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Friedlich vereint. Die schottische Flagge und der Union Jack wehen nebeneinander vor dem Riesenrad "London Eye" in der britischen Hauptstadt.

© rtr

Nach dem Schottland-Referendum: Die Stunde der Regionen

Das Referendum in Schottland hält über die Landesgrenzen hinaus eine Lektion für Europa bereit: Der Nationalstaat alter Prägung hat noch keineswegs ausgedient, solange er den Regionen genug Luft zum Atmen gibt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Mit Schottland ist es wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Irgendwann wird man wieder darüber reden. Die Schotten hätten es zwar selber in der Hand gehabt, sich von der Londoner Zentrale loszusagen. Aber auch wenn sie sich nun gegen eine Abspaltung entschieden haben, ist die Geschichte noch nicht beendet. Denn die Ankündigung von David Cameron, demnächst mit den Schotten über weitere Rechte bei der Selbstverwaltung zu verhandeln, ist keineswegs nur so dahingesagt. Das Zugeständnis des britischen Premierministers an das Unabhängigkeitslager wird aller Voraussicht nach Schottland weiter verändern, möglicherweise auch England – und am Ende vielleicht sogar die Europäische Union.

Der Reihe nach: Das bezaubernde Land nördlich des Hadrianswalls, das in diesen Tagen so viel von sich reden macht, ist nicht nur irgendeine von vielen Regionen in Europa. Es ist kein Zufall, dass Cameron in seiner Erklärung nach dem Referendum von den vier „Nationen“ gesprochen hat, die in ihrer Gesamtheit das Vereinigte Königreich bilden: England, Wales, Schottland und Nordirland. Für zwei dieser Nationen ist die Dezentralisierung seit Ende der neunziger Jahre, als der damalige Londoner Regierungschef Tony Blair mit der Machtteilung begann, zu einem politischen Lebenselixier geworden: Die Menschen in Nordirland fanden durch die Selbstverwaltung einen Ausweg aus dem Bürgerkrieg. Und die Schotten eröffneten sich die Möglichkeit, ihre kulturelle Sonderstellung im Vereinigten Königreich auch politisch zu untermauern.

Engländer könnten ebenfalls mehr Autonomie fordern

Der Trend, den Nationen im Vereinigten Königreich immer mehr Macht zu geben, dürfte sich nach dem Referendum weiter verstärken. Und falls die Schotten in Zukunft nun stärker als in der Vergangenheit über ihre Einnahmen und Ausgaben entscheiden sollten, dann werden sich zwangsläufig auch immer mehr Engländer die Frage stellen: Warum haben wir kein Regionalparlament, während Selbstverwaltungsgremien in Edinburgh, Belfast und Cardiff seit Jahren wie selbstverständlich dazugehören? Eine echte Föderalisierung, welche die Unwucht im britischen System beseitigt, könnte auch zu einem entspannteren Verhältnis gerade zwischen Engländern und Schotten beitragen. Eine gleichmäßige Stärkung aller vier stolzen Nationen könnte zu einer echten Verhandlungsdemokratie führen, an die man sich in Deutschland – der Länderfinanzausgleich lässt grüßen – längst gewöhnt hat.

Nun lässt sich Schottland mit Bayern genauso wenig vergleichen wie Nordirland mit Flandern. Aber auch wenn das Streben nach mehr oder weniger regionaler Gestaltungsfreiheit ganz unterschiedliche Wurzeln hat, so hält das schottische Referendums-Experiment doch für ganz Europa eine Lektion bereit: Der Nationalstaat alter Prägung hat noch keineswegs ausgedient, solange er den Regionen genug Luft zum Atmen gibt. Vermutlich hat sich eine Mehrheit der Schotten gerade deshalb gegen die Unabhängigkeit entschieden, weil sie mit den schon bestehenden Selbstverwaltungsrechten gar nicht so unzufrieden sind.

Negativ-Beispiel Spanien

In Spanien lässt sich derzeit beobachten, wie eine Zentralregierung unnötig zur Eskalation beiträgt. Ministerpräsident Mariano Rajoy versucht sich in der Rolle des strengen Hüters der spanischen Verfassung – und wischt den Wunsch der Katalanen nach einer besseren finanziellen Behandlung beiseite. Die Haltung wirkt anachronistisch. Denn Europas Zukunft gehört auch den Regionen.

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