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Politik: Nach der Angst

WIE REAL IST DER TERROR?

Von Hellmuth Karasek

Ein Gespenst geht um in Europa – so ließe sich der berühmte Anfangssatz des Kommunistischen Manifests heute variieren – , es ist das Gespenst der Angst. Momentaufnahmen der letzten Tage: das UBahn-Attentat in Südkorea; die Panik-Toten einer Disko in Chicago, nachdem der Ruf „Giftgas!“ die Angst auslöste; die Pockenfurcht in Deutschland, bei der die Angst, wie es ihr eigen ist, zwischen Panikmache und eigentlicher Bedrohung nicht unterscheiden kann und will. Die Angst, und das ist keine Übertreibung, ist das Regiment der Stunde, sie herrscht als Kriegsangst, als Todesangst, als Zukunftsangst, als Existenzangst – und alle Ängste verknäulen sich zu einer, eben zum Gespenst der Angst.

Ist die Angst neu? Gab es sie nicht immer mal stärker, mal schwächer, bald geschürt und angeheizt, bald besänftigt und verharmlost? Hat nicht die (Existenz)-Philosophie diese Angst als Movens des Lebens und ihre Überwindung als Ziel angepeilt? Und geht der Sog und die Glaubenskraft der Religionen nicht von der Überwindung der Angst aus, von jenem berühmten Imperativ: „Fürchtet euch nicht!“ Und natürlich haben wir im Leben immer Grund zur Angst: vor Krankheit, vor Unfall, vor Hunger und Tod, vor Aggression, Krieg und Wahn. Einer der schönsten Wunschträume ist die Freiheit von Angst, als Bild vom ewigen Frieden, von der heilen Welt, der schönste, weil unerfüllteste Menschheitstraum.

Zwei Mal sind wir dieser Utopie zumindest in unserem Hoffen und Wunschdenken recht nahe gekommen, und das bezeichnenderweise nach besonders finsteren Perioden der Furcht und des Schreckens: nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Millionen und Millionen von Toten, seinen in Schutt und Asche gelegten Städten, seinen Flüchtlingszügen. Und nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Weltuntergangsuhr buchstäblich Minuten vor Zwölf angehalten schien und man zum zweiten Mal den Traum von einer einzigen Welt träumte, die friedlich global wetteifert und ihre Konflikte rational bewältigt. Unterstützt wurde diese politische Hoffnung auf eine angstfreie Welt durch soziale Fortschritte: sowohl die der Medizin wie die der intakten Sozialsysteme, in deren Netzen der Stürzende angstfrei und furchtlos landen konnte.

Es ist ganz zweifellos der Terrorismus, der die Angst wieder freigesetzt hat – und, wie es scheint, stärker als je zuvor. Denn die Waffe des Terrorismus, sein A und O, ist die Angst. Nicht so sehr die Gewalt, sondern die Angst vor der Gewalt, die er auslöst. Diese Angst ist schleichend, diese Gefahr kommt aus dem unsichtbaren Dunkel, sie ist nicht von Übermacht, sondern Überraschung, Überrumpelung bestimmt. Dieses Schüren der Angst rühmt sich dessen, dass sie heimtückisch zuschlägt, dass ihre Opfer wehrlos und „unschuldig“ sind – aber diese Unterscheidungen haben schon die Massenkriege das 20. Jahrhunderts aufgehoben. Was diese Angst so neu, so anders macht, ist in der Tat ihre Gespenster-Existenz: In immer neuen, grausigen Einzeltaten malt sie, indem sie sich der Medien als weltweiter Multiplikatoren bedient, den Schrecken an die größtmögliche Wand, sie will den Gegner lähmen, in Furcht erstarren lassen. Sie kalkuliert mit der Schwester der Angst, der vorauseilenden Feigheit.

Was gibt es gegen diese Angst zu tun? Lässt sie sich „appeasen“? Besiegen? Beseitigen? Was man in der Realität feststellen kann, ist etwas Erstaunliches: Dort, wo die Angst keine Projektion, sondern durchlebte Realität ist, beispielsweise in Israel, nimmt sie nicht etwa zu bis zur Panik, sondern „rationalisiert“ sich in der Verteidigung. Das ist, um Himmels willen, kein Trost, kein Rezept, keine Lösung. Aber es zeigt zumindest so viel: Entgegentreten muss man der Angst schon.

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