zum Hauptinhalt
Die Bekämpfung des Terrors ist durch das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" in Berlin effektiver geworden.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Nach den Anschlägen in Brüssel: Ein Terrorabwehrzentrum für die EU ist eine Utopie

Auf europäischer Ebene ist eine Institution wie das deutsche Terrorismusabwehrzentrum eine Utopie - und Datenschützer fordern weiter Zurückhaltung.

Von
  • Frank Jansen
  • Matthias Meisner

In Deutschland funktioniert die Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten inzwischen deutlich besser, die internationale Kooperation ist jedoch teilweise schwierig. Zunächst zur Bundesrepublik: die Bekämpfung des islamistischen Terrors ist seit 2004 effektiver geworden. Damals verständigten sich Bund und Länder darauf, ein "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)" einzurichten. Hier sitzen in einem Gebäude im Berliner Stadtteil Treptow Beamte von 40 Behörden. Das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, die Bundesanwaltschaft, die Nachrichtendienste von Bund und Ländern, das Zollkriminalamt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben Vertreter ins GTAZ entsandt. Laptop an Laptop wird hier, hart am Rande des Trennungsgebots, kooperiert. Der rasche Austausch von Informationen über islamistische Terrorverdächtige hat offenbar erheblich dazu beigetragen, dass Gefahren rechtzeitig erkannt wurden und Deutschland bislang weitgehend von Anschlägen verschont geblieben ist.

Nur einem Attentäter ist es in Deutschland bisher gelungen, Menschen zu töten

Nur einem Attentäter ist es gelungen, Menschen zu töten. Im März 2011 erschoss der Kosovare Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Uka war zuvor nicht aufgefallen und seine Tat nicht vorhersehbar. Dass bislang "nur" zwei Todesopfer islamistischen Terrors in Deutschland zu beklagen sind, ist allerdings nicht nur dem GTAZ zu verdanken. Die Republik hatte auch Glück. Anschlagsversuche wie die der libanesischen Kofferbomber, die im Juli 2006 in Köln zwei Rucksackbomben in Regionalzügen deponierten, scheiterten lediglich an technischen Defekten der Sprengsätze.

Auf europäischer Ebene ist eine Institution wie das GTAZ eine Utopie. Ein Terrorismusabwehrzentrum mit Polizeibehörden und Nachrichtendiensten gibt es in der EU nicht. Und selbst länderübergreifende Behörden haben nur eingeschränkte Kompetenzen. Das seit 1999 tätige Europäische Polizeiamt, kurz Europol, darf nicht selbst ermitteln, sondern nur die nationalen Polizeien unterstützen, unter anderem mit Lageanalysen.

Auch die Kooperation der Nachrichtendienste ist noch ausbaufähig

Auch die Kooperation der Nachrichtendienste ist noch ausbaufähig. Nach dem Angriff von Al Qaida auf die USA am 11. September 2001 wurde in Europa die "Counter Terrorism Group (CTG)" gegründet. Sie ist ein informeller Zusammenschluss von 30 Nachrichtendiensten zur Bekämpfung des islamistischen Terrors. Mitglieder sind die Inlandsdienste der EU-Staaten sowie Norwegens und der Schweiz. Als Reaktion auf die Anschläge vom 13. November in Paris will die CTG nun eine "Plattform" einrichten, die "den Austausch von operativen Erkenntnissen" vereinfachen und beschleunigen werde, teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Februar mit. Der niederländische Nachrichtendienst AIVD wird in Amsterdam dann Kollegen aus anderen Ländern in einem Gebäude zusammenbringen. Doch nicht einmal die Hälfte der 30 Staaten macht mit.

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat davor gewarnt, als Konsequenz aus den Terroranschlägen in Brüssel auf eine Lockerung von Datenschutzregelungen zu setzen. "Ich finde es falsch, den Datenschutz hier zum Prügelknaben zu machen", sagte Schaar am Mittwoch dem Tagesspiegel.

Schaar, der das Amt von 2003 bis 2013 innehatte, erklärte: "Wenn der Informationsaustausch zwischen den europäischen Sicherheitsbehörden nicht so funktioniert, wie sich das mancher Innenpolitiker wünscht, hat das meist andere Gründe: So ist das Meldeverhalten der nationalen Behörden an europäische Institutionen, etwa an das Schengen-Informationssystem oder an Europol, von Land zu Land höchst unterschiedlich. Zum anderen gibt es institutionelle Abschottungstendenzen, die vor allem durch die ängstliche Wahrung der eigenen Datentöpfe motiviert sind."

Datenschützer fordern Zurückhaltung beim Austausch

Schaar, heute Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz, wies zudem darauf hin, dass Befugnisse zur Überwachung und Datenübermittlung in verschiedenen EU-Staaten - gerade in Frankreich - immer wieder massiv ausgeweitet worden seien. "Trotzdem haben sich die jüngsten Terroranschläge nicht verhindern lassen."

Auch die neue Berliner Datenschutzbeauftragte, Maja Smoltczyk, äußerte sich zurückhaltend zu Forderungen nach einem engeren Datenaustausch zwischen europäischen Sicherheitsbehörden. Es sei "völlig klar", dass sich nach solchen Ereignissen "die Parameter verändern und auch verändert werden müssen", sagte Smoltczyk bei der Vorstellung des Berliner Datenschutzberichts 2015. Dennoch dürfe man "in solchen Situationen" nicht "mit Schnellschüssen" reagieren.

"Datenschutz ist ein Grundrecht. Es bewegt sich immer im rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmen", sagte Smoltzyk, die ihr Amt Ende Januar angetreten hat. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssten auch bei einem engeren Datenaustausch der europäischen Nachrichtendienste erfüllt bleiben. Terroristen wollten mit den Anschlägen die westlichen Werte und somit auch die Freiheitswerte angreifen. Gerade deshalb dürften diese nun nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Bei allem Entsetzen dürfe es nicht sein, "dass man jetzt wild Daten erhebt. Die Zielrichtung und das Gleichgewicht müssten stimmen.

De Maizière: Daten besser miteinander verknüpfen

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte am Dienstag erneut einen besseren europaweiten Austausch von sicherheitsrelevanten Daten gefordert. In Krisenzeiten habe die Sicherheit Vorrang. Europas Sicherheitsbehörden sollten deshalb untereinander enger Daten austauschen, hatte der Innenminister erklärt. "Wir müssen die Informationen austauschen, die da sind", sagte er im ZDF. Dies werde dadurch erschwert, dass es in Europa "getrennte Datentöpfe" gebe. Nun müssten die Daten besser miteinander verknüpft werden.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) unterstützte die Forderung von de Maizière. "Wenn wir uns effektiv schützen wollen, brauchen wir eine gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Europa", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Vorhandene Informationen, die helfen, konkrete Anschläge zu verhindern, müssen alle Länder untereinander austauschen." Die Terroristen führten "einen barbarischen Feldzug gegen Freiheit und Demokratie", sagte Maas. Die Europäer dürften aber nicht vor Angst erstarren, sondern müssten das klare Signal aussenden, dass sie ihre Freiheit mit aller Entschlossenheit verteidigen.

Bayerns Innenminister: Ein- und Ausreiseregister wie in USA

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann warb im "Münchner Merkur" dafür, ein komplettes Ein- und Ausreiseregister für die Europäische Union oder den Schengen-Raum aufzubauen. Der CSU-Politiker sagte dem Blatt: "Wir müssen wissen, wer einreist, wer hier bleibt, wer abreist. Das ist in den USA ganz selbstverständlich. Wir haben in Europa aber nach wie vor überhaupt keinen Überblick. Das ist alles kein Allheilmittel, aber wenn wir die Sicherheit in unserem Land erhöhen wollen, ist das unbedingt notwendig."

"Fehlende Vernetzung größte offene Flanke bei Terrorismusabwehr"

Ähnlich argumentieren der stellvertretende Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Strobl, und der innenpolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka. Strobl sagte: "Wir müssen vor allem für den bestmöglichen Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden sorgen und vorhandene Informationen besser vernetzen. Da liegt manches noch im Argen." Für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus sei es auch "notwendig, dass wir Zeitpunkt und Ort der Ein- und Ausreise von Drittstaatenangehörigen in den Schengen-Raum genau erfassen. Aus diesem Grund brauchen wir die zügige Einführung eines Ein- und Ausreiseregisters für die EU-Außengrenzen".

Lischka sagte: "Auch Deutschland steht im Fadenkreuz und ist ein erklärtes Angriffsziel." Er nannte eine fehlende Vernetzung der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene "die derzeit größte offene Flanke bei der Terrorismusabwehr". Seiner Meinung nach notwendig ist auch ein Europäisches Terrorabwehrzentrum. "Hier kann das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Deutschland in Bezug auf die gemeinschaftliche Überwachung von Gefährdern als Vorbild dienen."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false