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Nach der Wahl: Machtkampf bei den Grünen

Nach Fischers Rückzug kämpfen fünf Kandidaten um einen Platz in der neuen Doppelspitze. In der Fraktion werden Renate Künast und Fritz Kuhn als ein wahrscheinliches Zukunftsduo gehandelt.

Berlin (21.09.2005, 14:18 Uhr) - Fraktionsvorsitzende brauchen allerhand Qualitäten, zumal bei den Grünen mit ihren vielen eigenständigen Köpfen. Geschick für aufreibende Dauerverhandlungen in einer Koalition mit Union und FDP muss die neue Fraktionsdoppelspitze allerdings wohl nicht mitbringen. Die Grünen wollen sich ihrer Verantwortung angesichts der verzwickten Lage nach der Wahl zwar stellen. Dass die für Freitag angesetzten Gespräche mit der Union aber in Koalitionsverhandlungen münden, hält man bei den Grünen für unwahrscheinlich.

«Angriffsqualitäten» müssen die Frau und der Mann in erster Linie mitbringen, die die 51 Grünen-Abgeordneten am Dienstag wählen, sagt ein Abgeordneter. Von jüngsten Erfolgen gespeiste Strahlkraft haben alle fünf Kandidaten. Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager haben die grüne Sache in vielen Verhandlungen mit dem Noch- Koalitionspartner SPD vorangetrieben, ohne ihrer Fraktion die Luft zu nehmen. Die Minister Renate Künast und Jürgen Trittin stehen für die urgrünen Themen Agrarwende, Verbraucherschutz, Atomausstieg und Windkraft in der Regierung. Und Fritz Kuhn kann als Wahlkampfmanager die äußerst respektablen 8,1 Prozent vom Sonntag mit für sich verbuchen.

Viele Fraktionäre waren noch geplättet durch Joschka Fischers epochalen Rückzug als oberster Einflussgeber der Partei, als die fünf nacheinander ihre erwartete Kandidatur ankündigten. Die Theologin Göring-Eckardt betonte die Rolle der Grünen als «klassische Wertepartei» und schrieb die jüngsten Erfolge im Osten auch ihrem Konto gut. Sager sagte mit gewinnendem Lächeln, aus der langjährigen Übung «kollektiver Führung» müsse jetzt Ernst werden. Künast kündigte an, die Partei weiter in die Breite der Gesellschaft führen zu wollen. Trittin will das Grüne zwischen schwarz-gelbem Neoliberalismus und populistischer Linkspartei leuchten lassen. Und Kuhn? «Das Hauen und Stechen wird nicht stattfinden», sagte er mit gekräuselter Stirn. Er persönlich aber, er könne kraftvolle Opposition durchaus.

Künast/Kuhn gilt in der Fraktion als ein wahrscheinliches Zukunftsduo. An der Parteispitze machten beide 2000 schon einmal eine gute Figur. Auch der Links-Realo-Proporz wäre so gewahrt, wenn die Führungsfrage für die weitere Ausrichtung der Grünen auch «sekundär bis tertiär» ist, wie ein Abgeordneter sagt. Die Integrationskraft des erst zweieinhalb Monate alten Programms ist noch lange nicht verbraucht und die Rolle der Grünen in der Opposition weitgehend vorgezeichnet. Bei einer großen Koalition, so kalkulierte man in der Parteispitze schon vor Monaten, könnten die Grünen sich bestens zwischen der - aus Grünen-Sicht - eindimensional marktradikal ausgerichteten FDP und einer in Wolkenkuckucksheim beheimateten Linkspartei profilieren.

So dienen die Jamaika-Gespräche vor allem der Demonstration, dass es an den Grünen nicht liegt, falls die Parteien keine stabile Regierung hinbekommen. Außerdem wird so gezeigt: «Wir sind nicht mit der SPD verheiratet» (Finanzexpertin Christine Scheel). Die angestrebte Öffnung in Richtung bürgerliche Mitte ohne Vernachlässigung der Linken wird spielerisch getestet - bis die jamaikanische Verheißung im Berliner Herbstnebel verblasst.

Dass Fischer künftig kein Wörtchen mehr mitreden will, können sich viele in der Partei eine Nacht nach seinem angekündigten Rückzug in die Freiheit übrigens kaum vorstellen. Seine Rolle als Zeichner grüner Großlinien dürfte sich aber erst allmählich ausbilden. (Von Basil Wegener, dpa)

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