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Nach der Wahl in Italien: Patt oder Matt

Italien hat sich in die Unregierbarkeit gewählt. Wer die Politik künftig gestalten soll, ist unklar. Auch über Neuwahlen wird schon spekuliert. Was muss jetzt passieren? Und was bedeutet das Votum der Italiener für die deutsche Europapolitik?

Rom ist sehr verhalten am „Day after“. Drei Sieger könnten sich eigentlich feiern, aber keiner tut es. Ein müder Silvio Berlusconi verlangt im Morgenmagazin „Zeit zum Nachdenken“, Sozialdemokrat Pier Luigi Bersani, der sich um seinen Sieg betrogen sieht und schon die ganze Nacht lang sehr schweigsam war, schiebt seine Pressekonferenz möglichst weit hinaus, auf den frühen Abend, und der größte Star von allen, Beppe Grillo, tut etwas, was er noch nie getan hat: Er hebt lediglich den Daumen zum „Okay“ und sagt kein einziges Wort. Und der bisherige Regierungschef Mario Monti ist ohnehin weit abgeschlagen.

Wie genau sind die Verhältnisse

in Senat und Parlament?

Noch nach der letzten Umfrage vor der Wahl hatten Pier Luigis Sozialdemokraten vier Prozentpunkte Vorsprung. Doch in der Wahlnacht sah es dann so aus, als könnte der Sieg sogar an Silvio Berlusconi gehen. Den Sozialdemokraten ist er im Abgeordnetenhaus auf 0,36 Punkte nahegekommen. Und im Senat ist Berlusconis Lager aufgrund der Tücken des Wahlrechts gar um drei Sitze (116 zu 113) stärker, obwohl Bersani landesweit 280 000 Stimmen mehr erhalten hat. Im Abgeordnetenhaus hingegen dürfen sich die Linken aufgrund des als „Schweinerei“ („Porcellum“) bekannten Wahlrechts als echte Wahlsieger fühlen. Da kriegt Bersanis Lager 340, Berlusconis nur 124 Sitze.

Die eine Kammer wird also links beherrscht, die andere ist zersplittert; Bersani kann nur regieren, wenn er eine Koalition mit Berlusconi oder mit Grillo eingeht . Mario Monti, von Bersani als „Krücke“ erhofft, fällt als Koalitionspartner weg. Mit 9,13 Prozent ist er zu schwach für jedes rechnerisch sinnvolle Bündnis.

Welche Szenarien sind nun denkbar?

Drei Szenarien werden gehandelt. Erstens: Bersani bekommt den Auftrag zur Regierungsbildung. Handelt er im zersplitterten Senat eine in den Augen von Staatspräsident Napolitano verlässliche Mehrheit heraus, geht alles glatt. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht hoch: Eine große Koalition mit Berlusconi gilt als ausgeschlossen; Grillo hat Unterstützung nur für jeweils auszuhandelnde Einzelfragen zugesagt.

Die zweite Möglichkeit ist, dass Bersani mit der Regierungsbildung scheitert und den Auftrag an den Staatspräsidenten zurückgibt. Dass ihn danach ein anderer bekommt, Berlusconi gar, gilt als ausgeschlossen. Denn im Abgeordnetenhaus hat dieser sowieso keine Mehrheit, und im Senat sind alle gegen Berlusconi: Sozialdemokraten, Grillini, Montianer. Es könnte sein, dass Napolitano dann versucht, eine Übergangsmehrheit zusammenzutrommeln, die nur die seit Jahren verschleppte Aufgabe hätte, das Wahlrecht zu reformieren und, weil die Zeit drängt, einen Nachfolger für ihn selbst zu wählen. Vielleicht treffen wenigstens in dieser Allianz die Interessen von Sozialdemokraten und Berlusconi zusammen, dann käme es womöglich noch vor der Sommerpause, wahrscheinlich aber im Herbst, zu Neuwahlen.

Die dritte Möglichkeit: Angesichts der Krise der Nation und der Auswirkungen für Europa überredet Napolitano wieder einmal – wie nach dem erzwungenen Rücktritt Berlusconis im November 2011 – die Sozialdemokraten und die Berlusconi-Leute zu einer Zusammenarbeit unter einem neuen „technokratischen“ Ministerpräsidenten. Das wäre die Neuauflage des „Systems Mario Monti“ – allerdings ohne diesen. Nachdem Monti im Wahlkampf Partei geworden ist, wird ihn im Parlament niemand mehr als rein fachliche Autorität, als überparteilichen Lehrmeister akzeptieren. Ein anderer Monti aber ist nicht in Sicht.

Wie ist Beppe Grillos überraschender Erfolg zu erklären?

„Schluss mit der Selbstbedienung!“, schrie Beppe Grillo im Wahlkampf in die Menge. „Ohne einen Cent Staatsgeld“ hat er seine „Fünf-Sterne-Bewegung“ aufgebaut. Er will auch weiter darauf verzichten „zu stehlen“: Millionen an Wahlkampfkostenerstattung haben seine Abgeordneten schon im sizilianischen Landtag zurückgegeben; wo die Abgeordneten anderer Parteien pro Monat bis zu 13 000 Euro einstreichen, werden sich die „Grillini“ mit 3000 Euro begnügen. Ob das Sparen bei den Politikern reicht, um Grillos größtes Wahlversprechen – drei Jahre lang 1000 Euro Bürgergeld monatlich für alle Arbeitsuchenden – zu finanzieren? Wie auch immer – es kommt an bei den Leuten.

25,55 Prozent hat die „Fünf-Sterne-Bewegung“ bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus eingefahren. Das ist europäischer Rekord für eine Partei, die sich aus dem Stand heraus national zur Wahl stellt. Und es ist eine Blamage für Italiens angeblich größte politische Kraft: Die Sozialdemokraten bleiben bei 25,41 Prozent hängen. Es gelten auch keine Links-rechts-Schemata mehr. Grillo hat zwar offenbar mehr Stimmen von den Sozialdemokraten abgezogen als von Berlusconi, aber die so denken wie er, sitzen in allen Lagern. Und in allen Altersgruppen unterhalb von 65 Jahren. Viele von ihnen haben bisher gar nicht gewählt – weil sie zu jung waren oder ihnen Italiens Politikbetrieb zuwider war.

Einige italienische Leitartikler weisen am „Tag danach“ darauf hin, dass Grillo auf der gleichen populistischen Schiene wie Silvio Berlusconi einen starken Anti- Europa-Wahlkampf betrieben hat. Beide lehnen „Übergriffe“ aus Brüssel und Berlin ab; beide schwadronieren vom Ausstieg aus dem Euro. Zusammen kommen sie auf 55 Prozent der Wählerstimmen.

Ist das Ergebnis auch ein Denkzettel

für die deutsche Europapolitik?

Der Wahlausgang muss Berlin zu denken geben. Mit Sprüchen gegen die Kanzlerin hat Berlusconi im Wahlkampf unglaublich aufgeholt. Der Milliardär und Medienmogul gibt vor allem Merkel die Schuld an der Misere Italiens. In die gleiche Kerbe schlägt Ex-Komiker Grillo, der gegen „die da oben“ in Brüssel und in Berlin punktete. Das Ergebnis kann auch für Deutschland teuer werden: Bei Rettungshilfen an Italien steigen auch die Garantien und die Haushaltsrisiken für die deutschen Steuerzahler. Und das sind keine guten Aussichten für die schwarz-gelben Wahlkämpfer um Merkel. mit dpa

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