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Das Dönerrestaurant in Halle, in dem der Attentäter einen Mann erschoss.

© Jan Woitas/dpa

Nach den Morden von Halle: „Tödliche Umsetzung ihrer Verschwörungstheorie"

Ein Antisemit, der nach gescheitertem Angriff auf Juden ein muslimisch-türkisches Opfer sucht: Bekanntes Muster, sagt eine, die selbst zur Zielgruppe gehört.

Geplant war in Halle offenbar ein Massaker an Jüdinnen und Juden. Als es zum Glück scheitert, ermordet der Täter eine zufällige Passantin und dann gezielt einen Mann in einem Döner-Restaurant. Wie lesen Sie die Szene, Frau Ataman?

Der Dönerladen war vermutlich kein Zufall, sondern sein Plan B. Wenn schon keine Juden, dann sollten wenigstens Muslime sterben. Dazu muss man wissen, dass antisemitische Einstellungen in der Regel mit Verschwörungstheorien daherkommen. Im geschlossen rechtsextremen Weltbild stecken „die Juden“ hinter allem Übel – also auch hinter der „muslimischen Massenmigration“. Was wir in Halle beobachten konnten war die tödliche Umsetzung jener Verschwörungstheorie, die auch der Hasskampagne gegen den US-Mäzen George Soros zugrunde liegt: Der Gründer der Open Society Foundation gilt darin als jüdischer Hintermann und Mastermind hinter der „Massenmigration“ – übrigens ein Codewort für Umvolkung – nach Europa.

Antisemitismus also als eine von vielen Formen des Rassismus?

Nein, auf den Judenhass müssen wir weiter ganz besonders schauen, was trotz vieler Lippenbekenntnisse offensichtlich nicht genug geschieht. Es wird ständig von abendländisch-jüdischer Kultur geredet, aber am höchsten jüdischen Feiertag ist die Synagoge von Halle nicht bewacht. Der Anschlag in Halle zeigt außerdem, was Studien seit einiger Zeit belegen: nicht nur der antimuslimische, antiziganistische oder anti-schwarze Rassismus steigen, auch der Antisemitismus nimmt in sehr beunruhigender Weise zu. Und am Ende des Tages können alle Opfer ein- und desselben rechtsextrem ideologisierten Täters werden. In Chemnitz war es 2018 anders herum: da ging es bei Aufmärschen mit Hitlergruß ursprünglich gegen Geflüchtete und Migranten, doch kurz darauf attackierten fast ein Dutzend Neonazis ein jüdisches Restaurant und verletzten den Eigentümer.

Die CDU-Vorsitzende hat von Halle als einem Alarmzeichen gesprochen.

Das ist so ärgerlich und sehr beunruhigend! Gerade dieses Jahr war voller „Alarmzeichen“, an die sich Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, offenbar besser erinnern als weiße Politikerinnen: Es begann mit einem Mann, der sich im Ruhrgebiet in ein Auto setzte, um Ausländer zu überfahren. Ein anderer setzte sich in Hessen ins Auto und schoss auf Schwarze Menschen. Zahlreiche Experten und Organisationen schlagen seit Jahren Alarm. Warum diese „Zeichen“ übersehen werden, ist mir ein Rätsel. Und ausgerechnet jetzt kürzt die Regierung das Geld für ein Demokratieförderprogramm gegen Extremismus .

Ferda Ataman
Ferda Ataman

© Doris Spiekermann-Klaas

Am Tag des Attentats von Halle hat der Bundesfinanzminister die Kürzungen von „Demokratie leben!“zurückgenommen.

Aber nur für das kommende Jahr, danach sind weiterhin Kürzungen geplant. Außerdem wurden drei Viertel der Projektanträge abgelehnt und werden es auch bleiben. Das trifft vor allem Initiativen von Minderheiten und viele im Osten, die dort arbeiten, wo’s brennt. Würde die Politik die Alarmglocken wirklich hören und richtig deuten, müsste jede Initiative, die sich für Vielfalt und Demokratie engagiert, eine Förderung erhalten.

Ist das alles, brauchen wir nur mehr Geld?

Nein. Die Regierung muss auch selbst endlich handeln. Der Staat muss für Sicherheit sorgen und Rechtsextremismus als Priorität behandeln. Wir alle, die der rechte Terror meint, Juden, Muslime, Geflüchtete, Einheimische mit Migrationshintergrund, Journalisten, Aktivisten gegen rechts, wir müssen wieder das Gefühl bekommen, sicher zu sein. Da reicht es nicht, mal eine flammende Rede oder eine Tweet gegen Extremismus los zu lassen. Kürzlich wurden zwar die Sicherheitsbehörden aufgestockt und das ist gut. Aber es fehlt an einem umfassenden Plan. Wer achtet zum Beispiel darauf, dass die neuen Stellen richtig eingesetzt werden und wer verhindert Extremismus in der Polizei selbst? Da wurden in Frankfurt private Daten einer Anwältin von NSU-Opfern aus den Behörden durchgestochen, immer wieder werden rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden bekannt. Können Sie ein systematisches Vorgehen dagegen erkennen? Ich nicht. Was wir brauchen, ist ein umfassender Masterplan gegen Rechtsextremismus. 

Ferda Ataman ist Sprecherin der "Neuen deutschen Organisationen", einer bundesweiten Vereinigung von Initiativen, die sich gegen Rassismus und für Vielfalt einsetzen.

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