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Peer Steinbrück war alles andere als ein Wahlhelfer.

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Nach der Wahl in Niedersachsen: Auf der langen Strecke

Am Ende hat es für Rot-Grün in Niedersachsen doch noch gereicht. Das ließ fast vergessen, dass der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, alles andere als ein Wahlhelfer war. Die SPD schaut mit ihrem Spitzenmann nun nach vorn.

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Es war ausgerechnet der Meister des Gegenwinds, der eine Dreiviertelstunde nach Schließung der Wahllokale in Niedersachsen das Foyer des Willy-Brandt- Hauses in Berlin am Wahlabend zum Jubeln brachte. Obwohl SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil und alle wichtigen Vertreter der Bundes-SPD auch vor den Kameras an die schwierigen Bedingungen des Niedersachsen-Wahlkampfes erinnerten und jedem Zuhörer klar war, dass damit die Debatte um Peer Steinbrück gemeint war, waren die Genossen ihrem Kanzlerkandidaten offenbar nicht gram. Kaum hatte Parteichef Sigmar Gabriel auf der Bühne dem Ex-Finanzminister das Wort überlassen, bekannte sich der auch zu seinem Anteil daran, dass die niedersächsischen SPD-Wahlkämpfer sich ausgerechnet in der Endphase des Ringens mit Schwarz-Gelb mit einem Problem herumschlagen mussten, für das sie selbst nichts konnten: „Ich will sagen, dass es mir sehr bewusst ist, dass es aus der Berliner Richtung keinen Rückenwind gegeben hat und dass mir auch bewusst ist, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage.“ Auch das honorierten die sozialdemokratischen Zuhörer mit Applaus.

Indirekt ging Steinbrück auch auf die Debatte um seine Durchhaltefähigkeit als Kanzlerkandidat unter Dauerbeschuss ein. „Ich bin verlässlich und will mit euch gewinnen“, rief er. Zu dem Zeitpunkt war freilich schon lange klar, dass die Genossen in Niedersachsen trotz Steinbrücks Klage über das zu niedrige Kanzlergehalt und seinem anschließenden Absturz in den Umfragen keine dramatischen Verluste von Wählerstimmen hinnehmen mussten. Auf ein solches düsteres Szenario aber hatten sich in den vergangenen Tagen viele Sozialdemokraten in der Bundes-Spitze und auch in den Ländern eingestellt. Längst wurde darüber nachgedacht, wie die dann unausweichliche Debatte um Steinbrücks Rolle als Wählerschreck und seine Eignung als Kandidat eingedämmt werden könnte. Gemessen an den Erwartungen in den vergangenen Tagen habe sich die SPD in Niedersachsen doch noch „prächtig geschlagen“, freute sich etwa der Berliner Landeschef Jan Stöß.

Die erleichterten Spitzen-Sozialdemokraten hatten denn auch schnell eine Lehre für den Bundestagswahlkampf im September bereit: In Niedersachsen habe sich gezeigt, dass die SPD mit den richtigen Themen zulegen und eine schwarz-gelbe Regierung in Bedrängnis bringen könne, erklärte Parteichef Gabriel. Eine Erklärung dafür, warum in einer ARD-Umfrage immerhin zwei Drittel der SPD-Wähler dem Kanzlerkandidaten bescheinigten, er habe seiner Partei im Wahlkampf geschadet, bot Gabriel nicht an. Stattdessen appellierte er an das Solidaritätsgefühl und den Stolz seiner Genossen: „Was wären wir für ein jämmerlicher Haufen, wenn wir gleich den Kandidaten auswechseln würden, wenn der Wind mal von vorne kommt.“

Deutlich wurde am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus auch, wie die SPD aus dem Niedersachsen-Ergebnis Mut für die lange Strecke bis zur Bundestagswahl im September ziehen will. Die Botschaft lautet: Wenn wir uns auf die wichtigen Themen konzentrieren und keine Fehler machen, rückt das Ziel einer rot-grünen Bundesregierung in greifbare Nähe. Wie das zu bewerkstelligen ist, und wie vor allem Steinbrück selbst künftig Fehler vermeiden kann, das wollen führende Sozialdemokraten aber nicht in der Öffentlichkeit, sondern mit ihm selbst und seinem Team besprechen. Die Arbeit des Steinbrück-Teams, so grummeln wichtige Sozialdemokraten, müsse dringend professioneller und schlagkräftiger werden.

Schlagkräftigere Sozialdemokraten wünschen sich auch die Grünen. Als die Wahlprognosen um 18 Uhr auf den Monitoren liefen, applaudierten etwa 100 Grünen-Mitglieder auf der Wahlparty in der Berliner Parteizentrale in Mitte. Doch nach fünf Sekunden Beifall kippte die Stimmung. „Das Ergebnis ist gut für uns“, sagte eine Grüne, „den Rest müssen wir sehen.“ Die Grünen konnten zwar deutlich auf über 13 Prozent zulegen, aber den „Rest“, das Wahlziel Rot-Grün, werden sie wohl nicht erreichen. Die Stimmung unter den Basis-Mitgliedern war am Abend gedämpft, während sich die Parteispitze im Zweckoptimismus übte. Ein „wunderbarer Abend für die Grünen“, sagte Parteichef Cem Özdemir, „mit dem historisch besten grünen Ergebnis für Niedersachsen.“ Keine Partei habe so stark zugelegt wie die Grünen.

Das Ergebnis lässt nach grüner Lesart nur einen Schluss zu: „Das ist echter Rückenwind für den Bund. Wir werden es schaffen, Schwarz-Gelb mit Rot-Grün abzulösen“, sagte Özdemir. So kritiklos wie die Grünen noch eine gute Woche vor der Wahl mit ihrem Wunschpartner umgegangen sind, sind sie jetzt nicht mehr. Sie fordern von den Sozialdemokraten mehr Anstrengung. „Die SPD darf eine Schippe zulegen“, sagte Özdemir, „die SPD muss schauen, wie sie ihr Ergebnis verbessert. Wir leisten unseren Beitrag.“ Und auf die Frage, ob die SPD mit Steinbrück den richtigen Kanzlerkandidaten habe, sagte Özdemir knapp: „Das ist ihr Kanzlerkandidat. Das habe ich nicht zu kommentieren. Die SPD muss schauen, dass sie in die Puschen kommt.“ Wer bei der Bundestagswahl sicher gehen wolle, dass es zu einem Wechsel kommt, müsse den Grünen die Zweitstimme geben. Denn bei der SPD gebe es das Risiko, dass die Stimmen in eine große Koalition einfließen könnten.

Die Parteilinke freut sich zwar über das Wahlergebnis in Niedersachsen. Man habe schon mit „Schlimmerem“ gerechnet, sagten einige. „ Aber mit der SPD bin ich nicht zufrieden. Das hätte ein klares Rot-Grün gegeben, wenn Steinbrück nicht so agiert hätte“, sagte der Parteilinke Anton Hofreiter. Immerhin gebe es „Rösler, der uns nach dem FDP-Ergebnis als Parteichef und Wahlhelfer bis zur Bundestagswahl erhalten bleibt“, stichelte der Verkehrspolitiker.

Von einem großen rot-grünen Projekt wie vor 15 Jahren und der ersten SPD-Grünen-Koalition auf Bundesebene spricht heute kein Grüner mehr. Seit der Abwahl von Rot-Grün 2005 kämpfen beide Parteien getrennt um die Wählergunst. Die Grünen genießen schon lange keinen „Welpenschutz“ mehr bei der SPD. Im Gegenteil: Durch ihre Wahlerfolge in Baden-Württemberg wurden sie immer selbstbewusster. Sprechen die Grünen heute von der SPD, wollen sie mit den Sozialdemokraten nur noch Bündnisse auf Zeit eingehen. Das gute Ergebnis in Niedersachsen wird das Bedürfnis in der Grünen-Partei steigern, in einer Regierung wieder Politik mitzugestalten. Und wenn es nicht für Rot-Grün reicht, werden klammheimlich schon andere Farbvarianten durchdekliniert. Millimeterweise rücken die Grünen von der SPD ab, denn was nützt es, wenn es mit einer schwächelnden SPD keine eigene Machtoption gibt?

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