dem der Austrittsantrag gestellt ist. Mit jedem Tag wird dann die britische Verhandlungsposition ein bisschen schlechter.

Was sind die wirtschaftlichen Hauptprobleme eines Brexit?

Großbritannien hat eine stark von Dienstleistungen geprägte Wirtschaft. Diese machen 80 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Klassische Industrieproduktion spielt eine weit geringere Rolle als etwa in Deutschland. Fast 40 Prozent der Exporte im Service-Sektor gehen in die EU. Und bei den Dienstleistungen haben vor allem Finanzprodukte ein starkes Gewicht, die Londoner City ist der bei weitem wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes. Bisher können Finanzfirmen mit Sitz in London oder Aberdeen ihre Produkte auch in anderen EU-Ländern anbieten, ohne dort Niederlassungen gründen zu müssen – dieses „Passporting“ ist äußerst lukrativ. Steigt Großbritannien aus der EU aus, ist dieser Vorteil erst einmal weg. Die Gefahr ist, dass ein erklecklicher Teil des Geschäfts aus London abwandert – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Steuereinnahmen. Für den konservativen Politiker Bernard Jenkin, er ist einer der Brexit-Hardliner, ist das kein Problem. „Frei zu sein von den zerstörerischen Aspekten der EU-Regulierung ist weitaus wichtiger für unsere langfristige globale Stellung als das Passporting“, schrieb er in der „Financial Times“.

Zudem ist Großbritannien nach 40 Jahren im gemeinsamen Markt eng in die europäische Arbeitsteilung mit ihren Produktions- und Lieferketten eingebunden, etwa in der Autoindustrie. Nach einem Austritt könnte daher das Produzieren auf der Insel für manches Unternehmen nicht mehr so günstig erscheinen, wegen dann entstehender Zollprobleme. Ähnliches gilt auch für die wachsende Digitalwirtschaft, die ohnehin grenzüberschreitend angelegt ist. Je nachdem, wie die künftigen Handelsbeziehungen ausfallen, kann der EU-Austritt also auch Arbeitsplätze kosten.

Wie realistisch ist das Norwegen-Modell?

Eine Option, in die vor allem EU-Anhänger auf der Insel Hoffnungen setzen, darunter weite Teile der Wirtschaft, ist das „Norwegen-Modell“. Das skandinavische Land ist, etwas verkürzt gesagt, wirtschaftlich ein Mitglied der EU, aber nicht politisch. Es gehört - zusammen mit Island und Liechtenstein – dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der stark integriert ist in den Binnenmarkt. Doch haben die EWR-Staaten weder Sitz noch Stimme in den politischen Gremien der EU. Für den lukrativen Zugang zum Binnenmarkt müssen die drei Länder sämtliche relevanten EU-Bestimmungen umsetzen, ohne an deren Entstehen formell beteiligt zu sein. Sie zahlen in sämtliche EU-Fonds ein, deren Programme sie nutzen, Norwegen ist dabei ein größerer Nettozahler als Großbritannien und Frankreich, gemessen am Beitrag je Einwohner. Oslo akzeptiert auch die Freizügigkeit von EU-Bürgern (umgekehrt können sich auch Norweger überall in der EU niederlassen). Eine Pflicht zur Einführung des Euro gibt es aber nicht. Großbritannien könnte als EWR-Mitglied eine eigene Landwirtschaftspolitik betreiben, eine eigene Fischereipolitik, eigene Regionalförderung. Da EWR-Mitglieder nicht Teil der Europäischen Zollunion sind, müssen sie sich nach außen nicht an die EU-Zollpolitik halten. Andererseits unterliegen damit aber ihre Einfuhren in den Binnenmarkt der Zollkontrolle – was für Importeure nicht ganz billig ist, und für Unternehmen mit Lieferketten eher umständlich, vor allem, wenn sie mit Partnern außerhalb der EU arbeiten. Die EU-Herkunftsregeln verlangen nämlich, dass die Anteile an einem Produkt aus Nicht-EU-Ländern gering sind, damit nicht Dumpingwaren auf den Markt kommen.

Die Ökonomen Swati Dinghra und Thomas Sampson von der London School of Economics stellen fest, Großbritannien müsse als EWR-Mitglied „mehr Souveränität aufgeben als beim Verbleib in der EU“. Nach ihren Berechnungen müsste London 83 Prozent der Summe zahlen, die bisher netto in EU-Töpfe fließt. Andererseits ist das Norwegen-Modell die Lösung mit den geringsten Austrittskosten. Die Brexit-Hardliner lehnen es jedoch vehement ab, denn auch künftig alle EU-Regeln übernehmen zu müssen, ohne mitbestimmen zu können (nicht zuletzt bei Regulierungen für die Finanzbranche), ist für sie undenkbar. Jenkin sagt, der EWR sei einst eingerichtet worden, um EWG-Beitrittskandidaten die Annäherung zu erleichtern, und nicht als „Belohnung für den Austritt“. Zudem hat die Regierung in Oslo angedeutet, man wolle die Briten gar nicht im EWR. Europa-Ministerin Elisabeth Vik sagte der Zeitung „Aftenposten“: „Es ist nicht sicher, ob es eine gute Idee wäre, ein großes Land in diese Organisation zu lassen. Das würde die Balance verändern, was nicht notwendigerweise Norwegens Interesse ist.“ In der Fischereipolitik etwa käme es wohl zu Konflikten.   

Könnte die EWR-Mitgliedschaft eine Zwischenlösung sein?

Mays Hinweis auf eine maßgeschneiderte Lösung und ihre ablehnende Reaktion, als Handelsminister Fox kürzlich den Austritt aus der Zollunion ankündigte, könnten auf ein abgeändertes Norwegen-Modell hindeuten: also Mitgliedschaft im EWR plus Zollunion. Das könnte auch die notwendige Übergangslösung sein: Großbritannien bliebe noch eine Zeit lang wirtschaftlich nahe am Status quo, was die Herauslösung aus dem Binnenmarkt erleichtern würde. May könnte versuchen, bei der Freizügigkeit Zugeständnisse zu bekommen – etwa indem EU-Bürger nur nach Großbritannien kommen dürfen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Das könnte dann zu dem Punktesystem für die Einwanderung passen, das die Tory-Rechte gern einführen würde. Eine solche Zwischenlösungen könnte freilich irgendwann dauerhaft werden, weil die Verhandlungen ansonsten nicht weiterkommen. Das ist jedoch nicht im Sinne der Austrittsfraktion bei den Konservativen, weshalb sie auch hier massiv Widerstand leisten werden. Zumal die Mitgliedschaft in der Zollunion ihnen eines ihrer Hauptanliegen verhageln würde: die völlige Freiheit für eine globale Freihandelspolitik, die dazu dienen soll, mit lukrativen Verträgen mit Schwellenländern die Verluste des EU-Austritts zu kompensieren. Allein das Verlassen der Zollunion wäre teuer, der konservative Londoner Thinktank „Open Europe“ schätzt, dass die Kosten sich auch längerfristig auf mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung belaufen werden. Dennoch sagt dessen Ko-Direktor Raoul Ruparel: „Es macht keinen Sinn, die EU zu verlassen, aber in der Zollunion zu bleiben.“ Das Vereinigte Königreich könnte dann keine eigenen Handelsverträge mehr schließen. Denn Mitglieder der Zollunion müssen den gemeinsamen Zolltarif gegenüber Drittstaaten anwenden. 

Wie realistisch ist das Schweizer Modell?

Die Schweiz ist (mit Norwegen, Island und Liechtenstein) Mitglied in der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta), einer Organisation, der vor dem EU-Beitritt auch Großbritannien angehörte. Die Schweizer, die nicht dem enger angebundenen EWR angehören wollen, nutzen die Efta als Basis für ihre Anbindung an die EU. Es gilt Freihandel bei allen Waren außer Agrargütern, ansonsten sind die Wirtschaftsbeziehungen über Dutzende Einzelverträge geregelt, worunter auch einzelne Dienstleistungen fallen. Die Schweiz zahlt ebenfalls Geld in EU-Töpfe (vor allem für neue Beitrittsländer) und akzeptierte die Freizügigkeit von Personen. Nachdem ein Schweizer Referendum 2014 hier ein Stopp-Signal setzte, wird das aber derzeit verhandelt. Doch insofern könnte die Schweizer Situation in die Londoner Vorstellungen passen. Interessenkongruenzen gibt es zweifellos auch zwischen der Londoner City und der Schweizer Finanzindustrie. Aber die Schweiz hat sich bereit erklärt, ähnlich wie Norewegen alle relevanten EU-Regulierungen zu akzeptieren – also auch die im Finanzsektor. Zudem ist das Schweizer Modell mit seinen vielen Einzelverträgen kompliziert, und es dauerte zehn Jahre bis zum Verhandlungsabschluss. Andererseits sind die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Regeln der EU nicht Teil des Abkommens, die Schweiz muss sich auch nicht an Brüsseler Vorgaben bei Verbraucherrechten oder in der Klimapolitik halten. Allerdings müssen alle Importe aus der sämtliche EU-Regeln einhalten, weshalb in der Praxis hier eine Art Zwang herrscht, Brüssel zu folgen. Kurzum: Die Schweizer Lösung brächte mehr Unabhängigkeit als das Norwegen-Modell, aber auch weniger Zugang zum Binnenmarkt. Zudem ist unklar, ob die vier Efta-Mitglieder die Briten im Verein haben wollen, die nach einem Beitritt natürlich das Sagen haben wollen. Nach einem Bericht der „Financial Times“ haben Vertreter der britischen Finanzbranche signalisiert, sie könnten mit einem „aufgepeppten“ Schweizer Modell leben. Gut möglich also, dass der „maßgeschneiderte“ Wunsch aus London auf ein ähnliches Modell hinausläuft.

Bilaterale Handelsverträge – Kanada

Diejenigen, die mit dem Brexit einen tatsächlichen Bruch mit der EU verbinden, träumen jedoch eher von einem Kanada-Modell. Brexit-Minister Davis hat Ceta, also den noch nicht abgeschlossenen Vertrag zwischen der EU und Kanada, als Vorbild für die künftige Beziehung Großbritanniens zur EU genannt. Ceta ist ein klassisches Handelsabkommen, in dem in einem Vertragswerk alle Aspekte der künftigen Beziehungen zusammengeführt werden. Es ist also weniger flexibel als das Schweizer Modell. Allerdings sind Verträge wie Ceta (oder auch TTIP mit den USA) sehr umfangreiche und juristisch hochkomplexe Konstrukte, die eine sehr lange Verhandlungszeit beanspruchen. Es geht darin nicht nur um das Maß an Freihandel, also letztlich Zölle, sondern um weit mehr: Standards bei Industrieprodukten und Dienstleistungen, Regeln für Rechtskonflikte, Ausnahmen von Regeln und die Berücksichtigung von vielfältigen Besonderheiten. Typischerweise betreffen bilaterale Handelsverträge vor allem die Senkung von Barrieren im Warenverkehr, seltener gehören Dienstleistungen dazu. Ein Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien, dessen Wirtschaft stark vom Dienstleistungssektor geprägt ist, dürfte daher noch komplizierter sein. Zudem ist Großbritannien als der kleinere Partner kaum in der Position, der EU die Linie zu diktieren. Es dürften daher eher die EU-Regeln sein, die in einem bilateralen Vertrag das Maß der Dinge sind. Das trifft natürlich britische Kernbranchen wie Finanzen oder Pharma besonders. Auch ist die Verflechtung Kanadas und der EU weitaus geringer. Nur 10 Prozent des kanadischen Exports geht in die EU, nicht zuletzt sind es Rohstoffe. Dagegen gingen 45 Prozent der britischen Exporte 2014 in die EU, und 53 Prozent der Importe kamen aus der EU. Ceta wurde von der EU-Kommission gerade für die Mitbestimmung der nationalen Parlamente geöffnet. Damit hat jedes EU-Parlament ein Veto-Recht bekommen. Das macht die Sache für London nicht einfacher.

Was bleibt, wenn diese Modelle nicht klappen?

Sollte die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens ohne Folgevereinbarung enden, wäre das Land auf die geltenden WTO-Regeln verwiesen. Es hätte dann gegenüber der EU den Status der USA oder Chinas. Es gibt dann Regeln für den Handel mit Waren, sonst aber wenig. Und das heißt: Alle britischen Ausfuhren in die EU würden automatisch teurer, bei Dienstleistungen gäbe es weitaus höhere Barrieren als jetzt. Und die EU-Regularien müssten dennoch beachtet werden. Zwar könnte die Londoner Regierung dann in großer Freiheit Handelsverträge mit allen Staaten außerhalb Europas abschließen, müsste dabei aber wohl den eigenen Markt stark öffnen, was zwar den Konsum verbilligt, aber der produzierenden Industrie auf der Insel nicht  nützen wird. Im Übrigen müsste nach WTO-Regeln Großbritannien der EU ähnlich günstige Einfuhrbedingungen wie Drittstaaten zugestehen. Und ob das Land gegenüber den USA zum Beispiel auch auf Augenhöhe verhandeln kann wie die EU derzeit bei TTIP, das glaubt wohl auch in London niemand.

Doch man sieht: Es gibt einige Optionen für das künftige Verhältnis zur EU und zum Binnenmarkt. Diese haben jedoch nach Einschätzung praktisch aller seriösen Ökonomen eines gemeinsam: Sie sind weniger attraktiv als die Vollmitgliedschaft in der EU. Und sie werden die Wirtschaftsleistung Großbritanniens dauerhaft schmälern, das Minus wird, je nach Option und Berechnungsart, von verschiedenen Einrichtungen in einer Spanne ein Prozent bis acht Prozent taxiert – mit entsprechenden Wohlstandsverlusten gegenüber der Fortführung der Mitgliedschaft. Während eine EWR-Lösung die geringsten Auswirkungen hätte, sind sie bei einem Austritt ins WTO-Reglement am höchsten. Zudem gehen dem Staat durch den Austritt schon kurzfristig Einnahmen verloren, nach Schätzungen des Londoner Institute for Fiscal Studies zwischen 24 und 47 Milliarden Euro, bezogen auf 2020. Der geplante Budgetausgleich und die Schuldenverringerung müssten um Jahre verschoben werden.

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