zum Hauptinhalt
Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz am Sonntag bei der Wahlparty der SPD.

© dpa

Nach der Wahl in NRW: Schulz oder die Frage: Wofür SPD?

Die SPD konnte auch in Nordrhein-Westfalen nicht nachweisen, dass sie besser regiert. Das Signal: Im Zweifel gewinnt die Stabilität einer merkelschen CDU. Schulz muss erklären, wie er noch überzeugen will. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn das kein Desaster ist. Nein, nicht fürs Land, das bevölkerungsreichste, industriestärkste der Bundesrepublik. Das wurde ja auch schon mal von anderen regiert als den Sozialdemokraten, 2005 bis 2010 war das, unter dem weithin vergessenen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der damals als „Arbeiterführer“ Furore machte, weil ihn eben die Arbeiter wählten. Vielmehr ist es ein Desaster für die Genossen, weil das Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen ihre, ja, sagen wir, Domäne ist. Wer hat es denn groß gemacht? Sozialdemokraten, Heinz Kühn in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, dann besonders Johannes Rau, der das „Wir in NRW“ so starkredete, dass beide, Westfalen und Rheinländer, sogar daran glaubten.

Die Politik des Wir wurde allerdings in der Folge eher zu einem überaus selbstbewussten „Wir können es besser“. Das klang auch immer bei Amtsinhaberin Hannelore Kraft durch. Sie strahlte das aus, was einerseits tatsächlich eine Stärke ist. Andererseits aber übertrieben wirkte, weil NRW nun nicht gerade das Zentrum des Fortschritts ist. Und jetzt das: ein Rückschritt, mehr noch, ein Rücksprung für die Sozialdemokratie. Die „kleine Bundestagswahl“ verloren, das heißt: Die große kann erst recht verloren gehen. Und für Martin Schulz wird es bitter.

Von wegen „Schulz- Zug“, wie es schon hieß, als er an die Spitze der Bundes-SPD gewählt wurde mit 100 Prozent. Das ist, heute wissen wir es noch besser, weniger eine Verheißung als eine Hypothek geworden. Und von wegen „Gottkanzler“, als der Schulz schon apostrophiert wurde. Jetzt wird er voraussichtlich kein Bundeskanzler werden; vom anderen zu schweigen, was sicher auch ganz im Sinne des Katholiken Schulz ist. Fraglos muss ihm allerdings jetzt etwas einfallen, das an ein Wunder heranreicht, wie: Er kann übers Wasser laufen. Oder schlichter: Er sagt, wozu er die Macht haben will, ganz konkret, in allen Bereichen.

Auf dem Wachstum herumgeritten

Tatsache ist, dass die SPD in NRW nicht damit werben konnte, besser zu regieren als alle anderen, als Vorbild zu dienen. So war es nicht. Staus so lang, dass man bis zum Mond kommen könnte, oder jedenfalls zehnmal um die Erde, wie jüngst einer verdienstvollerweise ausgerechnet hat, werden auch nicht dadurch kürzer, dass es woanders nicht besser ist. Schon gar, weil in NRW so viele Autos fahren, was gleich neue Fragen an eine rot- grüne Landesregierung aufwirft. Auch die Kriminalität ist hoch, und was hilft es den betroffenen Menschen, dass sie laut Bundeskriminalamt im Vergleich mit, nehmen wir Berlin, eher weniger schlimm ist. Oder dass sie immer schon ziemlich schlimm war. Rot-Grün hat darauf reagiert, hat neue Polizisten eingestellt, viele sogar, aber das tun andere Landesregierungen auch.

Dann das Wachstum: Darauf hat die CDU herumgeritten, nicht nur Spitzenkandidat Armin Laschet, sondern die ganze Bundesparteiprominenz. Ja, es gibt Wachstum, da hatte die SPD immer recht, doch hatte es wenig Kraft, weniger als im Bund. So ist es, entsprechend umgekehrt, mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Beides war im Bund deutlich besser. Im Bund aber regiert wer? Genau, die christdemokratische Kanzlerin mit ihrem alten Schatzkanzler, dem Meister der Schwarzen Null, dem Herrn über die Kasse und die Ausgaben.

Apropos Ausgaben: Kein guter Ausweis für die gesamte Sozialdemokratie, die die Wahl in NRW zum Signal erhoben hatte, ist, dass dort nach einem Plus im vergangenen Jahr in diesem 1,6 Milliarden Euro Neuverschuldung eingeplant sind. Wer wirkt da bei den „Menschen draußen im Lande“, wie Wahlkampfmeister und Rekordkanzler Helmut Kohl immer sagte, wohl kompetenter?

So geht das Signal für Angela Merkel in die richtige, für Martin Schulz in die falsche Richtung. Für den wird NRW zum Menetekel. Und das vor dem Hintergrund, dass der Mann aus Würselen, der Stadt nahe Aachen, doch genau das transportieren wollte: Weil ich weiß, wo ich herkomme, weiß ich auch, wo ich hinwill – ins Kanzleramt. Für euch da draußen.

Doch der Weg dorthin führt für ihn jetzt über steinige Äcker. Zumal Merkel sich in lichtere Höhen verabschiedet hat. Während sie in der Welt hofiert wird, die Welt sie hofiert, am Montag schon Emmanuel Macron, müht sich Schulz auf vielen wenig beachteten Terminen in der Republik ab. Was demnächst wieder augenfällig werden wird beim G-20-Gipfel in Hamburg, wo Merkel als das Gegenmodell zum Beispiel zu einem Donald Trump von den anderen 18 Staatenlenkern gehypt werden wird. Dafür muss sie nicht einmal viel tun, Anwesenheit genügt.

Die Wahrheit ist konkret, Genossen

Zu vermuten ist, dass Schulz dagegen nicht länger vor allem nach der Marschroute verfährt „Würselen ist überall“, sondern seinen Blick und den auf ihn selbst wieder weiten wird. Kaum einer hatte doch so viel internationale Präsenz wie der vormalige EU-Parlamentspräsident, er wurde in der Welt gehört, gesehen und empfangen. Dieses Pfund hat er gleichsam dahingegeben. Womöglich trainiert Schulz es sich wieder an.

Und die Wahrheit ist konkret, Genossen: Sicherheit, Wirtschaft, Jobs – wie soll es Deutschland mit der SPD besser gehen? NRW zeigt, dass die Menschen Merkel und ihrer Union hier (wieder) mehr zutrauen. Überhaupt wirkt Merkel in einer chaotischen Welt wie eine Garantin der Stabilität. Um sie abzuwählen, braucht es gute Gründe.

Schulz muss deshalb seine Chance in der Klarheit suchen, wenn es sich noch lohnen soll, auf ihn als Partner für eine alternative Koalition zu setzen. Die FDP kommt stark auf, und es ist nicht ausgemacht, dass ihr Zug zur Union stärker ist; da könnte noch was gehen. Die Grünen werden nicht ihren Kurs grundlegend korrigieren, vielleicht aber den Auftritt: Robert Habeck, Wahlsieger in Kiel, könnte Bundesparteichef und damit dritter Spitzenkandidat werden.

Bleiben der linke und der rechte Rand. Die Linke muss kämpfen, nicht zuletzt gegen ihren Ruf als „Dagegen-Partei“, die Ultrarechten, die AfD, dagegen, besonders stark im Kampf gegen sich selbst zu werden. Auch bei diesen beiden ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aber die Wahl in Nordrhein-Westfalen war ja auch nur das vorletzte.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false