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Nach den Koalitionsverhandlungen: Verdi-Chef Bsirske wettert gegen schwarz-gelbe Pläne

"Gefährliche Entstaatlichung": Verdi-Chef Frank Bsirke kritisiert den Koalitionsvertrag von Union und FDP scharf. Auch Umweltschützer verlangen Nachbesserungen.

Die designierte schwarz-gelbe Koalition sei "auf das Regieren offenkundig schlecht vorbereitet", sagte der ehemalige Kanzlerkandidat und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Bild am Sonntag. Union und FDP hätten "einen grandiosen Fehlstart hingelegt". Die neue Koalition habe "keinen Kurs und keinen Plan für die Zukunft unseres Landes". Für die Menschen in Deutschland werde nichts besser, aber sehr vieles werde unsicherer und teurer.

Steinmeier sagte der Zeitung, er erwarte höhere Beiträge und weniger netto für die Arbeitnehmer. "Schwarz-Gelb wird die soziale Spaltung in unserem Land vertiefen statt bekämpfen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen mit steigenden Beiträgen rechnen. Mit Schwarz-Gelb werden die meisten Menschen am Ende nicht mehr, sondern weniger netto vom brutto haben." Mitten in der Wirtschaftskrise zerstörten Union und FDP zudem die Struktur der Arbeitsvermittlung, setzten auf falsche Billiglohn-Strategien und auf eine Energiepolitik von gestern.

Auch die Grünen-Spitze kritisierte die Minister-Besetzung in der neuen schwarzen-gelben Regierung. "Wir sind sprachlos bei bestimmten Positionen", sagte Grünen-Chefin Claudia Roth vor Beginn des Grünen-Parteitages in Rostock. Der FDP-Politiker Dirk Niebel als Entwicklungshilfeminister sei eine "schlichte Provokation". Ihre Partei stelle sich jetzt auf viele Kämpfe gegen eine rückwärtsgewandte Politik von Union und FDP ein.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete Schwarz-Gelb als "eine Koalition der sozialen Spaltung, Tricksereien und neoliberalen Entstaatlichung". Er erklärte: "Mit dieser Koalition gewinnt das Land keine Zukunft. CDU/CSU und FDP verweigern eine gerechte Verteilung der Krisenkosten genauso wie entscheidende Weichenstellungen, um künftige Krisen zu verhindern." Die Linke sieht zudem die Interessen der neuen Bundesländer vernachlässigt.

Auch von Seiten der Gewerkschaften gab es Kritik. Ver.di-Chef Frank Bsirske warnte angesichts der schwarz-gelben Koalitionsbeschlüsse vor einer "gefährlichen Entstaatlichung und einer Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.“ In einer Mitteilung der Gewerkschaft vom Samstagmorgen heißt es: “Schwarz-Gelb stellt Profit vor Gemeinwohl. Steuergeschenke in Milliardenhöhe für Unternehmen sind das Gegenteil aktiver Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise". Bund, Ländern und Kommunen würden so systematisch weitere finanzielle Mittel für dringend nötige Investitionen entzogen.

Umweltschutzorganisationen werfen der Koalition Versagen vor. Deutschland gebe seine Vorreiterrolle auf und stelle die Interessen der Konzerne über den Schutz von Mensch und Umwelt, kritisierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern und die weitere Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken seien ein fatales Signal. "So wird Deutschland sein Klimaziel von minus 40 Prozent CO2 bis zum Jahr 2020 nicht erreichen." Der Präsident des Naturschutzbundes, Olaf Tschimpke, sprach von "Lippenbekenntnissen" beim Klimaschutz. Die geplante Aufhebung des beschlossenen Atomausstiegs und die Fixierung auf ein Atomendlager in Gorleben seien nur die Spitze des Eisbergs.

Die Wirtschaft reagierte dagegen grundsätzlich positiv. Die Chemieindustrie erwartet von der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung einen Impuls für den Standort Deutschland. "Der Vertrag gibt das Signal für die notwendige Stärkung des Industriestandortes", schrieb der Verband der Chemischen Industrie (VCI) am Samstag in einer Mitteilung. Die Branche begrüßt, dass die neue Regierung Zukunftstechnologien wie die Nanotechnologie fördern will. Auch die Korrektur der Unternehmensteuer und die steuerliche Forschungsförderung seien richtige Entscheidungen und würden für Wachstum sorgen. Die Branche beschäftigt knapp 437.000 Mitarbeiter und erwartet in diesem Jahr einen Umsatzeinbruch von zwölf Prozent.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, sagte der Berliner B.Z. am Sonntag, im Koalitionsvertrag von Union und FDP stünden viele gute Reformansätze. "Wir brauchen aber sicher noch mehr Reformmut, um Arbeitsplätze zu schaffen und der demografischen Entwicklung zu begegnen." Auch für den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, weist der Koalitionsvertrag grundsätzlich in die richtige Richtung. Enttäuschend sei aber, "dass die Regierungsparteien nicht den Mut hatten, auf breiter Ebene in die steuerliche Forschungsförderung einzusteigen", erklärte er.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar forderte die schwarz-gelbe Koalition auf, ein eigenständiges Gesetz für den Arbeitnehmerdatenschutz zu schaffen. Die allgemeinen Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes reichten für den Schutz der Daten von Arbeitnehmern nicht aus, da sie auf die Einwilligung der Betroffenen abstellen, sagte Schaar der Neuen Osnabrücker Zeitung am Samstag. Ein Arbeitsverhältnis sei aber immer auch ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem "von einer echten Freiwilligkeit nicht ausgegangen werden kann". Deshalb müssten im Rahmen eines eigenen Beschäftigten-Datenschutzgesetzes die Grenzen, was mit den Daten geschehen darf, vom Gesetzgeber festgelegt werden, sagte der Datenschutzbeauftragte. 

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, sieht die von Schwarz-Gelb vereinbarte Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate grundsätzlich positiv. "Das macht durchaus Sinn", sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Allerdings komme es jetzt auf eine vernünftige und sinnstiftende Ausgestaltung der neuen Dienstzeit an. Bei ihm häuften sich Klagen von Wehrpflichtigen über "Gammeldienst", sagte er. Hier müsse sich dringend etwas ändern. Es sei nicht zu verantworten, wenn Soldaten sich überflüssig vorkämen. Eine Verkürzung könne dieses Problem lösen helfen. Ebenso bestehe die Hoffnung, bei kürzerer Dienstzeit mehr Wehrpflichtige einzuberufen und damit die Wehrgerechtigkeit zu erhöhen.

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa

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