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Der Neue in Dublin. Enda Kenny, Chef der Partei Fine Gael, wird voraussichtlich künftig Irland regieren.

© Cathal McNaughton/Reuters

Nach der Parlamentswahl: Irland: Neue Gesichter, gleiche Probleme

Irlands Wähler haben die Regierungspartei Fianna Fáil abgestraft, nun ist eine Koalitionsregierung wahrscheinlich. Ein nennenswerter Kurswechsel der Regierung ist angesichts internationaler Verpflichtungen aber nicht zu erwarten.

Fianna Fáil, die Partei, die Irlands Geschicke seit achtzig Jahren prägt, ist bei der Parlamentswahl vom Freitag vernichtend geschlagen worden. Während die sorgfältige Auszählung der Stimmzettel mindestens bis Sonntag dauern wird, gab eine breite Wählerbefragung des irischen Rundfunks RTE schon am Samstag Aufschluss: Fianna Fáil rutschte von 41 Prozent, dem Ergebnis vor vier Jahren, auf 15 Prozent ab. Erste konkrete Ergebnisse bestätigten am Samstag, dass Minister wie die Kegel stürzten. In der Hauptstadt Dublin zog die Partei nur noch acht Prozent der Wähler an. Da Dublin 47 der 166 Abgeordneten in das Abgeordnetenhaus entsendet, werden die Verluste für Fianna Fáil katastrophal sein. Politische Dynastien, die seit Jahrzehnten automatisch im Parlament vertreten waren, dürften zunächst einmal verschwinden.

Die Wahlsiegerin steht fest: Die ebenso zentristische wie konservative Fine-Gael-Partei errang laut der Befragung von 3500 Wählern 36 Prozent der Stimmen und wird die mit Abstand größte Fraktion im neuen Parlament stellen. Ihr Vorsitzender, Enda Kenny, wird der nächste Taoiseach, also Premierminister, werden. Doch die Hoffnung auf eine absolute Mehrheit der Sitze, die in den letzten Meinungsumfragen vor der Wahl neue Nahrung erhalten hatten, muss Kenny wohl begraben. Dazu wird der Wähleranteil nicht ausreichen.

Es wird deshalb einhellig unterstellt, dass Fine Gael eine Koalitionsregierung mit der gemäßigt sozialdemokratischen Labour-Partei bilden wird, die mit rund 20 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis erzielen dürfte. In Dublin wird Labour zur stärksten Kraft. Diese Kombination von Fine Gael und Labour ist seit Jahrzehnten die einzig denkbare Alternative zu Fianna Fáil. So auch diesmal. Das Wettbüro Paddy Power hat jenen, die auf diese Koalition gewettet hatten, bereits am Samstag ihre Gewinne ausbezahlt.

Obwohl die beiden Parteien während des Wahlkampfes ihre Meinungsverschiedenheiten betonten, sollten die Verhandlungen nicht allzu schwierig werden: Die Spitzenpolitiker beider Lager kennen sich gut und vertreten keine verbissenen ideologischen Positionen. Zudem ist der Spielraum der neuen Regierung ohnehin eng: Die finanzpolitischen Eckwerte für die nächsten vier Jahre wurden vor drei Monaten vom Internationalen Währungsfonds und der EU bestimmt.

Die aus der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) herausgewachsene Sinn-Féin-Partei, die in Nordirland eine starke Stimme in der Koalitionsregierung besitzt, hatte sich zeitweise Hoffnungen gemacht, zur größten Oppositionspartei in der Republik Irland aufzurücken. Doch mit einem vorhergesagten Stimmenanteil von zehn Prozent wird die Fraktion voraussichtlich kleiner ausfallen als die parlamentarische Vertretung Fianna Fáils. Parteipräsident Gerry Adams indessen wird gewiss ein Mandat in der Grafschaft Louth erringen.

Symptomatisch für die Wut und die Politikverdrossenheit der irischen Wählerinnen und Wähler scheint der hohe Anteil der Parteilosen, Unabhängigen und linken Splittergruppen, namentlich in Dublin. Ihre 15 Prozent werden sich nicht in einem ebenso hohen Anteil von Sitzen niederschlagen, aber das neue Parlament, das am 9. März erstmals zusammentreten soll, wird wesentlich bunter sein als das letzte.

Über die Wahlbeteiligung lagen bei Redaktionsschluss noch keine verlässlichen Angaben vor, doch der Anteil von 67 Prozent, der vor vier Jahren erzielt wurde, soll leicht übertroffen worden sein.

Das Fazit dieser Wahl lautet somit: Es gab die erwarteten seismischen Verschiebungen in der irischen Parteienlandschaft, ein nennenswerter Kurswechsel der Regierung ist angesichts internationaler Verpflichtungen aber nicht zu erwarten. Die zornige Ohnmacht der Wählerschaft bringt zwar neue Gesichter, aber die Abneigung der Iren gegenüber ideologisch motivierter Politik bleibt bestehen. Die inhaltlich breit aufgestellten Volksparteien dominieren das Geschehen auch weiterhin.

Martin Alioth

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