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Mitglieder des polnischen Verfassungsgerichts.

© dpa

Nach Machtübernahme der PiS: Polen ist kein neuer Fall Ungarn

Die Empörung im Ausland war groß nach dem Wahlsieg der PiS. Doch die erste Brandmauer gegen Demokratieverfall sind Gerichte und Zivilgesellschaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Bereitschaft zur Empörung in Deutschland war groß, als Polens neue Regierungspartei PiS gleich nach der Vereidigung den Zugriff auf Gerichte und Medien probte. Polen „orbanisiere“ sich und werde bald ähnlich autoritär regiert wie Ungarn, hieß es. Die deutsche Empörung war vorschnell, wie sich am Mittwoch bei der Sitzung des Verfassungsgerichts zeigte. Da schauten leider nur wenige Deutsche und ihre Medien hin, obwohl es angeblich um das potenzielle Ende von Demokratie und Rechtstaatlichkeit bei einem wichtigen Nachbarn ging.

Die erste und wichtigste Brandmauer gegen Demokratieverfall ist nicht Empörung des Auslands, sondern es sind die Bürger und die Kontrollinstanzen im Inland, also Gerichte und Zivilgesellschaft. Polen hat den Test fürs Erste bestanden. Am Morgen hatte Präsident Andrzej Duda noch versucht, mit der schnellen Vereidigung einer auf fragwürdige Weise nachgewählten Verfassungsrichterin die Politisierung im Dienst seiner Partei PiS voranzutreiben. Das Verfassungsgericht wehrte sich jedoch und erklärte das Vorgehen der PiS in drei Punkten für verfassungswidrig.

In den Tagen zuvor hatte es Demonstrationen in mehreren Städten gegeben. Es waren keine Massenproteste. Aber auch mit Polens Zivilgesellschaft ist durchaus zu rechnen, wenn eine Regierung die demokratischen Errungenschaften der Jahre seit 1989 in Frage stellt. Zu Recht hat das Europäische Parlament es abgelehnt, schon jetzt den Fall Polen zu debattieren.

Nicht nur Polen, sondern alle EU-Staaten sollten drei Lehren aus den Vorgängen ziehen. Erstens darf man mit Verfahrensregeln nicht spielen. Sie müssen ebenso unantastbar sein wie die großen Prinzipien: Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Medienpluralismus. Die erste Sünde im polnischen Gerichtsstreit, auch das gehört zur Redlichkeit, hatte die Vorgängerregierung der bürgerlich-liberalen Bürgerplattform (PO) begangen. In Erwartung ihrer Wahlniederlage hatte sie mit ihrer Parlamentsmehrheit im Sommer nicht nur Verfassungsrichter für drei offene Stellen gewählt, sondern gleich zwei mehr auf Vorrat – ein klarer Regelverstoß, der die PiS nun zum Gegenvorstoß ermunterte, nachdem sie die Mehrheit errungen hatte. Der Regelbruch der PO erregte damals wenig Aufsehen in der EU, vermutlich weil viele in Westeuropa eher mit ihr als der PiS sympathisieren.

Die Deutschen dürfen etwas mehr Vertrauen in Polen haben

Zweite Lehre: Man darf die Bewertung eines Regelbruchs nicht davon abhängig machen, ob man mit der politischen Richtung, die ihn begeht, sympathisiert oder nicht. Wer Regeln bricht, untergräbt das Vertrauen in die staatlichen Institutionen.

Drittens dürfen Deutsche etwas mehr Vertrauen in die Demokratie bei ihren östlichen Nachbarn haben. Sie lösen Irritationen aus, weil sie in vielen Fragen anders „ticken“ – Umgang mit Migranten, Energiepolitik, Russland –, aber das macht sie nicht per se weniger demokratisch. Inhaltliche Differenzen haben die Deutschen auch immer wieder mit der Regierungspolitik in Frankreich, Italien, Österreich, ohne dass sie gleich an Demokratie und Rechtsstaat dort zweifeln. Von den zehn Staaten, die die EU 2004 aufnahm, ist eines heute ein Sorgenfall: Ungarn. Die anderen zeigen eine eigentlich beruhigende Stabilität – gerade wenn man sich vor Augen hält, welche sozialen und wirtschaftlichen Brüche sie zu meistern haben.

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