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Vor dem Gericht in Istanbul stehen Panzer.

© Tolga Bozoglu/dpa

Nach dem Putsch in der Türkei: Verfolgte im eigenen Land

Das Volk hat Angst. Brüder, Väter, Kinder sind verhaftet. Und Akademiker wollen nur eines: weg. Unsere Blendle-Empfehlung.

Eine Frau sitzt auf dem Steinboden und weint leise in ein Taschentuch, ihr Sohn legt ihr tröstend die Hand auf die Schulter. Eine andere spricht hastig in ihr Telefon, lässt dabei aber die Tür zum Gerichtssaal nicht aus den Augen. Die Menschen drängen sich hinter der metallenen Absperrung im imposanten Istanbuler Gerichtsgebäude, sie hoffen, einen Blick auf ihre Söhne, Brüder, Ehemänner zu erhaschen – Soldaten der türkischen Armee, die unter dem Verdacht stehen, am Putschversuch beteiligt gewesen zu sein.

Polizisten in Uniform bahnen sich ungeduldig einen Weg durch die Menge. Als eine blonde Anwältin mit schwarzem Talar durch die Absperrung läuft, wird sie sofort von den Wartenden umringt. Wer wurde festgenommen? Und wer nicht? Fällt heute eine Entscheidung?

Da erscheinen am anderen Ende des Ganges Soldaten, die im Gänsemarsch mehrere Männer zum Gerichtssaal führen. Die Menge müder Familienangehöriger schwappt ihnen entgegen, die Leute sind aufgeregt, eine junge Frau ruft den Namen ihres Bruders, den sie in der Gruppe Verhafteter zu erkennen glaubt. Als er hinter einer der Türen verschwindet, bricht sie in Tränen aus.

Emine und Ahmet Yildiz* sind vor vier Tagen aus ihrer Heimatstadt, einem Ort in der Nähe von Pamukkale, nach Istanbul gereist. Seitdem harren sie auf dem marmornen Boden des Gerichtsgebäudes aus. Nachts laufen sie durch die Stadt. Sie haben keine Verwandten in Istanbul und auch kein Geld für ein Hotel. Egal, sagt Ahmet Yildiz, an Schlaf sei sowieso nicht zu denken.

Ihr Sohn, 24, hat sich wenige Monate vor dem Putschversuch als Berufssoldat verpflichtet, weil er nach dem Studium keinen Job finden konnte. Samstagmorgen wurde er verhaftet. Er war Fahrer eines Lastwagens, aber mehr wissen die Eltern nicht. Nur ein Telefongespräch habe es gegeben, es gehe ihm gut. „Wir haben ihn heute Morgen gesehen“, sagt Emine Yildiz. „Ich habe seinen Namen nicht gerufen, das hätte ihn traurig gemacht, aber ich habe ihm zugelächelt. Ich wollte ihm doch Mut machen.“

Es sind arme Familien, die mit ihnen auf dem Gang ausharren. Ahmet Yildiz, der wie seine Frau zum Mindestlohn in einer Fabrik arbeitet, sagt, dass er nicht wütend sei. „Aber mein Herz ist gebrochen.“ Der Sohn sei ein einfacher Rekrut gewesen, der seinem Kommandanten unterstand. Er, sein Sohn, die ganze Familie würden ihr Land lieben. „Aber es muss eine Demokratie für alle geben.“

Die Feiern auf den öffentlichen Plätzen, die „Demokratiewachten“, zu denen die Regierung über Fernsehansprachen, SMS und die Minarette aufruft, machen Yildiz Angst. Jede Nacht ziehen die Erdogan-Anhänger durch die Straßen, um lautstark ihren Triumph zu demonstrieren. „Unser Sohn wird zum Terroristen erklärt. Aber unsere Nachbarn feiern. Das finde ich nicht richtig.“

Seit Mittwochnacht herrscht der Ausnahmezustand in der Türkei. Wenn die Regierung davon spricht, dass sich diese Maßnahme nicht gegen das „Volk“ richte und im Alltag für Normalbürger kaum zu spüren sein werde, dann meint sie damit ihre eigenen Anhänger.

*Namen geändert

Die vollständige Reportage lesen Sie für 45 Cent im digitalen Kiosk Blendle.

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