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SPD-Parteichef Martin Schulz muss das Sondierungsergebnis verteidigen.

© Carstensen/AFP

Nach der Sondierungsentscheidung: Martin Schulz sucht Legitimation durch Leidenschaft

Er muss kämpfen. Der SPD-Parteitag in einer Woche entscheidet, ob eine neue große Koalition eine Chance hat. Dabei geht es auch um das politische Schicksal von Martin Schulz.

Von Hans Monath

Wie kann ein Mann nach 36 Stunden Verhandlungsmarathon ohne eine Mütze Schlaf schlagfertiger argumentieren als sieben Stunden früher, wenn es um seine Konzentration noch besser hätte stehen müssen? Martin Schulz bringt dieses Kunststück fertig an dem Freitag, an dem die Sondierung mit der Union zu einem Ende kommt – und ein Ergebnis steht.

Wahrscheinlich gibt es auch in der Disziplin der politischen Hochleistung wie im Extremsport einen Punkt, den man überwinden muss, damit es danach leichter läuft. Morgens gegen elf im Willy-Brandt-Haus. Der Durchbruch in den Gesprächen ist gerade eineinhalb Stunden alt. Als Hausherr begrüßt der SPD-Vorsitzende seine Verhandlungspartner Angela Merkel und Horst Seehofer – die drei nebeneinander auf einer Bühne sind ein Bild, an das sich das politische Berlin erst noch gewöhnen muss.

Die Parteichefs wollen das Ergebnis ihres Ringens vorstellen. Schulz steht wegen der ausgeprägten Skepsis seiner Basis gegen eine Neuauflage der großen Koalition extrem unter Druck. Deshalb müsste er eigentlich knapp und konzentriert seine Erfolge aus dem Ringen mit der Union herausstellen. Doch das tut er kaum, er bleibt allgemein, und manche seiner Sätze über den Geist der Vereinbarung mit den Stichworten Erneuerung, Zusammenhalt und Vertrauen bringt der abgekämpfte Politiker in dieser Pressekonferenz gar nicht zu einem Ende.

Ein völlig anderer SPD-Chef ist dann am Abend in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Schulz“ zu sehen, die kurz vor 18.00 Uhr aufgezeichnet wird: Der 62-Jährige pariert Fragen nach fehlenden Prestigeprojekten seiner Partei aus den Verhandlungen ziemlich selbstbewusst. Gut sortiert erklärt er SPD-Errungenschaften wie den Aufbruch für Europa, Investitionen in die Pflege und Gesundheit oder Ganztagsbetreuung. „Das, was die Bürger sofort spüren, das sind meine Leuchttürme“, sagt er. Und er hinterlässt den Eindruck: Hier will einer wirklich etwas – und hat auch etliche gute Argumente, warum er sein Ziel erreichen könnte.

Innerhalb weniger Stunden wandelt sich Martin Schulz. Womöglich ist das eine Beschreibung, die nicht nur für seine Kommunikationsleistung an diesem Tag gilt, sondern auch für seine Rolle als Parteichef. Viele in der SPD hatten ihn nach dem historischen Wahldesaster schon abgeschrieben, und ohne die Unterstützung des Niedersachsen Stephan Weil hätte er sich kaum an der Spitze der geschrumpften SPD halten können. Doch nun scheint die Lage anders: Kann der Politiker aus Würselen, der in den Wochen nach der Wahl oft planlos wirkte, sich neue Autorität erarbeiten, indem er seine Partei gegen alle Widerstände davon überzeugt, dass ein neues Bündnis mit der Union für sie die einzige Chance ist?

Es wäre ein politisches Paradox, wenn ihm das gelänge: Der härteste Gegner einer großen Koalition rettet sich durch eine große Koalition. Um das zu verstehen, muss man nur an den Abend der Bundestagswahl denken. Kaum steht der Absturz der SPD fest, schließt Schulz im Willy-Brandt-Haus eine Neuauflage der großen Koalition kategorisch aus. An keiner Stelle seiner Rede jubeln die erschütterten Genossen lauter. Er trifft die Stimmung. Es ist, als ob sie aus einer langen politischen Gefangenschaft endlich wieder ins Freie treten dürfen.

Allerdings wird vielen in der Parteispitze, in der Bundestagsfraktion und in roten Staatskanzleien bald klar: Der Mann hat keine Vorstellung davon, was seine Partei mit ihrer neuen Freiheit anfangen soll. Bald macht der Begriff „begleitete Parteiführung“ im Willy-Brandt-Haus die Runde. Den hat zwar ein Journalist geprägt, aber er trifft den Umstand sehr gut, dass Schulz- Kritiker dem Mann an der Spitze der ältesten deutschen Partei keine Achtung mehr entgegenbringen, sondern ihn jetzt einhegen wollen.

Schulz sucht Legitimation durch Leidenschaft – die Basis lässt sich weiterhin von ihm begeistern. Noch am Wahlabend verweist er auf die heroische Geschichte der SPD im Nationalsozialismus und hebt ihre Rolle als Verteidigerin der Demokratie in schwierigen Zeiten hervor. Auch da jubelt sein Publikum. Immer wieder verspricht er, die neu in den Bundestag eingezogene AfD zu „stellen“. Aber der Kampfansage folgt – anders als bei Vorgänger Sigmar Gabriel – nicht ein einziger inhaltlicher Vorschlag, wie er deren Anhänger zurückgewinnen will. „Phrasen, nichts als hohle Phrasen“, stöhnen in dieser Phase langjährige SPD-Parlamentarier, wenn sie wieder einmal aus einer Sitzung der Bundestagsfraktion kommen, in der ihr Parteichef pathetische Ansagen gemacht hat.

Nun muss Schulz den Weg frei machen für Koalitionsverhandlungen

Auch als die Jamaika-Sondierung scheitert, macht Schulz sofort die Tür zu zur großen Koalition: Wir stehen dafür nicht bereit, lässt er am nächsten Tag beschließen. Doch die SPD-Bundestagsfraktion rebelliert, der Bundespräsident nimmt die Parteien in die Pflicht. Legt der Parteichef da schon den Hebel um? Zwei Tage später verbreitet das Willy-Brandt-Haus die Nachricht, dass der Präsident in Paris und linke Parteien aus Europa die SPD bestürmen, jetzt in die Regierung zu gehen. Es ist die Vorbereitung des Arguments: Nur wir können Europa retten – in der großen Koalition. Doch noch auf dem Parteitag Anfang Dezember lässt Schulz die Delegierten im Unklaren darüber, was er eigentlich will. „Ich strebe gar nichts an“, hat er kurz vorher gesagt. Bei dem Treffen zeigt stattdessen Fraktionschefin Andrea Nahles, dass sie führen will und für die Regierungsbeteiligung kämpft.

Nun muss Schulz auf dem Sonderparteitag am kommenden Sonntag den Weg frei machen für Koalitionsverhandlungen. Manche in der SPD meinen, er müsse sich dazu neu erfinden. „Es ist sehr gefährlich, wenn Martin weiter glaubt, er kommt damit durch, dass er allen alles verspricht“, warnt ein Vorstandsmitglied. Zu lange habe er den Genossen Hoffnung gemacht, auch er sei gegen die große Koalition.

Der Politiker aus der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Schulz“ scheint seine Erzählung gefunden zu haben. Vom Aufbruch für Europa versteht der Ex-Präsident des Europaparlaments etwas. Und der Inhalt des Sondierungspapiers, in dem es so oft um die Alltagsprobleme der Bürger geht, um Rente, Gesundheitssystem und Betreuungsplätze, passt zu einem Politiker, dessen Stärke es ist, auf Menschen zuzugehen. Im Fernsehen sagt er es so: „Die alleinerziehende Mutter, die arbeiten gehen will, aber niemanden hat, der auf ihr Kind aufpasst, das sind die Leute, die uns fragen: Welche Leuchttürme habt ihr für uns?“

Und welche Rolle sieht Martin Schulz für sich persönlich in dem Moment, da ein neues Bündnis von Union und SPD steht? Manche in seiner Partei überlegen, ob er nicht Finanzminister werden soll, andere wollen ihn wegloben nach Europa. Sein Satz „Ich werde dafür sorgen, dass es gelingt“ – gemeint ist die Reform Europas durch eine neue Bundesregierung – klingt aber nicht danach, als ob es ihn wieder nach Brüssel zieht.

Aber da ist ja noch ein anderes Amt, das zu einem passen könnte, der fließend fünf Sprachen spricht. Ob er nicht Außenminister werden wolle, möchten die ZDF-Moderatoren von Schulz wissen. Der Parteichef will die Brisanz des Themas weglächeln, als die Frage kommt, doch mit dem Oberkörper zuckt er zurück. „Drei oder vier Fragen vorher haben Sie mich gefragt, ob ich überhaupt über den Parteitag komme“, antwortet er. Über „Positionen“ werde die SPD erst sprechen, „wenn wir die Abstimmung der Mitglieder gewinnen“.

Bis dahin ist es allerdings auch für politische Marathonläufer noch eine ziemlich lange Strecke.

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