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Kippen sie wirklich die Regierung? Die neuen SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

© Kay Nietfeld/dpa

Nach links gerichtet: Was die neue SPD-Führung für die Regierung bedeutet

Gehen oder bleiben - kann die SPD unter der neuen Führung mit der Union weiter regieren? Viele Abgeordnete würden bei Neuwahlen ihr Mandat verlieren.

Wie lebendig Demokratie auch in Zeiten einer großen Koalition sein kann, wird gerade am Beispiel der SPD bewiesen. Trotz manch schnellem Urteil ist auch das Ende der großen Koalition nicht ausgemacht. Aber das Eis ist dünn. Denn in der Bundestagsfraktion und in der SPD-Regierungsmannschaft waren fast alle gegen das neue Führungs-Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Droht hier ein offener Konflikt?
Bis zum Bundesparteitag am Freitag wird versucht, Brücken zu bauen – aber es gibt Signale von den Ministerpräsidenten, den Ministern und der Bundestags-Fraktion an die neuen Chefs: Keine Alleingänge, schon gar nicht in Sachen GroKo-Ausstieg. „Die wollen keinen Krieg mit der Fraktion“, heißt es im SPD-Regierungslager.

Aber das Duo ist natürlich getragen worden von der Hoffnung auf einen Wandel. Dass vor allem Esken ihre Kampagne für den Vorsitz mit Groko-Dauerkritik bestritt, stieß vielen SPD-Abgeordneten sauer auf. „Die Fraktion steht Saskia Esken aufgrund ihrer unfairen Kritik an unserer guten Arbeit nicht besonders freundlich gegenüber“, sagt etwa Sascha Raabe, Abgeordneter aus Hessen: „In den letzten Tagen ist sie allerdings schon staatstragender geworden. Sie hat klargemacht, dass sie sich nicht gegen die Fraktion stellen wird.“

Wie viele andere in der Fraktion hält der erfahrene Entwicklungspolitiker Raabe die Groko für besser als ihren Ruf – so sei das deutsche Engagement in der Bekämpfung der weltweiten Armut so groß wie nie zuvor. Die Unterstützung, die Esken und Walter-Borjans aus der Fraktion erhielten, war überschaubar.

Eine der wenigen Abgeordneten, die sich offen hinter das linke Duo stellte, war die Bielefelder Abgeordnete Wiebke Esdar. „Nur ein halbes Dutzend Abgeordnete hat sich vor der Stichwahl offen für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ausgesprochen“, sagt Esdar. Der Rest war auf der Seite von Klara Geywitz und Olaf Scholz – oder unentschieden. Viele sind gegen eine Neuwahl, weil dann ihr Mandat weg wäre.

Sind sie für die Aufgabe des SPD-Vorsitzes überhaupt gerüstet?
Annalena Baerbock war vor der Übernahme des Grünen–Vorsitzes auch „nur“ Bundestagsabgeordnete und Robert Habeck Landes-Umweltminister. Neben seinen Erfolgen im Kampf gegen Steuersünder musste Walter-Borjans als Finanzminister drei Niederlagen einstecken, die die damalige rot-grüne Minderheitsregierung von Nordrhein-Westfalen zwischen 2011 und 2013 vor dem Landesverfassungsgericht erlitt.

Es ging jeweils um den Landeshaushalt: um einen Nachtragsetat für das Jahr 2010 sowie die Etats 2011 und 2012. Im ersten Fall urteilten die Richter, dass die Erhöhung der Neuverschuldung in Höhe von 8,4 Milliarden Euro gegen die Verfassung verstoße, weil die Schuldenaufnahme höher als die Summe der Investitionen war.

Auch der Haushaltsplan für 2011 wurde (im Jahr 2013) vom Gericht wegen zu hoher Neuverschuldung beanstandet. Tatsächlich hat sich das Land aber wegen guter Steuereinnahmen dann geringer verschuldet als geplant und blieb unter der Verfassungsgrenze. Der Etat für 2012 wurde als verfassungswidrig eingestuft, weil er zu spät in den Landtag eingebracht worden sei. Die Wähler störten sich nicht daran: Im Mai 2012 gewannen Kraft und Walter-Borjans die Neuwahlen, die SPD legte deutlich zu.

Esken ist deutlich unerfahrener. Als Politikerin hat sich die Baden-Württembergerin, die per Anruf Walter-Borjans von der gemeinsamen Kandidatur überzeugt hatte, stets als Spezialistin betätigt – als IT-Expertin oder als Bildungspolitikerin in der Landeselternvertretung in Baden-Württemberg.

In der Digitalpolitik habe sich die gelernte Informatikerin „absolut profiliert“ und sei in der IT-Branche gut vernetzt, heißt es bei ihren Anhängern. Eskens Kritiker kontern: Die 58-Jährige sei noch nie mit bemerkenswerten Wortmeldungen aufgefallen – weder in der Bundestagsfaktion, noch im baden-württembergischen Landesvorstand.

„Deshalb wurde sie ja dort auch schnell abgewählt“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Nur zwei Jahre war Esken Vize-Chefin der baden-württembergischen SPD. Für den anstehenden Bundesparteitag in Berlin hat sie ihr Landesverband mit gerade einmal 43 Prozent zur Delegierten gewählt.

Warum wird ihr Angriff auf die „schwarze Null“ zum Knackpunkt?
Die Aufgabe des Prinzips der Haushalte ohne neue Schulden könnte im Leitantrag der neuen Parteispitze für den Bundesparteitag stehen. Es wäre ein Affront gegen Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Er hat bisher das Erbe von Wolfgang Schäuble (CDU) fortgeführt, seit 2014 wurde immer im Bundeshaushalt die „schwarze Null“ geschafft, um künftige Generationen vor immer höheren Lasten zu bewahren.

Dank hoher Steuereinnahmen gelingt es trotzdem, massiv zu investieren; 2020 fast 43 Milliarden Euro – ein Rekord. Damit sollen Straßen und Bahnstrecken gebaut, Funklöcher gestopft, Kitas und Schulen verbessert und der Internetausbau vorangetrieben werden.

Scholz hat betont, wenn es zu einem wirtschaftlichen Einbruch komme, sei genug Feuerkraft da, um mit einem Konjunkturprogramm gegenzusteuern. An Geld mangelt es also nicht, trotz „schwarzer Null“. Viele Mittel werden schlicht nicht abgerufen, weil es Behörden an Planungskapazitäten fehlt und die Bauwirtschaft am Limit ist.

Warum soll dann überhaupt die „schwarze Null“ fallen?
Walter-Borjans und Esken sehen sich auf einer Linie mit Ökonomen, die eine Investitionsoffensive in Höhe von 450 Milliarden Euro bis 2030 fordern, sie selbst nennen in ihrem Programm 500 Milliarden. Das bedeutet 45 bis 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.

Walter-Borjans sagte dazu in der ARD-Sendung „Anne Will“: Die Bauwirtschaft werde nur dann zusätzliche Kapazitäten aufbauen und die Kommunen mehr Planer einstellen, wenn sie wüssten, es gebe jetzt über zehn Jahre einen signifikanten Aufwuchs, und nicht mal ab und an etwas mehr, je nachdem wie gerade die Lage im Haushalt ist. „Ich muss denen Planungssicherheit geben.“ Und Borjans betonte: „Ich glaube, dass diese Diskussion auf dem Parteitag eine große Rolle spielen wird.“ Dazu werde es eine „klare Entscheidung“ geben.

Wenn die eigene Partei Scholz hier in den Rücken fällt, könnte er zurücktreten. Eines ist klar: In der Koalition ist das mit CDU/CSU ohnehin nicht umsetzbar. Wenngleich auch der Bundesverband der Industrie und der DGB in die gleiche Richtung argumentieren. Nur mit deutlich höheren Investitionen des Staates könnten Wachstumsschwächen entgegengewirkt und Arbeitsplätze gesichert werden.

Aber: Der Bundeshaushalt 2020 ist bereits beschlossen, der Koalitionsvertrag sieht keine neuen Schulden vor. Esken brachte nun einen Nachtragshaushalt ins Spiel. Kanzlerin Angela Merkel formulierte es letztens im Bundestag so: Sind Investitionen nur gut, wenn sie neue Schulden verursachen?

Wie könnte die Koalition gerettet werden?
Regierungssprecher Steffen Seibert hat für Kanzlerin Angela Merkel eine Nachverhandlung des Koalitionsvertrags ausgeschlossen. Nach dem SPD-Bundesparteitag wird sehr zeitnah ein Koalitionsausschuss stattfinden. Man könnte womöglich zusätzliche Projekte vereinbaren, so steht es sogar im Koalitionsvertrag: Aufgrund aktueller Entwicklungen könnten „neue Vorhaben vereinbart werden“. Aber der Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, betont, dann müsse man CDU/CSU auch zum Beispiel die gewünschte Unternehmenssteuerreform zugestehen.

Beim CO2-Preis – bisher sind nur zehn Euro je Tonne als Startpreis geplant – lässt sich eventuell noch etwas machen, da die Grünen über den Bundesrat die Steuergesetze des Klimapakets blockiert haben. Der von dem neuen Vorsitzenden-Duo geforderte Mindestlohn von zwölf Euro lässt sich nicht einfach so vereinbaren, da die Höhe des Mindestlohns – aktuell 9,19 Euro – von einer unabhängigen Kommission festgelegt wird.

Bleibt die Koalition trotz aller Fliehkräfte erst einmal bestehen, könnte sich die zweigleisige Strategie wiederholen, die es schon unter Andrea Nahles gab: „SPD pur“ durch die Vorsitzenden mit Projekten für den nächsten Wahlkampf – und ein Weiteregieren in der Koalition.

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