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Deutsche und türkische Flaggen. Wie geht es weiter nach dem Referendum?

© Marijan Murat/dpa

Nach Referendum in der Türkei: Mutlu: Keine Abstimmung über Todesstrafe in Deutschland zulassen

Der Ausgang des Verfassungsreferendums in der Türkei darf nicht ohne Folgen bleiben, fordern viele Politiker in Deutschland. Viele fordern, die EU-Beitrittsgespräche zu stoppen.

Nach dem knappen Votum der Türken für das umstrittene Präsidialsystem wird in Deutschland und Europa der Ruf nach einem Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara lauter. Zugleich wächst die Kritik an den in Deutschland lebenden Türken. Diese haben überdurchschnittlich stark für die Verfassungsreform gestimmt, die Staatschef Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht geben wird.

Bei einem möglichen Referendum über die Todesstrafe in der Türkei darf die Bundesregierung aus Sicht des Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu keine Abstimmung in Deutschland erlauben. „Die Durchführung eines solchen Referendums ist eine rote Linie und kommt einem Ende der EU-Beitrittsgespräche gleich“, sagte Mutlu am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. „Ein Referendum zur Einführung der Todesstrafe widerspricht unseren Werten diametral und darf in Deutschland nicht zugelassen werden.“

Nach seinem umstrittenen Sieg beim türkischen Referendum über ein Präsidialsystem am Sonntag hatte Staatschef Recep Tayyip Erdogan seine Bereitschaft bekräftigt, die Todesstrafe wieder einzuführen. Sollte das Parlament die entsprechende Verfassungsänderung mit der nötigen Zweidrittelmehrheit bestätigen, werde er das Gesetz unterzeichnen. „Aber wenn nicht, dann machen wir auch dafür ein Referendum.“ An einem solchen Referendum dürften sich nach türkischem Recht auch wieder wahlberechtigte Türken im Ausland beteiligen.

Kubicki: Unter der derzeitigen Türkischen Regierung kein Weg nach Europa

Die Bundesregierung erwartet von Ankara eine schnelle Prüfung der Hinweise auf Unregelmäßigkeiten beim Referendum. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki forderte die Bundesregierung auf, jetzt deutlich zu machen, dass es für die Türkei unter der derzeitigen Regierung keinen Weg nach Europa geben könne. „Das heißt konkret: Ende der Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Ende der Heranführungshilfen in Milliardenhöhe“, schrieb Kubicki in einem Beitrag für die „Huffington Post“. Ähnlich argumentierte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. „Man kann einfach nicht mehr ernsthaft davon ausgehen, dass diese Türkei Vollmitglied der EU werden kann“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Dienstag). „Die Milliardenzahlungen, die verwendet werden, um die Türkei an die EU heranzuführen, sollten umgeschichtet und zur Bekämpfung von Fluchtursachen verwendet werden.“

De Maizière: Abstimmung muss überprüft werden

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte „Focus Online“, diese EU-Hilfen seien „völlig aus der Zeit gefallen“. Niemand glaube mehr ernsthaft an den EU-Beitritt der Türkei. „Deswegen ist es höchste Zeit, die Auszahlung der EU-Vorbeitrittshilfen zu stoppen.“ Dies verlangte auch der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. „Es muss endlich sicher gestellt werden, dass nicht noch mehr Geld für einen Beitritt, der ohnehin nicht stattfindet, in die Türkei fließt“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte der „Rheinischen Post“ (Dienstag) mit Blick auf Berichte über Unregelmäßigkeiten beim Referendum: „Jetzt muss rasch Klärung darüber hergestellt werden, ob die Abstimmung fair und sauber abgelaufen ist, soweit man unter den derzeitigen Umständen in der Türkei überhaupt davon sprechen kann.“

Nach Einschätzung des offiziellen deutschen Wahlbeobachters Andrej Hunko fand das Referendum in den Kurdengebieten in einer „Atmosphäre massiver Bedrohung“ statt. Angesichts der massiven Einschränkungen des Nein-Lagers und angesichts der Bedingungen des Ausnahmezustandes könne „weder von freien noch von fairen Wahlen gesprochen werden“, sagte der Linke-Bundestagsabgeordnete der „Rheinischen Post“. Nach dem vorläufigen Endergebnis der Wahlkommission stimmten 51,4 Prozent für die Verfassungsreform. Die Wahlbeteiligung betrug nach Regierungsangaben mehr als 85 Prozent.

Özdemir fordert von Türken in Deutschland Bekenntnis zu ihrer Heimat

In Deutschland lag sie mit etwa 49 Prozent deutlich darunter, allerdings stimmten hier von den teilnehmenden Türken nach offiziellen Angaben 63 Prozent für die Einführung des Präsidialsystems. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt bedauerte dies in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Wenn man den Ergebnissen trauen kann, hat eine große Mehrheit der Türken, die bei uns alle demokratischen Freiheiten in Anspruch nimmt, entweder gar nicht gewählt oder der Verfassungsänderung zugestimmt und damit die eigenen Landsleute dazu verurteilt, künftig in einem autoritären Staat zu leben.“

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der „Passauer Neuen Presse“, (Dienstag) das Abstimmverhalten der Türken in Deutschland erschrecke ihn. „Wir brauchen eine Integrationsoffensive. Hier rächen sich jetzt die massiven Versäumnisse insbesondere der CDU und SPD aus den vergangenen Jahrzehnten.“ In der „Bild“-Zeitung verlangte Özdemir von den in Deutschland lebenden Türken ein Bekenntnis zu ihrer neuen Heimat: Man müsse sich schon „ganz zu den Werten und zur Verfassung unseres Landes bekennen, wenn man hier auf Dauer glücklich werden will“. (dpa, Tsp)

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