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Nach dem Rücktritt: Wie müsste der ideale Nachfolger von Christian Wulff aussehen?

Wulff ist weg. Die Suche hat begonnen. Welchen Kriterien muss der oder die Neue entsprechen?

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Was Wulffs Nachfolgerin oder den Nachfolger auszeichnen muss, lässt sich in wenigen Sätzen skizzieren: „Es sollte eine Person sein, die Autorität und Stimme hat und die den Menschen in unserem Land etwas zu sagen hat, die sympathisch ist. Vor allem braucht das Amt jetzt Kontinuität und neue Autorität – und danach sollten wir suchen.“ Der Beschreibung des idealen Kandidaten, die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wenige Stunden nach Wulffs Rücktritt abgab, könnten in ihrer abstrakten Form sicher alle demokratischen Parteien zustimmen. Doch je konkreter man die Kriterien beschreibt, je näher man die unterschiedlichen politischen Absichten der Präsidentenmacher an der Spitze von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen anschaut, um so schwieriger wird es, eine Persönlichkeit zu finden, in der sich alle vier Bundestagsparteien und auch ein Großteil der deutschen Gesellschaft wiederfinden können. Die Linke wurde von Kanzlerin Angela Merkel gar nicht erst eingeladen.

Alle Beteiligten wollen diesmal sicher sein, dass der neue Präsident über die nötige Härte verfügt, auch gegen Widerstand zu bestehen. Zu frisch ist die Erinnerung daran, dass Horst Köhler 2010 aus dem Amt floh, weil Oppositionspolitiker ihm unterstellten, er befürworte Handelskriege im Dienst deutscher Interessen. Das dritte Staatsoberhaupt innerhalb von zwei Jahren muss stark und verlässlich sein, um das Präsidentenamt wieder zu stabilisieren. Eine Laufbahn als Berufspolitiker ist dafür nicht die unabdingbare Voraussetzung, aber doch ein starkes Argument. Im Einzelfall könnten auch andere Erfahrungen Widerstandskraft belegen – etwa bei einem Kandidaten Joachim Gauck sein Leben als unkorrumpierbarer Pfarrer in der DDR-Diktatur.

Christian Wulff hatte vor seiner Wahl nicht erkennen lassen, dass er Integration zum Thema seiner Präsidentschaft machen würde – aber er war 2010 eben auch lediglich schwarz-gelber Kandidat. Wer zugleich Koalition und Opposition überzeugen will, muss sich fragen lassen, mit welcher wichtigen Botschaft er die Deutschen beeindrucken will. Wulffs Einladung zur Integration weiterzutragen und auszubauen wäre sicher ein Thema, das auch die Opposition überzeugt – nur ist mit dieser Botschaft keiner der bislang genannten Kandidaten aufgefallen.

Für alle Parteien überzeugend wäre auch ein Anwärter, der in Zeiten des Kampfes gegen die Macht der Finanzmärkte in der Schuldenkrise mit Autorität und Augenmaß Orientierung verspricht. Bisher wurde aber kein Name genannt, auf den eine solche Beschreibung zuträfe. Alle Beteuerungen aus den Parteien, es gehe bei der Findung nun nur um den besten Repräsentanten des Landes und nicht um Macht, sollten mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Es ging bei bislang jeder Präsidentenwahl auch um politischen Einfluss oder um Signale für eine künftige Regierungsbildung. Ein Allparteienkandidat (mit Ausnahme der Linken) setzt ein anderes Zeichen: Die Parteipolitik steht nun zurück.

Der noch trotzig vorgetragene Anspruch der darbenden FDP, der Kandidat müsse auch ihrem Anforderungsprofil entsprechen, hat da nur wenig Aussicht auf Erfolg. Generell gilt: Ein Parteimann wird es diesmal schwer haben, wenn er nicht auf einem Arbeitsfeld außerhalb der Parteipolitik eine überzeugende Leistung vorweisen kann. Schließlich gibt es auch noch die Geschlechterfrage. Sie spielte bei der vorletzten Präsidentenwahl eine große Rolle, als SPD und Grüne Gesine Schwan ins Rennen schickten. Diesmal ruft nur die Linke nach einer weiblichen Kandidatin – und die wird für die Mehrheitsbildung voraussichtlich nicht gebraucht.

Der Loyale

Die Fähigkeit, sich nicht zu allzu wichtig zu nehmen, hat Thomas de Maizière erst kürzlich unter Beweis gestellt: Ihm werde die Ausstrahlung einer Heftklammer nachgesagt, behauptete er. Richtig ist: Der Verteidigungminister hat sich mit seiner sachlichen, zurückhaltenden Art einen Ruf als loyaler Staatsdiener erarbeitet, bei dem auch schwierige Aufgaben wie die Bundeswehrreform gut aufgehoben sind. Das kommt bei den Menschen offenbar gut an, wie die Umfragewerte des CDU-Politikers belegen. Der Merkel-Vertraute hat im Lauf seines politischen Lebens allerdings schon so viele Ämter ausgefüllt, dass sich mit seiner Person kein eigenes Thema verbindet. Der 58-Jährige hat bislang nicht den Ehrgeiz erkennen lassen, über den Kreis der Union hinaus zur gesellschaftlichen Sinnstiftung beizutragen. Allenfalls fällt er mit gelegentlichen großkoalitionären Signalen auf. Zwar achten viele Oppositionsabgeordnete Gründlichkeit und Fairness des Ministers. Doch allen ist bewusst, dass de Maizière seit Jahren zum engsten Kreis um Merkel gehört. Das ist keine gute Voraussetzung für einen Präsidenten, der, wenn nötig, auch die Kanzlerin kritisieren muss. Zudem hat die Opposition kein Interesse, einen CDU-Politiker zu wählen. De Maizière selbst bezeichnete die Spekulationen am Freitag auf seiner Rückreise aus den USA als „abwegig“. hmt

Der Parlamentarier

Wenn es darum geht, die Rechte des Parlaments zu verteidigen, kann Bundestagspräsident Norbert Lammert sehr unbequem werden. Für den promovierten Sozialwissenschaftler aus Bochum spricht außerdem, dass er ein guter Redner und ein intellektueller Kopf ist. Mit seinem selbstbewussten Auftreten gegenüber der Bundesregierung hat der CDU-Politiker sich Anerkennung in den letzten sechs Jahren in allen politischen Lagern verschafft. So sorgte er etwa dafür, dass der Bundestag bei der Euro-Rettung eine stärkere Rolle als angedacht zugewiesen bekam. Mehrmals legte der 63-Jährige sich dabei auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an – etwa als er 2009 gegen die steuerliche Entlastung der Hotelbranche stimmte. Seine Lust am Widerspruch galt schon 2010 als einer der Gründe, dass Merkel ihn nicht als Nachfolger für Horst Köhler fürs Schloss Bellevue vorschlug. Und auch SPD und Grüne wissen, dass der Widerspruchsgeist eines Bundespräsidenten Lammert sich nach der Bundestagswahl 2013 auch gegen eine neue Bundesregierung richten würde, auch wenn sie nicht mehr von Union und FDP getragen würde. ce

Der Richter

In der Geschichte der Bundesrepublik sind bislang nicht nur aktive Parteipolitiker zum Staatsoberhaupt gewählt worden: Horst Köhler war vor seiner Wahl 2004 Direktor des Internationalen Währungsfonds und zuvor beamteter Finanzstaatssekretär. Werner Herzog wechselte 1994 direkt vom Posten des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ins neue Amt, hatte zuvor allerdings auch Erfahrung als CDU-Landesminister in Mainz gesammelt. Verfassungsrichter üben ein hochpolitisches Amt aus, ohne in den gleichen Kategorien zu denken wie Politiker, die ihre Macht regelmäßig durch Parteitage absichern lassen müssen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch Karlsruher Richter als Kandidaten genannt werden – kürzlich etwa Ex-Richter Udo di Fabio. Der aber gilt sogar in der Union als zu konservativ, scheidet also als überparteilicher Anwärter aus. Nun wird auch Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle als Kandidat ins Gespräch gebracht. Der heute 48-Jährige war 2008 auf Vorschlag der SPD gewählt worden. Union und FDP sehen aber mit Skepsis, dass er in der Schuldenkrise nur einen engen Spielraum für die Übertragung von Rechten auf europäische Institutionen sieht. hmt

Der Umweltexperte

Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer hat sich trotz seines CDU-Parteibuchs mittlerweile den Status eines überparteilichen Experten erarbeitet. Bei der SPD und vor allem bei den Grünen genießt der 73-Jährige wegen seines langjährigen umweltpolitischen Engagements großen Respekt. Nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung Anfang 1998 wurde der studierte Volkswirt Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Nairobi – eine Aufgabe, die er bis 2006 ausübte. Nach dem Atom-Gau von Fukushima machte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn zu einem von zwei Chefs der Ethikkommission, welche die Atomwende der schwarz-gelben Koalition begleiten sollte. Dass Töpfer vor kurzem mehr Engagement bei der Energiewende einforderte, dürfte ihm im rot-grünen Lager weitere Sympathien verschafft haben. Bei den Liberalen allerdings hat Töpfer nicht allzu viele Fans. Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler nannte ihn mal einen „konservativen Weltverbesserer“. Doch auch die Sozialdemokraten könnten sich daran stören, dass Töpfers Benennung als überparteilicher Bundespräsidenten-Kandidat auch als Signal für künftige schwarz-grüne Koalitionen gewertet werden könnte. ce

Die Ehrgeizige

Die CDU-Politikerin aus Niedersachsen wähnte sich schon einmal kurz vor dem Einzug ins Schloss Bellevue. Im Juni 2010 galt sie kurze Zeit als Favoritin für das Amt der Bundespräsidentin, doch dann entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel sich doch für Christian Wulff als schwarz-gelben Kandidaten. Dass sie gesellschaftspolitische Debatten anstoßen kann, hat Ursula von der Leyen in ihrer Zeit als Familienministerin bewiesen. Damals führte sie nicht nur das Elterngeld ein, sondern modernisierte nebenher die Familienpolitik der CDU. Einen unabhängigen Kopf zeigt die Arbeitsministerin auch bei ihrem hartnäckigen Einsatz für eine Frauenquote in der Wirtschaft. Mit ihren ehrgeizigen Alleingängen stößt sie allerdings manchmal auch Parteifreunde vor den Kopf.

Als überparteiliche Kandidatin ist Leyen allerdings nicht wirklich geeignet. Die 53-jährige Ärztin wäre zwar die erste Frau an der Spitze des Staates – und SPD und Grüne betonen gern immer wieder, dass die Zeit reif wäre für eine Bundespräsidentin. Doch als Kabinettsmitglied ist Leyen Teil der amtierenden schwarz-gelben Bundesregierung. Sie kann zudem kein inhaltliches Projekt anbieten, das über die Lagergrenzen hinweg verbindet. ce

Der Volksliebling

Theoretisch müsste alles auf ihn zulaufen: Joachim Gauck, zu DDR-Zeiten Pastor in Rostock, in den 90ern erster – nicht unumstrittener – Stasi-Akten-Verwalter, parteilos, war zur Bundespräsidentenwahl im Juni 2010 von SPD und Grünen als deren Kandidat ins Rennen geschickt worden, obwohl er eher als Bürgerlich-Konservativer zu verorten war. Gaucks Kandidatur nötigte dem späteren Bundespräsidenten einen dritten Wahlgang ab. Und der Ostdeutsche genoss als „Präsident der Herzen“ den Rückhalt in breiten Bevölkerungskreisen. Was damals ein Coup von SPD und Grünen war, um die Regierungskoalition zu ärgern, aus deren Reihen viele ihre Sympathie für Gauck nicht verhehlen konnten, könnte nun zum Bumerang werden: Als überparteilicher Kandidat entspräche der 72-jährige dem wichtigsten von der Kanzlerin ins Gespräch gebrachten Kriterium der Kanzlerin. SPD und Grüne könnten angesichts der damaligen verbreiteten Begeisterung für Gauck kaum noch von ihm abrücken – und müssten verschmerzen, dass sie quasi einen „Schwarzen“ ins Amt hieven würden. Zuletzt hatte sich Gauck mit abfälligen Äußerungen über die Occupy-Bewegung unbeliebt gemacht. An Merkel freilich bliebe der Makel hängen, 2010 aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Gauck selbst bat am Freitagnachmittag um „noch ein wenig Zeit“ zum Überlegen. Später lobte ihn SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in der ARD: „Er hat an seinen Qualitäten noch nichts verloren.“ Gauck selbst zog es am Abend bei einer Lesung in Kassel dann vor, gar nichts mehr zu sagen. sc

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