zum Hauptinhalt
Proteste in der Türkei: Die Berichterstattung hatte für die Journalisten Konsequenzen.

© dpa

Nach Gezi-Unruhen in Istanbul: Druck auf Journalisten in der Türkei steigt

Nach den Unruhen in der Türkei hat sich die Lage auf den Straßen etwas beruhigt - nicht aber für die Medienvertreter. Fast 60 Journalisten wurden auf Geheiß Erdogans entlassen - darunter sogar ein Chefredakteur. Einige planen nun möglicherweise eine Gegenbewegung.

Die Lage auf den Straßen der Türkei mag sich nach den schweren Unruhen vom Juni einigermaßen beruhigt haben – in der Medienlandschaft geht das Beben weiter. Nach Zählung der türkischen Journalistengewerkschaft TGS haben fast 60 Journalisten wegen der Gezi-Unruhen ihren Job verloren. Sie zählen nicht einmal zu den mehr als 100 Reportern, die während der Straßenschlachten von Polizisten attackiert wurden. Die Journalisten wurden vielfach von ihren Arbeitgebern vor die Tür gesetzt, weil diese den Zorn der Regierung fürchten.

Kritik an den harten Linie von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Umgang mit der Gezi-Protestbewegung ist so manchem Zeitungsverlag nicht mehr geheuer. Einige Verlage sind ohnehin regierungsfreundlich eingestellt. Andere Zeitungen oder TV-Sender gehören zu Konzernen, die viele wirtschaftliche Interessen außerhalb der Medienwelt haben und die sich die Sympathien der Erdogan-Regierung nicht verscherzen wollen, weil sie um öffentliche Aufträge fürchten. Erdogan hatte angekündigt, Unterstützer der Protestbewegung würden für ihre Haltung bezahlen.

"Schmutzige Allianzen"

Auch prominente Kommentatoren sind betroffen. Yavuz Baydar, langjähriger Kolumnist und Leser-Ombudsman der regierungsnahen Zeitung „Sabah“, musste ebenfalls seinen Hut nehmen. Baydar hatte in einem Meinungsbeitrag für die „New York Times“ am 19. Juli die Verflechtung zwischen wirtschaftlichen Interessen der Medienunternehmen und der Politik in der Türkei angeprangert. Von „schmutzigen Allianzen“ schrieb Baydar, und davon, dass seriöser Journalismus unmöglich sei, wenn Besitzer von Zeitungen viel Geld mit Infrastrukturaufträgen der öffentlichen Hand verdienten. Im „vergifteten System“ der Türkei gebe es deshalb kaum Berichte über Korruption in der Wirtschaft.

Das war zuviel für „Sabah“, Baydar musste gehen. Und nicht nur er. Erst vor wenigen Tagen trat der Chefredakteur der einst angesehenen Tageszeitung „Milliyet“, Derya Sazak, von seinem Posten zurück. Am Donnerstag teilte der bekannte „Milliyet“-Kolumnist Can Dündar mit, auch er sei gefeuert worden. „Ich bin nicht der erste, und ich werde auch nicht der letzte sein“, schrieb Dündar auf seiner Website.

Direkter Druck der Regierung ist nicht nötig. „Milliyet“ gehört zum Firmenkonglomerat Demirönen, das sich unter anderem im Energiesektor und in der Baubranche engagiert. Wie Can Dündar schrieb, erhielt er seine Entlassung bei einen Anruf von Unternehmenschef Erdogan Demirönen, der zugleich Präsident des türkischen Fußballverbandes ist und keinen Krach mit der Regierung gebrauchen kann.

Für Insider wie die Journalistin Banu Güven ist all das keine Überraschung. Die bekannte Moderatorin verließ den Nachrichtensender NTV vor zwei Jahren wegen regierungsfreundlicher Zensur. Auch bei den diesjährigen Gezi-Unruhen war NTV zumindest zu Beginn der Straßenschlachten auf das Wohl der Regierung bedacht und berichtete nur sehr spärlich über die Proteste. Der Sender gehört zu einem Konzern, der erst im Mai ein 700-Millionen-Dollar-Geschäft mit der Regierung abgeschlossen hatte.

Kritik an Erdogan wird immer seltener

„In den letzten Jahren sind die Medien immer mehr zur Stimme von Recep Tayyip Erdogan geworden“, sagte Güven kürzlich unserer Zeitung. Wirtschaftliche Interessen der Konzerne mit Medienbeteiligungen hätten dafür gesorgt, dass Kritik an Erdogan immer seltener geäußert worden sei. „Je mehr Geld sie haben, desto mehr Angst haben sie“, sagte Güven über die Konzerne. Von staatlichen Medien wie dem Fernsehsender TRT ist ebenfalls keine distanzierte Haltung zur Regierung zu erwarten.

Güven ist deshalb überzeugt, dass die Türkei ein „neues, nachhaltiges Modell“ für einen unabhängigen Journalismus braucht. Auf ihrer Website deutete sie diese Woche an, dass es Bestrebungen von erfahrenen Journalisten gibt, ein solches Modell auf die Beine zu stellen.

Bis es soweit ist, sind viele Türken auf der Suche nach einer einigermaßen unabhängigen Berichterstattung auf Ausnahmen wie die Tageszeitung „Taraf“ angewiesen, die in den vergangenen Jahren mit der Aufdeckung mutmaßlicher Putschpläne der Militärs Furore machte. Doch das Enthüllungsblatt „Taraf“ hat seine eigenen Schwierigkeiten. Die Zeitung ist chronisch klamm und war schon oft mit den Gehältern für die Mitarbeiter im Verzug.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false