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Nach der Demonstration: Die Zukunft der Anti-Atom-Bewegung

Rund 100.000 Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin gegen die Atom-Pläne der Bundesregierung. Auch Oppositionspolitiker waren dabei. Sind sie Teil der Bewegung, und wie geht diese jetzt weiter?

Von Matthias Meisner

Nach der Großdemonstration am Samstag in Berlin mit 100 000 Teilnehmern rüstet die Bewegung für die nächsten Protestaktionen. Bereits am 28. September, wenn das Bundeskabinett die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke beschließen will, will das Onlinenetzwerk Campact eine überlebensgroße Angela-Merkel-Puppe zum Berliner Kanzleramt bringen, die dann symbolisch ein Windrad umkippt und Solaranlagen zerschlägt. Am 9. Oktober wollen Umweltverbände in Bayern eine Menschenkette in München zwischen den „Zentralen der Atomlobby“ (CSU-Zentrale, Eon, Siemens und Umweltministerium) organisieren. Und schließlich sollen im November die Proteste gegen den Castortransport im Wendland gekannte Dimensionen sprengen – „auf jeden Fall riesengroß“ werden, wie Luise Neumann-Cosel vom Aktionsbündnis X-tausendmalquer sagt.

Immer mehr Menschen protestieren auf der Straße, und SPD, Grüne und Linke sind mittendrin oder gar vorne dabei? Und am Ende löst 2013 ein rot-grünes oder rot-rot-grünes Bündnis die Merkel-Regierung ab und kippt die längeren Atomlaufzeiten wieder? Ganz so einfach ist das nicht. Wer am Sonntag, einen Tag nach dem Großprotest, mit den Veranstaltern und Unterstützern spricht, bekommt auch viele nachdenkliche Töne zu hören. Jochen Stay von Ausgestrahlt, Veteran der Bewegung und Cheflogistiker der Berliner Kundgebung, hat mit durchgesetzt, dass Parteienvertreter am Samstag in Berlin nicht auf die Rednertribüne kamen. Wenn die Atompläne jetzt überhaupt noch gekippt werden sollen, dann sei der „entscheidende Faktor“, dass auch viele Anhänger von Union und FDP die Laufzeitverlängerung nicht wollen, sagt er. „Und dann ist es blöd, wenn die Anti-Atom-Bewegung vor allem wahrgenommen wird als Veranstaltung der parlamentarischen Opposition. Wir können uns doch nicht darauf verlassen, dass die SPD ihren strikten Atomkurs noch fährt, wenn sie an die Regierung kommt.“

Uwe Hiksch, als Vorstandsmitglied der Naturfreunde einer der Organisatoren, spricht von einem „kooperativ-angespannten Verhältnis“ zwischen Parteien und Initiativen. Er befindet sich in einer Doppelrolle, war selbst Bundestagsabgeordneter, erst der SPD, dann der PDS, verdient heute noch sein Geld als Mitarbeiter eines Linken-Politikers. „Die Demonstration ist wegen der Zusammenarbeit mit den Parteien so groß geworden“, sagt Hiksch. „Aber jetzt müssen wir als Bewegung aufpassen, nicht von den Parteien vereinnahmt zu werden.“ Christoph Bautz von Campact ergänzt: „Wichtig ist, dass die Parteien mit mobilisieren. Aber wir müssen klar zeigen: Das ist keine rot-rot-grüne Bewegung, das ist eine Bürgerbewegung.“ Bei Jutta Sundermann, Mitglied des Attac-Koordinierungskreises, will sich das „tief gehende Vertrauen“ in die SPD noch nicht einstellen. Etwas verwundert hat sie beobachtet, wie aus SPD-Chef Sigmar Gabriel der „Oberdemonstrant“ wurde – und die Verbindungen auch der Sozialdemokraten zur Lobby der Stromkonzerne in Vergessenheit geraten sollen. Aktivist Stay sagt dazu: „Die Bewegung hat ein Elefantengedächtnis.“ Er betont, dass nicht nur die SPD, sondern auch die Grünen 2000 beim Vertrag über den Atomausstieg „mit den Stromkonzernen gekungelt“ hätten. So ganz leicht würden es die Ex-Umweltminister Gabriel und Jürgen Trittin (Grüne) also nicht haben, sollten sie im November auch ins Wendland kommen.

Manche, die gern ein Linksbündnis schließen würden, möchten nun auf der Atomprotestwelle segeln. Linksfraktionschef Gregor Gysi will vergangene Woche bei seiner Haushaltsrede im Bundestag sehr genau beobachtet haben, wie ihm „an einigen Stellen“ auch die SPD Beifall spendete. „Das ist neu“, berichtet er. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, grundsätzlich für gute Beziehungen der drei Oppositionsparteien, bremst solche Euphorie. „SPD und Linke haben ihr Problem untereinander noch nicht geklärt“, sagt er. Neuerdings würden die Anti-Atom-Proteste und der Aufschwung der Grünen dazu führen, dass sich „die SPD in der selbst wahrgenommenen Rolle der Volkspartei herausgefordert“ sehe und immer häufiger gegen seine Partei gifte. Der Kampf gegen den „Atom-Deal“ ist in vollem Gang – aber das heißt nicht, dass dabei alle an einem Strang ziehen.

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