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Nach Enthüllungen über Prism, Tempora und Co.: Deutschlands Jagd auf die Agenten

Briten und Amerikaner spähten Deutschland aus. Doch Agententätigkeit steht hier unter Strafe. Wie verfolgt Deutschland die Spione?

Wanzen in EU-Gebäuden, Lauschangriffe auf Botschaften. Die ersten Politiker fordern, gegen die Spionagetätigkeiten von Großbritannien und den USA vorzugehen. Sigmar Gabriel, SPD-Parteivorsitzender, hat die Bundesanwaltschaft zu Ermittlungen gegen die amerikanischen und britischen Geheimdienste aufgefordert. Spiegel Online sagte er am Donnerstag: „Ich fände es angemessen, wenn die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Geheimdienste anstrengt.“ Inzwischen liegen den Ermittlern in Karlsruhe auch mehrere Strafanzeigen vor. Noch wird dort allerdings nur beobachtet und geprüft.

Was kann die Bundesanwaltschaft tun?

Für Generalbundesanwalt Harald Range ist es nicht einfach, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die US-amerikanische „National Security Agency“ (NSA) einzuleiten. Denn die Bundesanwaltschaft ist, sollten Edward Snowdens Anschuldigungen zutreffen, nur für einen Teil der Vorwürfe zuständig. Die Geheimdienste sollen nämlich zum einen Millionen privater Telefonverbindungsdaten gespeichert, zum anderen deutsche Vertretungen der EU und Botschaften ausgespäht haben.

Soweit es um das unbefugte Abgreifen privater Verbindungsdaten geht, ist das nach Paragraf 202a des Strafgesetzbuches verboten und strafbar. Allerdings ist für solche Ermittlungen nicht die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig. Vielmehr ist das nach der föderalen deutschen Ordnung Sache der Staatsanwaltschaften in den Ländern.

Die Bundesanwaltschaft übernimmt nur strafrechtliche Ermittlungen wegen sogenannter Staatsschutzdelikte, konkret bei Spionage- oder Terrorismusverdacht. Spionage könnte bei der Ausspähung deutscher Botschaften in Europa oder gar der Bundesregierung durch die NSA durchaus vorliegen.

Welche Schritte wurden eingeleitet?

Bisher wird in Karlsruhe in diesem Bereich noch kein Ermittlungsverfahren geführt, auch nicht gegen unbekannt. Vielmehr hat die Bundesanwaltschaft am 27. Juni einen „Beobachtungsvorgang“ angelegt. Ausgewertet werden momentan alle zugänglichen Informationsquellen, also vor allem Presseberichte. Geprüft wird offenbar, ob sich daraus ein Anfangsverdacht auf Spionage ergibt, der dann zu einem förmlichen Ermittlungsverfahren führen könnte. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft betont, dass es noch keine Ermittlungen gibt.

Was droht den Spionen?

Spionage heißt in der Juristensprache geheimdienstliche Agententätigkeit. Wörtlich besagt Paragraf 99 des Strafgesetzbuches: „Wer für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen … oder Erkenntnissen gerichtet ist …, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren … bestraft.“ In besonders schweren Fällen beträgt das Strafmaß bis zu zehn Jahre.

Ein Ermittlungsverfahren könnte zunächst gegen unbekannt geführt werden. Eine Anklage müsste sich aber immer gegen Personen richten, nicht gegen Behörden.

Wie reagiert die deutsche Politik?

Sigmar Gabriel steht mit seiner Forderung nach Ermittlungen nicht allein. Auch der Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck hat sich dem SPDChef angeschlossen. „Der Tatverdacht, dass deutsche Grundrechte in strafrechtlich relevanter Weise verletzt wurden, steht zweifelsohne im Raum und deshalb muss auch ermittelt werden, und gegebenenfalls muss auch den entsprechenden Verantwortlichen der Prozess gemacht werden“, sagte Beck dem Tagesspiegel. Er forderte zudem die Aufnahme Snowdens in Deutschland. „Die Bundesregierung mogelt sich um eine klare Entscheidung, wie mit Snowden umzugehen ist, herum.“ Asyl könne Snowden nur von deutschem Boden aus beantragen, aber er könne eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, und darüber müsse politisch entschieden werden. „Die Voraussetzungen dafür sehe ich nach wie vor klar erfüllt, denn er hat sich um die politischen Interessen der Bundesrepublik verdient gemacht“, sagte Beck.

Die Liberalen machen sich für andere Konsequenzen stark. So forderte die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz: „Die EU muss umgehend prüfen, ob sie die Übermittlung von Fluggastdaten und Bankdaten stoppen kann, bis alle Vorwürfe umfassend aufgeklärt sind.“

Kommende Woche wird nun, wie aus dem Bundesinnenministerium zu erfahren war, nicht nur eine Delegation in die USA reisen, sondern der Minister selbst. Dort wird Hans-Peter Friedrich (CSU) mit Regierungsvertretern zusammentreffen. Ein genaues Programm gebe es aber noch nicht, hieß es.

Welche Spionagefälle gab es bereits in Deutschland?

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz sind in Deutschland vor allem Nachrichtendienste aus der Russischen Föderation, der Volksrepublik China, Nordkorea und aus dem Nahen Osten tätig. Der wohl spektakulärste Fall der letzten Jahre wurde kürzlich vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt. Ein Agentenehepaar hatte 20 Jahre lang mit falschen österreichischen Pässen unter den Namen Heidrun und Andreas Anschlag in Deutschland gelebt und dem russischen Geheimdienst SWR hunderte politische und militärpolitische Dokumente zu EU und Nato geliefert. Andreas Anschlag wurde zu sechseinhalb, Heidrun Anschlag zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Ebenfalls für Russland soll ein österreichischer Soldat spioniert haben, der im März 2011 in München zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde: Er hatte dem SWR Informationen über Hubschrauber eines bayrischen Herstellers geliefert. Drei Jahre und drei Monate bekam im Dezember ein Syrer, der als Angestellter der syrischen Botschaft in Berlin ab 2009 für den militärischen Geheimdienst seines Heimatlandes Oppositionelle bespitzelt hatte.

Gibt es neue Enthüllungen?

Wie die französische Zeitung „Le Monde“ am Donnerstag berichtete, spioniert auch der französische Auslandsgeheimdienst DGSE im großen Stil Bürger aus. Demnach verfügt Frankreich über ein Überwachungssystem, das nach dem britischen Programm „Tempora“ das umfangreichste in Europa ist. Anders als beim US-Programm „Prism“ gebe es bei den Überwachungsmaßnahmen des französischen Geheimdienstes keine rechtliche Grundlage.

Auch in den USA gibt es neue Enthüllungen. Die „New York Times“ berichtet, Absender und Empfänger jeder über den Postdienst USPS verschickten Sendung würden abfotografiert. Rund 160 Milliarden Postsendungen sollen in dem vermeintlichen Überwachungsprogramm „Mail Isolation Control and Tracking“ (MICT) vergangenes Jahr fotografiert worden sein.

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