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Politik: Nach dem Sturm

„Katrina“ und die Folgen: Nur die Hälfte der Einwohner ist nach New Orleans zurückgekehrt

Ein Jahr nach Hurrikan „Katrina“ ist New Orleans eine geteilte Stadt. „Die zerstörerischste Naturkatastrophe in der Geschichte der USA“ hat George W. Bush den Wirbelsturm soeben in einer Erklärung zum Jahrestag genannt. Der Hurrikan, der am 29. August 2005 über Amerikas Golfküste hereinbrach, hatte auch den Präsidenten schwer gebeutelt, weil er tagelang im Urlaub auf seiner texanischen Ranch verharrt hatte und die Dimension der Zerstörung gar nicht zu erfassen schien. Nur sehr schleppend lief die Hilfe an. 70 Prozent der Stadt standen unter Wasser, Pumpen versagten, Dämme brachen. Menschen, die den Evakuierungsbefehl missachtet hatten, riefen von den Dächern ihrer überfluteten Häuser in Todesangst um Hilfe. Zehntausende saßen tagelang im „Superdome“ fest, der zur Notaufnahme umfunktionierten überdachten Sportarena, ohne Strom und Klimaanlage. Eine giftige, mit Öl und Chemikalien kontaminierte Brühe schwappte zum Teil wochenlang in den Häusern. Zehntausende Gebäude wurden irreparabel beschädigt, ganze Stadtviertel ausgelöscht.

Zum Jahrestag der Katastrophe gestand Bush nun noch einmal Fehler bei der Bewältigung ein und gelobte Besserung. Die Katastrophe habe gezeigt, dass die Behörden nicht vorbereitet gewesen seien. An der Golfküste gebe es ermutigende Zeichen des Wiederaufbaus, doch erinnere auch vieles daran, dass weitere harte Arbeit bevorstehe, sagte Bush am Samstag in seiner wöchentlichen Radioansprache. Eine Ipsos-Umfrage ergab in diesem Monat, dass 67 Prozent der Amerikaner das Krisenmanagement Bushs missbilligen.

Die Bürger und die verschiedenen Stadtteile waren und sind bis heute sehr unterschiedlich betroffen – oft folgen die Trennungslinien den Wohlstands- und den Rassengrenzen, aber nicht durchweg. Weite Teile der zwischen dem Mississippi-Delta und Lake Pontchartrain eingezwängten Stadt liegen unter dem Meeresspiegel, sie ist nur dank eines ausgeklügelten Schutzsystems aus Dämmen, Kanälen und Pumpen lebensfähig. Das schlimmste Schicksal hatte die Lower Ninth Ward, eine arme schwarze Gegend im Osten. In sie ist bis heute kein richtiges Leben zurückgekehrt, Stille liegt über den Trümmergrundstücken. Aber auch im Mittelklassebezirk Gentilly im Nordwesten nahe Lake Pontchartrain leben die meisten Rückkehrer im Wohncontainer neben ihren zerstörten Häusern.

Im French Quarter dagegen, der zentralen Vergnügungsmeile, stoßen die Touristen auf keine Spur der Verwüstung. Das Geschäft boomt wie eh und je, man kann es sich gut gehen lassen, als sei „The big Easy“ nie heimgesucht worden. Aus den offenen Türen von Bars und Clubs dringen Saxofonsoli, Schlagzeug und Bass. Es duftet nach kreolischen Speisen wie Jalambaya, ein Reisgericht mit Meeresfrüchten, oder Gumbo, ein scharf gewürzter Eintopf mit dunklen Bohnen. Am Jackson Square bieten Pferdekutscher ihre Dienste an. Die hell erleuchtete Fassade der Kathedrale vor dunklem Nachthimmel war die Fernsehkulisse, als Bush sein Versprechen abgab, New Orleans wiederaufzubauen. 28 000 Hotelzimmer stehen wieder bereit, das entspricht 85 Prozent. Mardi Gras, der weltberühmte farbenfrohe Karneval, war Ende Februar der ersehnte Beweis, dass Mythos und Lebenskraft ungebrochen sind.

77 der versprochenen 110 Milliarden Dollar Hilfsmittel sind seither an die Golfküste geflossen und ein nicht zu knapper Teil davon nach New Orleans. Ingenieure der Armee haben das Schutzsystem mit seinen 500 Kilometer langen Dämmen repariert, an manchen Stellen nur provisorisch, um vor Beginn der neuen Hurrikan-Saison Anfang Juni 2006 fertig zu sein. Bisher blieb es ziemlich ruhig. Und was, wenn ein neuer Wirbelsturm dieser Stärke zuschlägt? Chefingenieur Don Basham ist überzeugt, dass New Orleans heute besser gesichert ist als vor „Katrina“. Natürlich, absolute Sicherheit gibt es nicht. Statistisch komme so ein Sturm „einmal in 300 Jahren“ vor. In Modellanlagen haben die Armeeingenieure die Stadt nachgebaut und die Katastrophe mit Wellen- und Windmaschinen nachgestellt. Zu den 50 Dammbrüchen sei es gekommen, weil das Wasser, das die Kronen überspülte, die Rückseiten der Dämme aufweichte und unterspülte, sagt Basham. Dagegen wurde bei Reparatur und Neubau Vorsorge getroffen. Bei einer neuen „Katrina“ müsste die Stadt wieder evakuiert werden, es werde Überschwemmungen geben, aber nicht solche Zerstörungen.

Bei aller äußerlichen Rekonstruktion: Die Stadt ist weit davon entfernt, die alte zu sein. Höchstens die Hälfte der einst 500 000 Einwohner sind überhaupt zurückgekehrt. Die soziale Zusammensetzung hat sich verändert, New Orleans hat vor allem viele seiner schwarzen Einwohner verloren. Tourismus und Entertainment sind derzeit die einzigen Standbeine für New Orleans. Die Bürger werden wohl noch lange Geduld haben müssen, bis der Aufschwung sie erreicht.

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