zum Hauptinhalt
Der größte Nutznießer der erhöhten Wählerbeteiligung war die AfD.

© dpa

Nach den Landtagswahlen: Die AfD profitiert von der Schwäche der anderen

Aber es gilt auch umgekehrt: In den Schwächen der AfD liegen Chancen für CDU und SPD, diese Wähler zurück zu gewinnen. Vor allem muss die Politik aber eines: wieder lernen, zuzuhören. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Bei allen drei Landtagswahlen sind die Wählerbeteiligungen deutlich gestiegen. Profitiert davon haben aber die etablierten Parteien nur in ganz geringem Umfang. Der größte Nutznießer der erhöhten Mobilisierung war die AfD. Aus dem Reservoir der früheren Nichtwähler kamen in allen drei Bundesländern fast die Hälfte der Stimmen für die AfD.

Unter den traditionellen Parteien erlitt die CDU den größten Aderlass an die AfD. In Baden-Württemberg waren das nach den Analysen von infratest-dimap immerhin 190.000 Stimmen, aber selbst SPD-Wähler wechselten, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, zum Rechtsaußen der antretenden Parteien. Wenn in Baden-Württemberg rund sechs Prozent, in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz um die zehn Prozent mehr Menschen wählen und sich für den Newcomer der Parteienlandschaft entscheiden, ist das ein Zeichen für Schwächen der bekannten Parteien – wobei ein Warnsignal ist, dass AfD-Promi Alexander Gauland die als „Altparteien“ bezeichnet.

Gauland macht sich NSDAP-Jargon zu eigen

Das ist genau der Jargon, mit dem die NSDAP in der Weimarer Republik gegen die demokratischen politischen Mitbewerber Propaganda machte. Und Gauland ist viel zu klug, um nicht genau zu wissen, wie er seine Worte setzt.

AfD-Promi Alexander Gauland nutzt den Jargon, mit dem die NSDAP in der Weimarer Republik gegen die demokratischen politischen Mitbewerber Propaganda machte.
AfD-Promi Alexander Gauland nutzt den Jargon, mit dem die NSDAP in der Weimarer Republik gegen die demokratischen politischen Mitbewerber Propaganda machte.

© DAVIDS/Sven Darmer

Eindeutig hat der „Merkel-Effekt“ den Trend zur AfD, der ohnedies vorhanden war, deutlich gestärkt. Dass die Bundeskanzlerin ihre Flüchtlingspolitik zwar stoisch fortsetzte, aber das "Warum?" in der  Öffentlichkeit nicht sichtbar genug erklärte, führte gerade in der Mittelschicht zu einer tiefen Verunsicherung, analysierte Richard Hilmer, der langjährige Geschäftsführer von Infratest-dimap und heutige Politikberater, gegenüber dem Tagesspiegel.

Die Wähler der AfD sind Durchschnittsbürger, kein abgehängtes Prekariat

AfD-Wähler seien heute, anders als die der NPD früher, kein abgehängtes Prekariat, sondern von Abstiegsängsten geplagte Durchschnittsbürger, denen die etablierten Parteien nicht genügend erklärten, was sie selbst unternehmen würden, um eine Gefährdung des bürgerlichen  Status dieser Mittelschicht zu verhindern. Gegen eine solche tiefe Verunsicherung helfen keine Appelle, demokratische Parteien zu wählen, so lange diese die Ängste nicht aufnehmen.

Die CDU hat unter Angela Merkel ihre eher konservative Position in der Mitte der Parteienlandschaft geräumt und damit für neue Gruppierungen frei gemacht. Die AfD, die in diese Lücke hineingestoßen ist, mag von ihrer Parteispitze her radikal sein. Aber extreme Positionen wie die von Frauke Petry, Beatrix von Storch, Björn Höcke oder André Poggenburg werden nach Ansicht von Wahlbeobachtern von der breiten Mehrheit der AfD-Wähler nicht geteilt.

Schaffen wir das? Das ist auch eine finanzielle Frage

Deshalb wäre es fatal, die AfD-Wählerschaft in toto als rechtsradikal oder gar neonazistisch zu verteufeln. Es sind, im Gegenteil, in der großen Mehrheit, Bürgerinnen und Bürger, die ihre emotionale Bindung an die etablierten Parteien verloren haben, weil sie sich von ihnen nicht mehr beachtet fühlen.

Breites Unbehagen angesichts von mehr als einer Million Flüchtlinge herrscht ja nicht nur über die Frage, ob sich so viele Menschen aus einem anderen Kulturraum überhaupt integrieren lassen und integrieren lassen wollen. Die Frage, ob Deutschland das schafft, ist auch eine finanzielle Frage. Dazu hat die Politik bislang wenig konkrete Antworten gegeben.  Dass aber die öffentliche Infrastruktur verrottet, Schulen und Turnhallen verfallen und unbenutzbar werden, Brücken wegen gefährdeter Stabilität für den Schwerverkehr gesperrt sind, sieht jeder – dass das alles nicht zusammenpasst bleibt auch niemand verborgen.

Das Misstrauen wächst

Und so wächst ein großes Misstrauen gegenüber all jenen Parteien, die in Regierungsverantwortung stehen. Das trifft vor allem auch die SPD, die traditionell die Partei der kleinen Leute gewesen ist und sich nicht schämen sollte, weiter deren Sorgen und Ängste zu artikulieren. Aber in einer großen Koalition schwinden die Konturen noch mehr, weil jeder für alles mit verantwortlich gemacht wird.

In der Ära Merkel wurden politische Grundsatzentscheidungen immer wieder nicht erst diskutiert und dann gefällt, sondern undebattiert verkündet.
In der Ära Merkel wurden politische Grundsatzentscheidungen immer wieder nicht erst diskutiert und dann gefällt, sondern undebattiert verkündet.

© dpa

Das mag auch damit zusammen hängen, dass in der Ära Merkel politische Grundsatzentscheidungen immer wieder nicht erst diskutiert und dann gefällt, sondern undebattiert verkündet wurden und werden. Weder um den abrupten Beschluss des Atomausstiegs noch um die Einzelheiten der Eurorettung, die Bankenfinanzierung oder die schleichende Umgehung des Bail-out-Verbots und vor allem auch nicht um den einsamen Entschluss der Bundeskanzlerin zur Grenzöffnung im September 2015 hat es vorher eine breite öffentliche Auseinandersetzung gegeben.

Die Politik muss wieder auf die Bürger hören

Dass in zunehmenden Maße grundsätzliche Entscheidungen der Bundesrepublik zur Überprüfung vor das Bundesverfassungsgericht geholt werden, ist ja weniger ein Zeichen für Renitenz der Bürger als für Unbehagen über die Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit von politischen Entscheidungen.

Die Lehre aus dem Ergebnis der drei Landtagswahlen ist somit eindeutig: Politik muss wieder mehr auf den Bürger hören. Sei es, dass Townhall-Meetings nach amerikanischem Vorbild etabliert werden. Sei es, dass konkrete Programme zur Behebung struktureller Defizite vorgelegt werden. Sei es, dass die Politik klare Signale sendet, dass sie Missstände in der öffentlichen Ordnung nicht mehr bereit ist, willen- und reaktionslos hinzunehmen. Politik muss wieder lernen, zuzuhören. Wer jetzt AfD gewählt hat, zeigt, dass er für Politik erreichbar ist. Aber anfangen damit muss die Politik – jetzt!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false