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Politik: Nach der Einnahme von Gudermes wird die Situation für Moskaus Truppen schwieriger

Bislang sei es gelungen, die "Antiterror-Operation" in Tschetschenien mit relativ geringen Verlusten unter der Zivilbevölkerung durchzuführen. Auch die materiellen Schäden hielten sich in Grenzen, sagte der von Jelzin ernannte Bevollmächtigte für Tschetschenien, Nikolaj Koschman, dem russischen Fernsehen.

Bislang sei es gelungen, die "Antiterror-Operation" in Tschetschenien mit relativ geringen Verlusten unter der Zivilbevölkerung durchzuführen. Auch die materiellen Schäden hielten sich in Grenzen, sagte der von Jelzin ernannte Bevollmächtigte für Tschetschenien, Nikolaj Koschman, dem russischen Fernsehen. Unfreiwillig strafte er sich jedoch gleich im nächsten Satz Lügen: Der Wiederaufbau Grosny lohne nicht, er werde daher vorschlagen, die tschetschenische Hauptstadt nach der Einnahme durch die Regierungstruppen schleifen zu lassen.

Bereits Ende letzter Woche schloss Moskau den Ring um Grosny, wo nach tschetschenischen Angaben etwa 20 000 Kämpfer zur Verteidigung zusammengezogen wurden. Alle Industriebetriebe, sofern sie durch Bombardements und Schläge mit schwerer Artillerie nicht ohnehin zerstört sind, wurden vermint. Ebenso Brücken und Straßen. Die Tschetschenen wollen den Gegner in die Stadt locken, in Straßenkämpfe verwickeln und ihm den Rückzug abschneiden.

Ähnliches droht auch in weiteren größeren Städten - Argun und Urusmartan. Eingedenk des Desasters von 1995, wo Moskau Ähnliches widerfuhr, ist die Offensive der Generäle bereits vor mehreren Tagen zum Stehen gekommen. Unabhängige Beobachter sprechen bereits von einem Wendepunkt und warnen, der eigentliche Krieg würde erst jetzt beginnen.

Zwar konnten die Russen am Freitag Gudermes, die zweitgrößte Stadt Tschetscheniens, die als Eisenbahnknotenpunkt und Tor zu den südlichen Regionen im Hochgebirge herausragende strategische Bedeutung hat, nahezu kampflos einnehmen. Doch das ist nur zu geringen Teilen das Verdienst Moskaus, das nur technische und logistische Unterstützung lieferte. Die Drecksarbeit erledigten Heimwehren, die von herrschenden lokalen Clans aufgestellt wurden. Die aber stehen traditionell in Opposition zu Tschetschenen-Präsident Aslan Maschadow. Dass nun über der Stadt die russische Trikolore weht, ist keine Garantie für die Loyalität ihrer Bewohner gegenüber Moskau.

Dies gilt auch für die Mehrheit der "befreiten Gebiete" weit hinter der eigentlichen Front. Die Dörfer im Norden wurden teilweise bereits zum zweiten oder gar dritten Mal durch Polizeikräfte gesäubert. Vor allem nachts kommt es dort immer wieder zu Gefechten und zu Diversionsakten.

Die Rückkehrbereitschaft der inzwischen insgesamt 210 000 Flüchtlinge ließ daher trotz katastrophaler Bedingungen in den Lagern in der Nachbarrepublik Iguschetien merklich nach. Vergangene Woche hatten sich rund 12 000 Menschen zur Rückkehr in Gebiete entschlossen, die von den Russen angeblich kontrolliert werden.

Mit jedem Tag wächst daher der Druck auf die Grenze zu Georgien, die auf dem Kamm des Großen Kaukasus verläuft. Durch den frühen Wintereinbruch spielt sich dort eine Tragödie ab: Mehrere Dutzend Flüchtlinge sind von den vereisten Maultierpfaden bereits in den Abgrund gestürzt.

Auf diesem Weg gelangen nach Auffassung Moskaus Waffen und Söldner nach Tschetschenien. Dadurch hat sich das russisch-georgische Verhältnis bereits verschlechtert. Für weitere Spannungen sorgte die Ankunft von Kämpfern der Sondereinheit "Alpha" auf einer russischen Basis in der Nähe von Tiflis. Sie sollen nach Erkenntnissen Georgiens in den nächsten Tagen mit Hubschraubern in Grenznähe abgesetzt werden, um eine zweite Front zu eröffnen. Deren Stationierung auf georgischem Gebiet hatte Staatschef Schewardnadse abgelehnt: Er befürchtet, sein Land könnte in den Konflikt mit hineingezogen werden.

Moskau will bis Jahresende den Sieg in Tschetschenien erzwingen. Unklar ist jedoch, wie der Kreml danach mit der Rebellenrepublik verfahren will. Generalgouverneur Koschman unternimmt nur gelegentlich Inspektionsreisen nach Tschetschenien, sitzt aus Sicherheitsgründen sonst jedoch im Stab der Russen in Nordossetien. Auch Pläne, das 1995 gewählte tschetschenische Parlament aus der Mottenkiste zu holen und aus seinen Resten eine Exilregierung zu bilden, stießen bislang weder bei der Bevölkerung noch bei der tschetschenischen Diaspora auf Gegenliebe.

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